Emotionale Vaterschaft leben: Warum aktive Väter wichtig für Kinder und Familie sind

Unsere Konzepte von Erziehung sind in einem ständigen Wandel. Sie richten sich mittlerweile an Erkenntnissen aus Pädagogik, Psychologie, Neurowissenschaften und anderen Fachdisziplinen aus. Die erforschen alle die Rahmenbedingungen für körperlich und psychisch gesundes Aufwachsen.

Entsprechend sind auch die Rollenbilder von Eltern in einem Wandel, der sich aus veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, aber auch den Erkenntnissen eben jener Forschungsbereiche zum gesunden Aufwachsen ergeben. Gerade der Blick auf Vaterschaft hat sich in der Forschung sowie in Familien in den letzten Jahrzehnten stark verändert.

Laut Väterreport 2023 finden 55 Prozent der Väter, dass kleine Kinder ebenso gut von ihrem Vater betreut werden können wie von der Mutter. Tatsächlich ist dies nicht nur inhaltlich korrekt, sondern hat auch zahlreiche emotionale Vorteile für die Familie.

Vaterschaft ist ein Tuwort

Der Anteil der Väter, die der Meinung sind, sie könnten kleine Kinder ebenso gut versorgen wie Mütter, ist dem Väterreport zufolge zwischen 2014 und 2023 um fünf Prozent gestiegen. Dieser Anstieg ist durchaus erfreulich. Er zeigt gleichzeitig auch, dass es einen erheblichen Informationsmangel in Bezug auf Sorgearbeit gibt.

Tatsächlich wird das Umsorgen von Menschen gelernt. Es gibt nur wenige Verhaltensweisen, die wir instinktiv als Menschen gegenüber Babys zeigen – und selbst diese sind alters- und geschlechtsunabhängig. Dazu gehören der so genannte Augenbrauengruß, also das Heben der Augenbrauen, wenn wir das Baby ansprechen.

Andere typische Verhaltensweisen sind eine höhere Stimmlage und das Anheben der Stimme, Wiederholungen und längere Pausen sowie langsameres Handlungs- und Sprechtempo und bestimmte Reaktionen wie die Zuwendung beim Weinen eines Babys.

„Mutterinstinkt“ in allen Menschen

Die Autorinnen Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner haben sich in ihrem Buch „Mythos Mutterinstinkt“ ausführlich damit beschäftigt und erklären:

„Das Weinen von Babys löst in uns, egal welchen Geschlechts oder Alters wir sind, eine Art Fürsorgeimpuls aus. Hier hat die Natur vorgesorgt, damit die elementaren Bedürfnisse dieses kleinen Menschen zuverlässig befriedigt werden. Wenn wir also auf dem Begriff ,Instinkt’ beharren wollten, dann scheint der sogenannte ,Mutterinstinkt’ in allen Menschen angelegt zu sein. Und zwar als ,Fürsorgeinstinkt’.”

Wie wir Babys nähren, tragen, ins Bett bringen, mit ihnen spielen, das alles wird allerdings gelernt. Wichtig für diese Lernaufgabe sind Vorbilder, Zeit und Eigenengagement. 

Strategische Inkompetenz überwinden

Tatsächlich wollen Väter diese Zeit auch oft aufbringen. Eine Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie aus dem Jahr 2021 zeigte, dass 45 Prozent der Väter der Meinung sind, zu wenig Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Zwischen 1993 und 2019 stieg die Anzahl der Stunden, die Väter mit ihren Kindern verbringen, von 1,9 auf 3 Stunden. Auch das ist ein Fortschritt.

Gleichzeitig ist es wichtig, dass in dieser Zeit eben nicht nur ausgewählte Tätigkeiten mit den Kindern unternommen werden, sondern das Umsorgen wirklich ganzheitlich gelebt wird. Das Gefühl, ein Kind versorgen zu können, ergibt sich nämlich erst aus dem Tun. Väter müssen Zeit mit dem Kind verbringen, um seine Signale verstehen zu können. Bedeutet diese Bewegung, dass es Hunger hat? Oder will es sich gerade entleeren?

Wenn Väter anwesend sind, die Signale wahrnehmen und richtig interpretieren können, zeigt das Baby Zufriedenheit. Diese Zufriedenheit löst im versorgenden Elternteil wiederum ein Gefühl von Kompetenz aus: Ich kann mein Babys gut umsorgen. Dieses Kompetenzgefühl braucht es, um auf weitere Aufgaben motiviert zuzugehen.

Echte Verantwortung finden

Fehlt das Kompetenzgefühl, ist es leicht, sich bewusst oder unbewusst darauf auszuruhen, „das ja einfach nicht so gut zu können wie die Mama, wie man sieht“. Der Begriff der „strategischen Inkompetenz“ kommt ursprünglich aus dem Businessbereich, wird aber mittlerweile oft in Bezug auf Sorgearbeit verwendet. Dabei muss es durchaus keine böse Absicht sein, sich der Fürsorge oder dem Haushalt zu entziehen. Es geschieht vor allem aus dem Mangel an Erfahrung. 

