Wie oft wurde ich in den letzten Jahren gefragt „Warum streiken denn die Hebammen nicht einfach?“. Immer dann, wenn ich über die schwierige Arbeitssituation der Hebammen schrieb – ob nun freiberuflich oder in der Klinik tätig. Es gab viele Gründe, weshalb es keinen Streik gab. Freiberufliche Hebammen sind nicht gewerkschaftlich organisiert. Aber auch bei den angestellten Hebammen waren es eher wenige.
In Sachen Freiberuflichkeit gab es immer wieder mal streikähnliche Bemühungen. Aber zwei, drei Tage ohne Hausbesuche fallen dann doch nicht sonderlich ins Gewicht – außer für die Schwangere oder die Familie, die an diesem Tag Bedarf haben wegen Stillprobleme oder anderen akuten Sorgen. Die freiberufliche Geburtshilfe zu Hause, im Geburtshaus oder in der Belegklinik wurde gar nicht erst mit bestreikt, weil dies den Familien nicht zumutbar gewesen wäre. Dieser kurze Hebammenstreik in Berlin ist schon einige Jahre her.
Inzwischen ist das „Durchwurschteln ohne Hebamme“ für Familien zum Normalzustand geworden. Freiberuflich tätige Hebammen hören auf und kehren in andere Berufe zurück. Die bei vielen Hebammen beliebte Kombination von Arbeit in der Klinik und freiberuflicher Tätigkeit lohnt sich längst nicht mehr. Denn berufsbedingte Auflagen und Ausgaben stehen nicht mehr im Verhältnis zu den Einnahmen. In einigen Regionen Deutschlands findet mittlerweile die Hälfte der Eltern, die sich Hebammenunterstützung vor, während oder nach der Geburt wünschen, keine Hebamme mehr…
Und in den Kliniken hat sich auch nichts gebessert in den letzten Jahren – im Gegenteil. Viele Kolleginnen haben längst das sinkende Klinikschiff verlassen oder ihre Arbeitszeit drastisch reduziert. Es werden eher mehr als weniger. Ein Arbeitplatz, an dem an machen Tagen nicht mal ein Minimum an adäquater Geburtsbegleitung geleistet werden kann, ist emotional hoch belastend. Und vor allem gefährdet es die Sicherheit von Mutter und Kind. Seit Jahren machen Hebammen, aber auch Elternverbände wie Mother Hood oder Patientenschützer darauf aufmerksam. Wer hier auf dem Blog schon länger mitliest, hat es wahrscheinlich etliche Male gelesen.
Es streiken Hebammen und Pflegende
Und ich habe etliche Male hier und da in den Kommentaren gelesen „Warum streiken die Hebammen nicht?“ – und jetzt, kann ich erstmalig sagen: Sie streiken, zumindest in Berlin. Sie tun es stellvertretend für alle Hebammen in den Kliniken in diesem Land, für die es kein Stück besser aussieht. Und wahrscheinlich muss ich es wesentlich lauter in die Welt hinausschreiben! Denn scheinbar geht das Interesse für diesen so wichtigen Streik in der Öffentlichkeit immer weiter unter.
Es streiken natürlich nicht nur die Hebammen, sondern auch die Pflegenden. Auch für sie hat sich die Arbeitssituation immer weiter und weiter angespannt. Fast könnte ich sagen, dass die Zeit, in der ich vor über 20 Jahren als Krankenschwester (heute: Gesundheits- und Krankenpflegerin) tätig war, quasi noch ein Art Pflegeparadies war. Dabei war es schon damals personell so eng gestrickt, dass ich in meiner anschließenden Ausbildung zur Hebamme das ein oder andere Mal vom Kreißsaal auf die unterbesetzte Station gerufen wurde. Nur so konnte bereits damals die Mindestpersonalmenge auf einer Intensivstation so halbwegs eingehalten werden. Wohlgemerkt: Das war im letzten Jahrtausend…
Die Bedingungen in der Pflege und in der Geburtshilfe sind parallel abgerauscht. Im letzten Jahr gab es noch mal etwas Covid-Applaus vom Balkon. Eine Burgerkette verschenkte Gutscheine. Und auch ich hab den kostenlosen BVG-Shuttle-Service nach so manchem Nachtdienst in der Klinik genutzt. Gerade als der öffentliche Nahverkehr auch im Lockdown war. So hat man versucht, das Klinikpersonal bei Laune zu halten. Und bei den Krankenhausmitarbeitenden keimte die vage Hoffnung auf, dass jetzt wirklich mal registriert wird, wie wichtig eine gute und sichere Patientenversorgung ist. Aber das Gegenteil passierte. In manchen Kliniken ist die Lage angespannter als je zuvor. Die Kündigungswelle von erschöpften und völlig desillusionierten Klinikmitarbeitenden hält weiter an.
Dieser Streik geht quasi jeden von uns an
Aber nun streiken sie – endlich! In Berlin gehen seit nunmehr drei Wochen Pflegende, Hebammen und Mitarbeitenden in anderen relevanten Klinikbereichen auf die Straße. Vorrrangig geht es ihnen nicht um mehr Geld, sondern um eine bessere personelle Ausstattung. Dies ist nicht nur ein Streik von und für Krankenhauspersonal. Die ist ein Streik für jeden, der für sich selbst oder seine Angehörigen in Zeiten von Geburt, Krankheit und auch Sterben jemals auf eine professionelle, sichere und eine würdevolle Begleitung gesetzt hat. Es geht also um nahezu fast jeden von uns.
