Vor kurzem wurde ich gefragt, ob ich manchmal noch daran denke, ein Kind in der 12. Schwangerschaftswoche verloren zu haben. Erst fand ich diese Frage nach der Fehlgeburt etwas merkwürdig, vielleicht auch respektlos. Aber tatsächlich hat sich das daran denken mit den Jahren, die seitdem vergangen sind, wirklich verändert.
In der Situation selbst ist es zunächst unvorstellbar, jemals wieder nicht daran zu denken. Später, wenn die Trauer oder die Wut eher in Wellen kamen, konnte ich mir nicht vorstellen, daran zu denken, ohne einen großen Schmerz zu spüren. Aber auch das hat sich verändert.
Natürlich spielt es auch immer ein große Rolle, ob nach einer Fehlgeburt noch Kinder nachkommen. Es geht dabei nicht darum, dass das nachfolgende Kind das andere ersetzt. Aber dieses Kind gibt einer Frau meist viel Vertrauen in den eigenen Körper zurück. Und es zeigt der ganzen Familie und einem allein so deutlich, dass das Leben weiter geht. Sicherlich wäre ich sonst wesentlich länger in einer tieferen Trauer hängen geblieben.
Aus dem Tunnel wieder rauskommen
Aber es wird nie so sein, dass ich nicht mehr an dieses Kind denke, was nur wenige Monate hier bei uns war. Dieses Kind, das dennoch so präsent in unserem Alltag war – von Anfang an. Genau wie seine vier Geschwister es ab dem zweiten Strich auf dem Teststreifen waren. Denn auch mit diesem Kind gab es eine geplante Zukunft, die mit jedem schwangeren Tag konkreter wurde. Und die dann doch so jäh zu Ende ging.
Mit der Fehlgeburt ist diese gewünschte Zukunft nicht plötzlich egal. Man muss Abschied davon nehmen. Das braucht Zeit und Kraft. Auch viele Jahre später denkt man immer wieder mal daran und fragt sich, wie es wohl gewesen wäre. Wie die Zukunft mit diesem Kind ausgesehen hätte. Ganz rational betrachtet haben die meisten Fehlgeburten einen entwicklungsbedingten Grund (bei 50 bis 70 Prozent werden Chromosomenanomalien nachgewiesen). Und Fehlgeburten kommen wesentlich häufiger vor, als von den meisten Menschen angenommen. Zählt man auch noch die Schwangerschaften mit, die vor dem Ausbleiben der Regelblutung wieder enden, kommt man auf Zahlen von über 50 Prozent aller Schwangerschaften, die frühzeitig enden.
An manchen Tagen sind solche statistischen Denkspiele hilfreich. Viel hilfreicher ist es aber, wenn auch andere Frauen davon erzählen, was ihnen widerfahren ist. Das Gespräch mit meiner Freundin, die selbst zwei Fehlgeburten hatte, war für mich die größte Hilfe und wertvoller als jedes andere tröstend gemeinte Wort. Durch sie wusste ich meine damals vorherrschenden Gefühle einzuordnen. Aber sie war auch gleichzeitig der Lichtblick und die Hoffnung, aus diesem Tunnel wieder rauszukommen.
Die eigene Machtlosigkeit
Nicht selten setzen mit einer Fehlgeburt bei vielen Frauen Versagensgefühle ein oder auch die Befürchtung, durch eigenes Verhalten für die Fehlgeburt verantwortlich zu sein. Hatte ich zu viel Stress oder war es das Glas Wein, dass ich noch vor dem positiven Test getrunken habe? Dieser Gedanke, wenn ich doch dies oder das getan hätte, wäre mein Baby vielleicht noch da, er vervielfacht einfach nur den Schmerz. Schuldgefühle machen es oft noch schwerer, das Geschehen anzunehmen.
Doch darum geht es langfristig: Anzunehmen, was geschehen ist. Denn so sehr man es sich wünscht, man kann nichts tun oder rückgängig machen, wenn sich ein Kind entschieden hat, so früh wieder zu gehen. Diese eigene Machtlosigkeit auszuhalten ist wahnsinnig schwer. Und womöglich einen Sinn dahinter zu sehen, das fällt noch viel schwerer.
Sicherlich reagieren wir Sternenkindermütter nach einer Fehlgeburt anfangs entsprechend genervt oder enttäuscht auf die oft auch nur aus Hilflosigkeit dahin gesagten „Kalendersprüche“. Oft werde ich als Hebamme gefragt, was man betroffenen Frauen in der Situation sagen kann. Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Was gilt: Weniger ist hier oft mehr. Das Dasein und Zuhören ist viel wichtiger. Und oft auch für die betroffenen Angehörigen nicht leicht auszuhalten. Aber das trifft sicherlich auf nahezu alle Verluste zu. Ich glaube nicht, dass es für bestimmte Situationen „richtige“ Worte gibt. Und oft zeigt gerade ein ehrliches „Mir fehlen die Worte“ oder ein „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“ die Empathie des Gegenübers.
Von der Trauer zur sanften Melancholie
Auch im Hebammenkontext, in dem die professionelle Distanz den Umgang mit Fehlgeburtssituationen sicherlich etwas leichter gestaltet, ist oft das Raum geben für die Gefühle der Betroffenen wichtiger als konkrete tröstende Worte.
Anfangs denkt man Tag und Nacht an den Verlust. Doch das Denken verändert sich. Und auch die Gefühle dazu verändern sich. Die Trauer von einst ist bei mir eher einer sanften Melancholie gewichen, wenn ich heute an die Fehlgeburt denke.
Ich denke nicht mehr jeden Tag daran, aber immer noch oft genug. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass mir das Thema beruflich weiterhin häufig begegnet. Vielleicht wäre es aber auch unter anderen Umständen so. Ich denke zwar daran, aber es belastet mich nicht mehr. Die Last ist einem Annehmen gewichen. Dieses nicht geborene Kind gehört zu mir und zu meinem Leben. Wie sollte ich das je vergessen?
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