Seit sechs Jahren veröffentlichen Anja und ich auf diesem Blog unter anderem auch Texte über das Leben und (gelegentlich auch) das Leiden der Hebammen. Warum auch immer, aber erschreckend viele der bisweilen leider düsteren Szenarien sind eingetreten. Was noch schlimmer ist: Das alles wird immer häufiger einfach so hingenommen. Die Schwangeren und frisch geborenen Mütter und Väter gewöhnen sich daran. Woran gleich nochmal, fragt ihr euch?
Nun, etwa daran, am Kreißsaal direkt abgewiesen zu werden, obwohl man kurz vor der Geburt steht. Alles voll, kein Platz mehr für euch! Wenn Anja mir früher von solchen Szenarien als Ausnahme erzählte, sind sie mittlerweile längst zur Routine geworden. Ebenso wie der Umstand, dass Kreißsäle mal ein paar Tage oder Wochen schließen, weil nicht genug Personal da ist. Und sehr viele Kreißsäle haben in den letzten Jahren ihre Türen für immer geschlossen, was die geburtshilfliche Versorgung in diesen Regionen deutlich verschlechterte.
Wurde anfangs noch über einzelne von einer Schließung bedrohter Kliniken im großen Stil berichtet, ist dies heute oft nur noch einen kleinen Artikel im Lokalteil wert. Was es für die Menschen in diesen Regionen bedeutet, bekomme ich persönlich auf anderem Wege mit. Denn wir bekommen oft Mails von verzweifelten Eltern und wütenden Hebammen. Und ich fühle mich fast ein bisschen schlecht, wenn ich an unsere „luxuriöse“ 2:1-Betreuung (zwei Hebammen, die für Anja unter der Geburt da waren) bei den letzten Hausgeburten denke. Auch in die Klinik hätten sie uns begleitet. Sie waren in der Schwangerschaft und im Wochenbett für uns da. Ich bin nicht nur „Fan“ der Hebammenarbeit, weil es der Beruf meiner Frau ist. Ich habe einfach mehr als einmal erfahren, wie wertvoll die Hebammenbegleitung in dieser besonderen Lebensphase ist. Für die Mütter. Für uns Väter. Für die ganze Familie!
Hebammentasche eingemottet – vermutlich für immer
Deshalb frage ich wohl auch immer als Erstes, ob sie sich schon um eine Hebamme gekümmert haben, wenn Freunde oder Kollegen erzählen, dass sie ein Kind erwarten. Doch mittlerweile bin ich zurückhaltender geworden, weil ich die Realität kenne. Auch früher gab es immer mal Bekannte, die etwas spät dran waren mit der Hebammensuche. Da war es Anja dann meist mit ein, zwei Telefonaten möglich, eine Betreuungsoption zu organisieren. Heute findet sie ja selbst kaum eine Vertretung für ihre Urlaubszeiten. Werde ich also heute gefragt, winke ich meist schon ab, ohne Anja überhaupt zu fragen. Zumindest bei jenen Fragenden, die sich jenseits der 10. Schwangerschaftswoche befinden.
Ich habe in den letzten Jahren viele befreundete und bekannte Hebammen erlebt, die ihren Beruf hinter sich gelassen haben. Erst aktuell hat eine enge Freundin unserer Familie ihre Hebammentasche eingemottet – vermutlich für immer. Sie hat uns als Freundin und auch als Hebamme bei der Geburt der ersten Tochter und in den ersten Wochenbetttagen begleitet. Sie war damals die ersten Tage als Freundin sogar rund um die Uhr bei uns. Eine wunderbare Freundin – und eine sehr gute Hebamme. Aber der Beruf lohnte sich auch für sie finanziell nicht mehr. Außerdem ist es ihr im ländlichen Bereich nicht mehr möglich gewesen, eine Vertretung zu finden, nachdem die vorletzte Hebamme in dieser Gegend auch weggegangen war. Was für ein Verlust!
Ende dieser Entwicklung noch nicht erreicht
Persönlich sind wir sehr wahrscheinlich durch mit unserer eigenen Kinderplanung. Und natürlich frage ich mich, inwieweit mich das Thema beschäftigen würde, wenn meine Frau nicht selbst Hebamme wäre. Sobald die Kinder größer werden, ist man ja auch mit etlichen anderen Dingen beschäftigt. Aber eben: Die eigenen Kinder werden größer und werden vielleicht eines Tages selbst Eltern werden. Was erwartet sie dann? Wie wird die Zukunft der Geburtshilfe aussehen?
