Wenn ein Kind gehen muss, bevor es so richtig im Leben angekommen ist – es ist für die ganze Familie ein großer Schock. Doch nach dem Schock wartet ein Leben, dass es zu meistern gilt. Wenn der Schwangerschaftstest ein positives Ergebnis anzeigt, verändert sich für uns Väter rein körperlich erst mal gar nichts. Und doch verändert sich alles. Denn selbst wenn das Baby im Bauch der Partnerin anfangs weder irgendwie sichtbar noch spürbar ist, dreht das Gedankenkarussell sofort los. Die Fahrt bietet von großen Sorgen bis zu enormer Vorfreude alles. Zumindest ging es mir bei allen Kindern so.
Vor allem bei den Schwangerschaften nach dem ersten Kind waren Vorstellungen und Freude auf das neue Baby sofort schon sehr konkret. Ich habe immer darauf vertraut, dass alles gut ist und wird. Es liegt in meiner Natur, positiv gepolt durchs Leben zu gehen. In der allerersten Schwangerschaft hatte Anja Blutungen. Wir haben uns große Sorgen gemacht und dann trotzdem ans Gute geglaubt. Und es ist alles gut gegangen. Als Anja dann vor ein paar Jahren mit einem weiteren Kind schwanger war, hatte ich keine Zweifel, dass auch dieses Mal alles gut wird. Es sollte anders kommen. Vielleicht habe ich Anjas Gefühl etwas überhört, ich jedenfalls wollte optimistisch sein, trotz erneuter Blutungen mitten im Sommerurlaub. Als das Kind dann in der zwölften Woche doch plötzlich und sehr abrupt ging, da war ich noch unvorbereiteter als sie.
Jeder fünfte Vater erlebte eine Fehlgeburt
Für die Frau kommt in diesem Moment und der Zeit danach natürlich eine hohe körperliche und hormonelle Belastung hinzu. Das ist bei Vätern nicht der Fall, weshalb sie wohl schneller die Tendenz zeigen, das Thema „abzuhaken“. Doch so einfach ist das nicht. Eine Fehlgeburt hat Auswirkungen auf die gesamte Familie und vielleicht auch auf noch folgende Babyzeiten. In einer Studie las ich neulich: „Es stellte sich heraus, dass 17 Väter (8,2%) der 205 Teilnehmer an einer postpartalen Depression litten… Jeder 5. Vater hatte zuvor schon einmal ein Baby infolge von Fehlgeburt bei der Partnerin verloren.“
Jeder fünfte Vater?! Diese Zahl ließ mich nachdenklich werden. Wie ging es mir eigentlich nach der Fehlgeburt? Die Zukunft, die ich mir ausgemalt hatte, sie war weg. „Einfach“ so. Und über eine Fehlgeburt redet man nicht. Männer noch weniger als Frauen. Mir war zum Heulen zumute, aber ich „musste“ den Zusammenbruch von Anja irgendwie auffangen und abfedern. Außerdem waren da die anderen Kinder. Die hatten zwar im Urlaub zwangsläufig durch den Krankenhausbesuch im Ausland die frühe Schwangerschaft und die Probleme mitbekommen, aber noch weniger ernst genommen als wir. Ich weiß noch wie heute, wie fassungslos ihre Gesichter aussahen, als wir die beiden Mädchen am gemeinsamen Flohmarktstand stehen ließen. Eine Freundin blieb bei ihnen, während ich mit Anja ins naheliegende Klinikum fuhr. Ihr war das Blut an den Beinen heruntergelaufen.
Verlust anerkennen und thematisieren
Im Krankenhaus wurde uns bestätigt, was uns ohnehin klar war. Wir waren beide geschockt. Und es dauerte ein paar Tage, bis aus Schock die Wut und aus der die Trauer wurde. Und es hilft nichts. Man muss da durch. Muss anfangen, darüber zu reden. Mit sich und auch mit anderen. Wir haben schnell mit den Kindern gesprochen und ein Ritual für uns gefunden, so dass sich alle verabschieden konnten bei diesem Menschen, der nur einige Wochen in unseren Herzen und Gedanken bei uns war. Und ihn dorthin gehen lassen konnten, wo er jetzt ist. Wo immer das auch ist.
Ich habe als Kind in der Familie früh den Tod kennengelernt als meine Mutter ganz plötzlich starb. Das hat mich hart getroffen damals. Bis heute habe ich Probleme mit diesem Thema. Mir persönlich hat nach der Fehlgeburt unseres Babys geholfen, den Verlust anzuerkennen und ihn zu thematisieren. Erst gemeinsam mit Anja, dann mit anderen. Und als ich darüber redete, stellte ich fest, dass tatsächlich auch in meinem Freundeskreis andere Väter betroffen sind. Aber auch sie nie so wirklich darüber geredet hatten.
Der offensive und offene Umgang hat mir geholfen. Er hat uns geholfen. Diese große persönliche Krise zerstörte am Ende nicht meine Beziehung, sondern hat sie intensiviert. Das klingt manchmal in meinen Ohren fast gemein, aber es ist so. Diese Erfahrung hat uns gelehrt, das Leben deutlicher zu sehen und noch dankbarer zu sein. Für dieses eine Leben, das wir alle haben. Wir waren zusätzlich bei einer Trauerbegleiterin, die auch Raum für meine Gedanken als Vater hatte. Das war wichtig, aber gerettet hat mich, dass meine Partnerin mit mir geredet hat und ich mit ihr. Das war der Anfang vom Leben nach dem Tag, an dem mein Baby noch im Bauch starb.
Schreibe einen Kommentar