Was es also braucht, um Vaterschaft zu leben und zu gestalten, ist neben der rein sachlichen Information, dass Väter das auch tun können. Dass es zeitliche Ressourcen durch Elternzeit und Teilzeitarbeit für Väter gibt, um das Eigenengagement zu fördern, es zu lernen und sich auf das Kind einzulassen. Der Erzieher, Autor und Influencer Felix Schenk schreibt in seinem Buch „Hat die Mutti heute frei?“ dazu:

„Der springende Punkt bei aktiver Vaterschaft besteht nicht nur darin, bestimmte Termine zu übernehmen, für die vorher die Mutter zuständig war. Es geht darum, echte Verantwortung für das Leben seiner Kinder zu übernehmen und an ihrem Alltag teilzuhaben.“

Echte Verantwortung zu übernehmen, bedeutet, sich emotional auf Vaterschaft und die Bedeutung der Kindheit für die Entwicklung des Kindes einzulassen.

Kindheit ist keine Zwischenphase

Kindheit ist keine Zwischenphase, die es irgendwie zu überwinden gilt. Sie legt wesentliche Bausteine für unser gesamtes weiteres Leben. Weil Kinder hier lernen, wie Beziehungen gestaltet werden, wie Konzepte von Freundschaft, Liebe, Partnerschaft aussehen können, ob und welche Stimme sie in einer sozialen Gruppe haben. Und sie lernen, welche Wertschätzung andere Menschen ihnen entgegen bringen.

Verantwortung zu übernehmen, bedeutet, den Wert der Kindheit als bedeutsamen Abschnitt des Lebens anzuerkennen und sich dafür einzubringen, ihn bestmöglich zu gestalten durch das eigene Tun. Dazu gehört auch das Schaffen und Unterstützen von guten Rahmenbedingungen für das Wachsen. Und die aktive Teilhabe am Suchen und Aussuchen einer passenden außerfamiliären Betreuung oder Schule sowie ein Blick auf politische Entscheidungen, die die Zukunft der Kinder betreffen.

Die Übernahme von Verantwortung geht also mit der Frage einher: Was wünsche ich mir für mein Kind? Was braucht es, um psychisch und physisch gut wachsen zu können? Wie schon oben thematisiert, hat sich das Wissen um Erziehung in den letzten Jahrzehnten gewandelt. Das bedeutet auch, dass der Weg zur Verantwortung bedeutet, sich damit auseinandersetzen zu müssen, warum man Dinge heute anders tut als früher. Und was das im Rückblick für die eigene Kindheit bedeutet.

Auseinandersetzung mit eigenen Wunden

Sich heute dem zu öffnen, was Kinder wirklich brauchen, geht manchmal mit Kritik an der Vergangenheit einher. Sich neuen Erziehungsmethoden zuzuwenden, die die Ausbildung eines gesunden Selbst unterstützen und die psychische Widerstandsfähigkeit durch sichere Bindungsmuster und demokratische Erziehungsstile stärken, führt manchmal auch durch den Schmerz, das selbst weniger erlebt zu haben. Es führt vielleicht ultimativ zur Abnabelung von den Erziehungsmethoden des eigenen Elternhauses.

Viele Männer trifft diese emotionale Arbeit durch die Vaterschaft ganz neu. Denn die männliche Sozialisation beinhaltet noch immer wenig mentale Gesundheit und emotionale Offenheit. Während Mädchen und Frauen schon früh Empathie und Reflexionsmöglichkeiten erlernen sollen, findet dies bei Jungen und Männern noch immer weniger statt.

Umso stärker können dann die Anforderungen von Erziehung und Vaterschaft heute als Herausforderung empfunden werden. Ohne Reflexion und emotionale Anteilnahme stehen sich sonst häufig verschiedene Erziehungsstile gegenüber. Erziehung wird dann zu einem Streitthema zwischen Eltern, das eigentlich auf fehlender emotionaler Auseinandersetzung beruht.

Emotionale Vaterschaft als Gewinn für alle

Sich dennoch dieser Herausforderung zu stellen, kann ein hilfreicher Impuls sein für die eigene psychische Gesundheit. Es ist aber vor allem ein Gewinn für die Kinder, wenn Väter sich aktiv einbringen und als Sorgepersonen gleichwertig zur Verfügung stehen. Kindern können dann sichere Bindungen zu ihren Vätern eingehen, die von Respekt und Wärme geprägt sind.

Gleichzeitig kann sich diese Verantwortungsübernahme auch auf die Beziehung auswirken, da das wirklich aktive Teilen von Sorgearbeit einen Teil des Stress der sonst mehr Sorgearbeit übernehmenden Mütter reduziert. Dies trägt somit zu einem gesunden Familienklima bei. Und das wiederum wirkt sich positiv auf die gesamte Familie aus.

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