Eine Klinik ist immer nur so gut, wie es den Menschen darin möglich ist, zu arbeiten. Es ist völlig egal, wie modern ein Kreißsaal ausgestattet ist oder welche medizinischen High-Tech-Geräte vorhanden sind. Im Falle des Kreißsaales werden einem die Wandfarbe und die gepolsterte Gebärlandschaft herzlich egal sein, wenn keine Hebamme kontinuierlich dann zugegen sein kann, wenn es die Frau unter der Geburt braucht. Und auch die Apparate-Medizin einer Intensivstation ist wertlos, wenn niemand die daran angeschlossenen Menschen adäquat und zeitnah versorgt.
Dieser Streik geht quasi jeden von uns an. Und dennoch nimmt ihn kaum einer wahr. Wie viele Menschen außerhalb meiner Hebammen-Filterblase haben es nicht mal mitbekommen, dass inzwischen schon seit Wochen gestreikt wird? Und während sich die Medien sonst ja immer gerne mit Hebammenthemen beschäftigen, lese und sehe ich wenig zum Streik. Und noch weniger außerhalb der Berliner Medienlandschaft.
Wo ist der öffentliche Zuspruch? Wer applaudiert?
Die Hebammen streiken. Die Pflegenden auch. Aber nur wenige interessiert es. Gerade, wenn es einen selbst vielleicht aktuell nicht tangiert, weil man weder schwanger noch krank ist. Eine nicht fahrende Eisenbahn betrifft eben viele Menschen unmittelbarer. Aber während die ausgefallene Bahn mich vielleicht nur verspätet oder gar nicht an mein Ziel bringt, können die Auswirkungen in der Klinik wesentlich weitreichender sein. Und die betroffenen Personen im schlimmsten Fall ein Leben lang belasten…
In akuteren Pandemiezeiten hielt das Pflegepersonal nicht nur für Applaus vom Balkon und blumige Worten von Politikern her, sondern auch für Berichte aus dem Klinikalltag. Auch da wurde immer wieder von Klinikpersonal-Seite auf die katastrophalen Umstände im Krankenhausbetrieb hingewiesen. Und es wurde heimlich gehofft, dass das alles doch endlich wieder etwas besser wird. Jetzt wo alle noch mal gesehen haben, wie wichtig ein personell gut aufgestelltes Gesundheitssystem ist. Aber nichts ist besser geworden – im Gegenteil. Leere Klinikkassen führen weiterhin zu Sparrunden beim Personal. Schon zuvor ausgebrannte Pflegende und Hebammen haben spätestens jetzt den schon lang gehegten Kündigungsgedanken in Taten umgesetzt.
Und die, die geblieben sind? Die gehen endlich auf die Straße. Seit nun über drei Wochen. Wo sind die großen und fortlaufenden Medienberichte? Wo ist der öffentliche Zuspruch? Wer applaudiert? Eine große Berliner Tageszeitung hat den Mitarbeitern im Gesundheitswesen kostenlos für mehrere Monate einen kostenfreien Zugang zu ihrer Zeitungs-App als Dankeschön für den Einsatz in der Pandemiezeit zur Verfügung gestellt. Das ist sicherlich eine nette Geste. Aber wahrscheinlich wäre allen in den Kliniken mehr geholfen, wenn dieser Streik gerade täglich auf der Titelseite landen würde. Weil er so wichtig ist – ich wiederhole mich – für uns alle!
Stationen, Ambulanzen und Kreißsäle notorisch unterbesetzt
Es geht bei diesem Streik nicht um mehr Geld für Pflegende und Hebammen, sondern vor allem um Arbeitsbedingungen, die eine angemessene Patientenbetreuung ermöglichen. Diese Betreuung könnte jeder von uns jederzeit benötigen. Oder Familienmitglieder oder Freunde. Ich muss nicht selbst gerade schwanger sein, um empört darüber zu sein, dass eine Frau unter der Geburt die Hebamme mit drei anderen Gebärenden und diversen Ambulanz-Patientinnen teilen muss. Ich muss nicht selbst frisch operiert in einem Krankenbett liegen, um mir vorzustellen, wie lange ich warten muss, wenn eine einzelne Pflegekraft für 20 und mehr Patienten zuständig ist.
Es geht um so viel! Und doch interessiert es scheinbar so wenige. Jetzt, wo die Frage „Warum streiken die Hebammen nicht?“ endlich mit einem „Die Hebammen streiken gerade – zusammen mit den Pflegenden!!“ beantwortet ist, scheint keiner mehr fragen zu wollen. Haben sich einfach alle längst daran gewöhnt, dass Stationen, Ambulanzen und Kreißsäle eben einfach notorisch unterbesetzt sind?
Weitere Informationen zur Berliner Krankenhausbewegung gibt es hier:
Titelbild mit freundlicher Genehmigung vom Berliner Hebammenverband.
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