Mit über 40 bin ich vielleicht schon im „Früher war alles besser“-Alter. Aber natürlich war nicht alles besser. Doch vielleicht war manches einfacher? Tatsächlich frage ich mich heute manchmal gerade in der Hebammenarbeit mit jungen Müttern, wie es wohl wäre, wenn ich jetzt mein erstes Kind bekommen würde. Jetzt, im schnellen Informationsüberflusszeitalter.
Natürlich gab es auch schon vor dreizehn Jahren das Internet und auch Facebook war schon am Start. Aber Instagram war doch noch nicht in Sicht. Aber natürlich hatten auch damals schon Mütter ein Informationsbedürfnis und den Wunsch, sich miteinander auszutauschen. Doch irgendwie war alles überschaubarer oder es war leichter, sich dem zu entziehen, was einem vielleicht gerade nicht so gut tut.
Ich weiß noch, wie mich mal die Suche nach einer schadstoffreien Matschhose stresste und überhaupt das Lesen des Ökotest-Magazins mir stets und ständig das Gefühl gab, mein Kind zu vergiften. Also habe ich sie einfach eine Zeit lang nicht mehr gelesen. Gewachste Matschhosen aus Biobaumwolle gab es damals übrigens noch nicht.
Dem Baby sind Muster und Farben egal
Die Windelfrage stellten sich auch Eltern schon vor 15 Jahren. Aber da war der Stoffwindelmarkt noch recht überschaubar. Die meisten blieben bei den guten alten Strickbindewindeln hängen oder benutzten eben Wegwerfwindeln. Heute ist das Angebot so riesig und unübersichtlich, dass es eigene Kurse und Beraterinnen zu dem Thema braucht.
Auch die Tragefrage war „früher“ überschaubarer. Die riesige Auswahl an Tüchern heute ist zwar toll, aber kann auch überfordernd sein. Oder zu nicht nötigen Impulskäufen verführen, denn natürlich braucht niemand für jedes Kleidungsstück ein farblich abgestimmtes Tragetuch. Dem Baby sind Muster und Farben ohnehin egal. Mehr Auswahl erhöht allein die Qual der Wahl. Bei den Fertigtragen gab es damals auch schon den umstrittenen Babybjörn.
Dann kam frisch aus Hawaii importiert der Ergobaby in Deutschland an und wurde als „der heiße Scheiß“ in Tragekreisen gefeiert. Tatsächlich war diese Trage um einiges besser als ihre Vorgänger. Heute gibt es 1001 Tragen. Für jedes Baby, jeden Babyträger und jedes Bedürfnis lässt sich so das ideale Modell finden. Doch auch hier blickt man ohne Beratung schon längst nicht mehr durch. Und darum sind die Beratungsoptionen ja auch sinnvoll, um vor lauter Trageüberforderung dann am Ende gar nicht mehr tragen zu wollen.
Ähnliche Freuden und Sorgen
Natürlich existierten auch schon Elternratgeber damals, aber nicht in dieser Masse. In stressigen Elternphasen las man einfach ein bisschen Jesper Juul, der einem etwas über die Kompetenz der Kinder erzählte und darüber, dass man als Eltern auch Fehler machen darf. Und dann ging es einem wieder ein bisschen besser trotz giftiger Matschhose.
Auch das irgendwie so unsinnige Vergleichen unter Müttern gab es damals schon, allerdings gefühlt etwas dosierter. Da bewunderte oder verachtete man – je nach Tagesform – einmal die Woche die Mutter in der Krabbelgruppe, die alles so mühelos hinbekam und dabei auch noch so gut aussah und ausgeschlafen war. Den Rest der Woche verbrachte man dann einfach mit anderen Menschen, die ganz gut zu einem passten, weil sie ähnliche Freuden und Sorgen bezüglich des Elternseins hatten.
