Entbindungsorientierte Geburtshilfe

Während sich in der Begleitung von Kindern immer mehr die Bedeutung der Eltern-Kind-Bindung auch in Begriffen wie „bindungsorientiert“ wiederfindet, steuert die Geburtshilfe seit Jahren in eine ganz andere Richtung. Unter Geburtshilfe meine ich in diesem Kontext die Begleitung von Familien vor, bei und nach der Geburt. Schon in der Schwangerschaft wird oft der Fokus nicht auf bindungsstärkende Aspekte gelegt. Statt die Mutter nach ihrem Befinden und dem von ihr eingeschätzten Befinden des Babys zu befragen und die Hände auf den Bauch zu legen, wird gemessen und geschallt. Tabellen geben vor, wann was wie zu sein hat. 

Und natürlich ist das Ermitteln bestimmter Parameter in der Schwangerschaft sinnvoll, um mögliche Probleme rechtzeitig zu erkennen. Aber genauso wichtig und sinnvoll ist es, außerhalb von Untersuchungen die Bindung zu unterstützen. Eltern zu ermuntern, mit ihrem Kind zu reden. Es zu berühren, zu tasten, wie es da im Bauch liegt. Und sich so ein ganz eigenes Bild zu schaffen – nicht nur eines via Ultraschall. Untersuchungen und vor allem dabei entdeckte Abweichungen von der Norm können Eltern zutiefst verunsichern und ängstigen. Gerade in solche Situationen ist eine einfühlsame Begleitung so wichtig, damit Eltern in Kontakt mit ihrem Kind und auch mit ihren Gefühlen bleiben.

Doch während Untersuchungen bezahlt werden, ist Zeit für Gespräche bei Ärzten und Hebammen gleichermaßen unzureichend oder gar nicht vergütet. Und auch bei der Geburt selbst sind es nicht die bindungsorientierten Faktoren, die zählen. Zumindest nicht dann, wenn die Geburtshilfe rein wirtschaftlich betrachtet wird. Die Entbindung ist das, was zählt. Am besten bezahlt ist die Sectio caesarea, gefolgt von der „Vaginalen Entbindung mit schwerer oder mäßig schwerer komplizierender Diagnose“.

Eltern stärken und bestätigen

Die komplikationslose Geburt in 1:1-Betreuung ist finanziell am unattraktivsten. In punkto Bindungsaufbau und Stillbeginn bietet sie hingegen die besten Voraussetzungen für einen guten Start. Hier könnte man nach der Geburt personelle Ressourcen einsparen, die dann denjenigen wieder zugute kommen, die nach einer schweren Geburt oder bei Stillproblemen mehr Begleitung benötigen. Aber so funktioniert unser Gesundheitssystem nicht. Prävention wird leider oft nicht über den kassenfinanzierten Yoga-Kurs hinaus gedacht. 

Und statt bindungsorientierte Wochenbettbetreuung zu Hause zu erleben, wurschteln sich mehr und mehr Eltern alleine mit ihren Fragen und Problemen durch. Statt durch Kuscheln im Bett mit dem Neugeborenen die Bindung zu intensivieren, fahren besorgte Eltern zu Ärzten, in Wochenbettambulanzen oder Bilirubin-Sprechstunden mit ihm durch die Gegend. Weil sie keine Hebamme mehr gefunden haben, die sie in den ersten Wochen durch Hausbesuche versorgt.

Die Hebamme, zu der im besten Fall auch die Eltern eine entsprechende Bindung aufgebaut haben. Eine Hebamme, die diese Familie und ihre jeweiligen Bedürfnisse kennt. Jene Hebamme, die dabei hilft, das Baby zu „übersetzen“. Sie wird Eltern stärken und bestätigen. Und ihnen helfen, sich kompetent zu fühlen und zu erleben. Diese Eltern haben leichtere Voraussetzungen, zu ihrem Kind eine gute Bindung aufzubauen.

Dem Baby Vertrauen und Sicherheit schenken

Und ganz besonders wenn es in diesem Bereich Schwierigkeiten gibt, etwa durch eine traumatisch erlebte Geburt, belastende Stillprobleme oder eine psychische Erkrankung im Wochenbett, braucht es die passende Unterstützung. Eine vertrauensvolle Ansprechpartnerin kann in diesen unruhigen Zeiten des Wochenbettes und des Ankommens einen sicheren Hafen für die Eltern bieten. So können diese wiederum ihrem Baby Vertrauen und Sicherheit schenken.

