Die Qualität der Eltern-Kind-Bindung ist sehr wichtig für ein Baby – das wissen mittlerweile die meisten Eltern. Nicht selten liegt neben Babyratgebern auch Fachliteratur zum Thema Bindung auf dem Nachttisch, wenn ich als Hebamme zum Hausbesuch komme. Auch Kliniken versuchen, eine bindungsfördernde Umgebung für die Geburt und die ersten Wochenbetttage zu gestalten. Das heißt zum Beispiel, dass Mutter und Kind nach der Geburt möglichst nicht getrennt werden. Sie sollen zu viel Hautkontakt animiert werden und das Stillen wird unterstützt.
Eine positive Entwicklung, wenn man bedenkt, dass vor noch gar nicht allzu langer Zeit ein Neugeborenes im Kinderzimmer auf der Wochenbettstation übernachtete. Es wurde zum Stillen (und dann meist schon unter großem Stress) zu seiner Mutter gebracht. Oder man denke an das obligatorische Babybad im Kreißsaal nach der Geburt. Der Mutter wurde dann ein nach Schaumbad duftendes, komplett angezogenes Bündel in den Arm gedrückt.
Gut also, dass sich unser Bewusstsein für die Bedürfnisse von Eltern und Kindern nach der Geburt verändert hat. Was mir in meinem Arbeitsleben allerdings auch immer häufiger begegnet, sind Mütter, die unter massivem „Bindungsdruck“ stehen. Es sind Mütter, die ihre Bindung und ihre Gefühle zum Kind sehr selbstkritisch hinterfragen. Sie machen das gerade dann, wenn der Start vielleicht nicht ganz optimal war.
Das kann ein unerwarteter Kaiserschnitt in Vollnarkose gewesen sein. Oder vielleicht auch „nur“ die Tatsache, dass sich die Mutter bei der Versorgung der Geburtsverletzung verständlicherweise so unwohl gefühlt hat, dass sie sich gar nicht auf ihr Baby konzentrieren konnte. Auch Schmerzen beim Stillen werden schnell mit diesem Thema verknüpft. Natürlich kann eine Mutter kaum ihrem Kind verzückt beim Stillen in die Augen schauen, wenn sich die Brustwarzen wund und extrem schmerzhaft anfühlen.
Nicht von äußeren Faktoren verrückt machen lassen
Ist deshalb die Bindung zum Kind gleich in großer Gefahr? Natürlich nicht, denn der Bindungsaufbau ist kein Prozess, für den es nur ein ganz bestimmtes Zeitfenster gibt. Und: Die Bindung beginnt schon lange vor der Geburt, auch hier ganz unterschiedlich ausgeprägt. Einige Frauen fühlen sich schon ganz früh eng mit ihrem Kind im Bauch verbunden. Andere brauchen mehr Zeit dafür und vor allem deutliche Zeichen wie Kindsbewegungen oder eben auch den Anstoß, das eigene Baby auf einem Ultraschallbild zu sehen.
Auch nach der Geburt ist es nicht immer sofort „Liebe auf den ersten Blick“. Manchmal braucht es einfach ein bisschen Zeit für Mutter und Kind, sich aneinander zu gewöhnen. Gerade, wenn die Umstände schwierig sind, vielleicht weil ein Kind viel zu früh auf die Welt gekommen ist. Oder deshalb, weil die Mutter noch so sehr von ihrem Geburtserlebnis überwältigt ist. Es gibt viele Gründe, weshalb sich die Mutter-Kind-Bindung – aber auch die zwischen dem Vater und seinem Kind – langsamer oder schneller entwickelt.
Eine Grundlage ist fast immer vorhanden – selbst bei Frauen, die aufgrund einer schweren Wochenbettdepression momentan gerade nicht einmal mit sich selbst gut verbunden sind. Ich vergleiche die Bindung zu unseren Kindern gerne mit einem sehr strapazierfähigen Gummiband. Manchmal sind wir ganz eng und dicht miteinander verbunden und manchmal ist dieses Band lang ausgezogen und belasteter. Aber dieses Band hält, wenn die Grundlagen stimmen. Auch jenseits der Babyzeit fühlen wir uns unseren Kindern immer wieder mal mehr und mal weniger eng verbunden. Aber die generelle Verbindung ist und bleibt da.
Garant für ideale Bindung?
Gerade ganz am Anfang sollten Eltern genug Zeit haben, um ihr Kind kennenzulernen und die Bindung in ihrem eigenen Tempo zu vertiefen. Natürlich gibt es Faktoren, die das begünstigen und die deshalb unbedingt unterstützt werden sollten. Aber auch die Eltern von Frühchen, die ihr Kind vielleicht nur wochenlang mit den Fingerspitzen streicheln durften, können eine genauso gute Bindung zu ihm aufbauen, wie es nach einer ungestörten, selbstbestimmten und komplikationslosen Geburt möglich ist. Die Stillprobleme, das übermäßige Weinen des Kindes oder dessen möglicherweise abgewandte Körperhaltung prognostizieren in der Regel keine Bindungsstörung.
Genauso wenig sind jahrelanges Stillen, das ausgiebig zelebrierte Familienbett und der komplette Verzicht auf den Kinderwagen ein Garant für die „ideale Bindung“. Für eine gute Ausgangsvoraussetzung indes sorgen die eigene Zufriedenheit und Selbstliebe – auch als Eltern. Darum sollten sich Eltern von äußeren Faktoren ebensowenig verrückt machen lassen wie von der Bindungsfachliteratur auf dem Nachttisch. Auf das eigene Gefühl und vor allem auf das Kind in seinen Armen zu hören, ist in vielen Fällen ohnehin der wesentlich bessere Ratgeber für viele Situationen im Familienalltag.
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