Heute gibt es zu jedem kleinsten Elternthema unzählige Artikel, Bücher und Blogs. Das ist gut, weil man so vielleicht auch eine ungiftige Matschhose und aufbauende Worte in stressigen Zeiten findet. Manchmal aber ist das bestimmt auch ziemlich überfordernd. Dazu kommen die Sozialen Netzwerke, die für uns aus Momentaufnahmen von anderen ein Bild entstehen lassen, dass so selten bis gar nicht real existiert. Denn Instagram ist natürlich nicht immer nur die viel gepriesene Inspiration, sondern kann einen als Eltern an manchen Tagen doch schon ganz schön unter Druck setzen. So wie damals die „Supermama“ aus der Krabbelgruppe nach einer eigenen schlaflosen Babynacht.
„Don’t google with a Kugel“
Aber die meisten Menschen verbringen heute doch wesentlich mehr Zeit im Netz, so dass man sich diesen Stress eventuell dann Tag für Tag und auch noch abends oder in der Nacht gibt. Und obwohl man weiß, dass es einem vielleicht nicht gut geht damit, schaut man doch immer wieder genau dahin.
Der alte Spruch „Don’t google with a Kugel“ ist längst überholt, weil natürlich fast jede Schwangere nach dem Frauenarztbesuch im Netz nachlesen wird, was sie nicht verstanden hat oder ihr noch Sorgen bereitet. Und das meist auch, bevor sie die Hebamme bittet, die ganzen Informationen zu sortieren. Und sie wird trotzdem bei Instagram die sich mühelos beim Pilates oder Yoga verbiegenden anderen Schwangeren sehen, während ihr selbst die gelockerte Symphyse jeden Schritt schmerzhaft macht.
Wenn ich also daran denke, wie mich dieses ganze Mutterwerden vor dreizehn Jahren immer wieder trotz Hebammenhintergrund bisweilen ganz schön doll verunsichert hat, frage ich mich, ob das heute nicht noch viel schlimmer wäre. Letztlich geht es ja nicht um richtig oder falsch, sondern immer darum, den eigenen passenden Weg zu finden. Aber wie findet man den in diesem Überfluss aus Information und Inspiration?
Primär das Gute daraus mitnehmen
Gerade beim ersten Kind ist das eine wirklich Herausforderung. Bauchgefühl allein reicht dabei nicht immer aus. Mit jedem Kind mehr findet man dann ein bisschen leichter und schneller seinen Weg. Trotzdem gibt es auch heute noch ab und an die Tage, an denen ich mich nicht wirklich richtig kompetent fühle als Mutter dieser vier Kinder. Da war ich zu ungeduldig, hab zu ungesund gekocht und das Beschäftigungsangebot für die Kinder war auch eher zwischen langweilig und nicht vorhanden.
Und als Paar waren wir heute auch nicht besonders erfolgreich, sondern eher so wie in unserem Buch auf Seite 78 geschrieben: „Manchmal wird man seinen Partner ganz unempathisch einfach anschreien und ihn überhaupt nicht wertungsfrei mit allerlei Vorwürfen konfrontieren…“ Und tatsächlich sehe ich an diesen Tagen online dann bevorzugt nur all das Perfekte. Natürlich weiß ich, dass das nicht existiert und es überall solche und solche Tage im Familienleben gibt. Das weiß ich vor allem, weil ich in den letzten 15 Jahren als Hebamme einen Einblick in die verschiedensten Familienkonstellationen bekommen habe. Aber wie wäre es, wenn das nicht der Fall wäre?
Ist es also vielleicht komplizierter geworden, das Mutterwerden? Steht man unter dem ständigen Druck, das eigene Elternsein noch ein bisschen mehr optimieren zu müssen? Oder haben junge Mütter einfach mittlerweile einen so selektierten Blick auf all das, dass sie sich vor diesen Verunsicherungen schützen können? Oder vielleicht sogar primär das Gute daraus mitnehmen? Denn davon gibt es reichlich. Schon damals in der Krabbelgruppe, so wie auch heute auf Instagram.
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