Statt einer entbindungsorientierten Geburtshilfe brauchen wir also eine bindungsorientierte Begleitung von Familien vor, während und nach der Geburt. Denn auch wenn nach einem schwierigen Start in Sachen Bindung viel nachgeholt werden kann, sollten doch optimale Voraussetzungen für ein entspanntes Ankommen der Standard sein.

Unter diesen guten Voraussetzungen läuft vieles leichter und selbstverständlicher auch in Bezug auf den Bindungsaufbau zum Kind. Eltern zu stärken anstatt sie zu verunsichern, das ist eine so wichtige Aufgabe – von Anfang an. Und nicht erst dann, wenn der Begriff Bindungsorientierung als wichtiges Schlagwort im „Erziehungsalltag“ fällt.

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Kommentare

3 Antworten zu „Entbindungsorientierte Geburtshilfe“

  1. L
    Lisa

    Da ich bald meine erste Geburt haben werde, finde ich diesen Beitrag sehr informativ. Ich finde es gut, dass die geburtsmedizinischen Praktiken im Laufe der Jahre immer mehr auf die Bedürfnisse der Mutter und des Kindes ausgerichtet wurden. Ich denke, es ist großartig zu sehen, dass es eine Bewegung hin zu einer sanfteren und respektvolleren Art der Geburtshilfe gibt.

  2. K
    Katja Abou

    Ich möchte mich meiner Vorrednerin anschließen.
    Wir werden in einem Geburtshaus entbinden und parallel dazu nehme ich weiterhin die Kontrolle in der Gyn-Praxis war. Diese zwei Stätten unterscheiden sich wie Tag und Nacht!
    Im Geburtshaus habe ich beobachtet, wie man sein Kind ertasten kann und es ist jedes Mal Teil der 1stündigen Kontrolle, indem es aktiv und mit viel Rücksicht und Aufmerksamkeit mit einbezogen wird 🙂
    Dagegen ist es beim Gyn höchstens Objekt der Untersuchung und zum Zweck einer medizinisch planmäßigen Untersuchung wird am Bauch herumgerüttelt á la „was nicht passt, wird passend gemacht“.
    Zudem ist es furchtbar, wenn Ärzte und Ärztinnen ihre medizinische Kompetenz über alles Stellen. Mein Gyn hat alles daran gesetzt, mir das Geburtshaus auszureden. Ohne meine Hebamme und meinen Mann hätte ich dieser extremen Verunsicherung sicherlich klein bei gegeben.
    Und zum Schluss noch die Krönung aller ärztlichen Kommentare auf meine Bitte hin, mir Sinn und Zweck des CTG zu erklären: „Sind Sie Ärztin oder Hebamme?“ Ich: „Nein.“ Gyn: „Na, dann werden Sie das nicht verstehen.“
    Womit wohl das letzte Bisschen einer vertrauensvollen Beziehung zerbröckelt ist.

  3. F
    FrauDoktorKind

    Danke für den Artikel!! Das kann ich nur unterschreiben, sowohl als Mutter als auch als Kinderärztin. Ich beobachte die Entwicklung in der Geburtshilfe mit Grauen. So viele junge Eltern kommen in meine Sprechstunde mit Themen wie traumatische Geburt, Stillschwierigkeiten, unnötigem Zufüttern, totale Verunsicherung – Themen, die eine Hebamme begleiten könnte – wenn sie denn eine hätten oder diese nicht gerade vom Schlag „maximal alle 4h füttern“ wäre… aber hier auf dem Land hat man erst recht keine Wahl mehr. Ich gebe mein Bestes die richtigen Impulse zu setzen (empfehle auch immer euren Blog 😉 und berate bindungsorientiert), aber es ersetzt keine häusliche Begleitung und sprengt zudem jedesmal die Sprechstunde. Beim Thema Beikost geht es dann weiter… so schade, das diese wertvolle Arbeit immer weniger angeboten werden kann, das macht mich richtig traurig. Umso wichtiger, immer wieder darauf hinzuwirken, dass Familien die Unterstützung erhalten, die sie wirklich brauchen und dass dies in unserem Gesundheitssystem den richtigen Stellenwert erhält! Danke für Eure Arbeit!

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