Es gibt natürlich engagierte Menschen wie bei Mother Hood, die das Problem längst erkannt haben. Doch bezogen auf die große Zahl von (werdenden) Eltern sind nur wenige wirklich aktiv mit dem Thema beschäftigt. Auch unter den Hebammen ist es nur eine kleine Gruppe, die auch noch zusätzlich Zeit aufbringt, um sich (berufs-)politisch zu engagieren. Und es gibt noch etliche andere Themen, die dringlich sind. Die Situation von Erziehern sieht kaum besser aus…
Wir haben immer Glück und wirklich sehr gute Erfahrungen mit all unseren Hebammen gemacht bei unseren eigenen Kindern. Das ist nicht repräsentativ, aber unsere Wahrheit ist es trotzdem. Erst neulich hat Anja „unsere“ erste Klinikhebamme auf einer Fortbildung getroffen, auf der ich Anja mittags mit unserem vierten Stillkind besuchte. Es ist fast 14 Jahre her, dass sie uns bei der nicht ganz einfachen Beckenendlagen-Geburt begleite. Sie hat sich noch an die Geburt erinnert. Selbst an mich hat sie sich erinnert. Und doch hat auch sie nach über 17 Jahren die Arbeit in der Geburtshilfe endgültig hinter sich gelassen. Immerhin betreut sie noch Familien vor und nach Geburt. Aber die Arbeit dieser erfahrenen Hebamme in der Geburtshilfe wird fehlen.
Leben nur noch für den Job?
Was ich mit diesen Gedanken hier sagen will, auch in Richtung unseres aktuellen Gesundheitsministers Jens Spahn und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Ministerium: Ich glaube, dass wir das Ende dieser Entwicklung noch nicht erreicht haben. Es werden mehr und mehr Hebammen ihren gesellschaftlich und für jede Familie individuell wichtigen Job aufgeben. Sie müssen es tun, denn das Geld reicht bei vielen nicht in Relation zum Aufwand. Auch immer mehr kleinere geburtshilfliche Abteilungen in Kliniken werden sich nicht mehr finanziell tragen können. Und es ist fraglich, wie lange das Personal im überfüllten Kreißsaal die „Arbeit am Limit“ noch mittragen will und kann?
Jaja, in Bezug auf die freiberufliche Hebamme kommt jetzt das Argument, die müsse eben nur ausreichend viel arbeiten. Klar, natürlich kann eine ungebundene Hebamme ohne Kinder mit sehr viel Zeit diesen Arbeitsaufwand leisten und damit ganz anständig verdienen. Aber das gilt eigentlich für jede ungebundene Person in vielen Berufen. Der Preis ist fast immer, dass außer der Arbeit wenig bleibt im Alltag. Dieses Leben nur noch für den Job führt gerade in den helfenden Berufen auch schnell mal zum Burnout. Und so einige kehren danach nie wieder in den Beruf zurück.
Glauben Sie mir, lieber Jens Spahn…
Sobald eine Hebamme dann selbst Familie und Kinder hat, geht die oben gemachte Rechnung immer seltener auf. Und das liegt an den heute existierenden Rahmenbedingungen. Hohe Versicherungskosten für Hebammen in der Geburtshilfe. Schlechte Bezahlung der freiberuflichen Hebammenarbeit bei hohen Ansprüchen an Ausbildung und Fortbildung. Der Vorschlag, einfach mehr zu arbeiten, ist also genauso wenige hilfreich, wie die Idee des Gesundheitsministers, dass die Mitarbeiter in der Klinik doch nur ein paar mehr Überstunden machen müssten, um den Pflegenotstand zu beheben. Schon jetzt ist es kaum noch möglich, angesammelte Überstunden abzubauen, ob nun in der Pflege oder in der Geburtshilfe.
Es bleibt wie es war: Die Bundesregierung lässt die Karre sehenden Auges an die Wand fahren. Das Resultat ist schon jetzt eine nicht mehr uneingeschränkt existente freie Wahl des Geburtsortes überall in Deutschland. Und die nicht mehr existente Garantie auf Hebammenbetreuung vor, während oder nach der Geburt. Das ist die Realität!
Das alles macht mich traurig. Insbesondere auch mit Blick auf meine eigene Frau. Sie liebt ihren Job. Sie ist noch lieber Hebammen als Blog- oder Buchautorin. Das macht sie auch gerne, aber ihr Herz schlägt für etwas anderes. Und glauben Sie mir, lieber Jens Spahn, Anja würde lieber Familien ganz real und täglich helfen, wenn ihr Ministerium endlich mal die Rahmenbedingungen dafür wieder herstellen würde. Dann könnte eine Hebamme auch vom ihrem Beruf leben, wenn sie ihn nicht 80+ Stunden in der Woche machen will.
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