Die Umstellung von einem auf zwei Kinder ist auch für Eltern immer wieder herausfordernd – vor allem dann, wenn der Altersabstand eher gering ist. Da hat man ein Kleinkind, um das sich bisher alles drehte. Und plötzlich ein noch viel kleineres Kind, um das sich jetzt auch alles dreht. Derweil kommt einem das erste kleine Kind plötzlich gar nicht mehr so winzig vor. Im Vergleich zu den zarten Neugeborenenhändchen hat es auf einmal riesige Pranken. Und es ist plötzlich auch gefühlt zehnmal so schwer. Das neue Baby ist so erschreckend hilflos und das „große“ Kleinkind kann schon so viel. Und gerade weil dieser Unterschied so deutlich ist, erwarten wir Eltern oft viel zu viel von der großen Schwester oder dem großen Bruder.
So ein Neugeborenes ist ja auch winzig. Aber mit zwei Jahren ist man auch immer noch sehr klein, das ist auch mit drei oder vier Jahren noch so. Und so groß die Begeisterung für den Neuankömmling auch sein mag, die Großen merken recht schnell, dass auf einmal weniger Zeit und Zuwendung für sie da ist.
Kein Kind läuft nebenbei
Da kann man sich als Eltern noch so sehr ins Zeug legen, es wird sich etwas ändern. Denn auch ein zweites, drittes oder viertes Kind läuft nicht nebenbei oder einfach nur so mit. Es hat die gleichen hohen Bedürfnisse wie jedes Baby. Und dafür braucht es die Zeit, Zuwendung und Kraft seiner Eltern. Und elterliche Kraft ist nicht verhandelbar. Mal sind die Akkus leerer, mal besser gefüllt. Das Aufeinandertreffen von verschiedenen kindlichen Bedürfnissen ist nicht immer einfach zu managen
Am Anfang gehen „geschwisterliche Streitigkeiten“ natürlich eher aus Elternsicht von den Erstgeborenen aus. Aber die kleinen Geschwister „schlagen“ schneller zurück, als man so denkt. Doch da man dem großen Kind garantiert schon etliche Male gesagt hat, nicht dieses oder jenes mit dem Baby zu veranstalten, bleiben diese oft weiter in der Verdachtsrolle, während das kleine Geschwisterchen schon längst als Godzilla die aufgebauten Spielwelten im Kinderzimmer platt walzt.
Babys und kleine Kleinkinder sind nun mal auch etwas grobmotorischer, so dass die Kontaktaufnahme auch schnell mal ins Hauen oder Haare ausreißen ausufert. Und natürlich wehrt sich dann das ältere Kind. Und schon weint das Kleinere wieder. Eltern sind dann schnell geneigt, mit dem Größeren zu meckern oder an Vernunft und Co. zu appellieren. Dabei hat man oft die Vorgeschichte gar nicht mitbekommen und sieht nur, was man gerade sieht…
Elternsein lernen wir von unseren Kindern
Die ersten Kinder haben als Einzige wirklich längere Exklusivzeit mit ihren Eltern und sicher auch die meisten Fotos und Glückwunschkarten nach der Geburt. Aber auch sie haben es nicht immer leicht, denn sie haben es auch mit echten Anfängereltern zu tun. Denn alles was wir wirklich über das Elternsein lernen, lernen wir doch vor allem von unseren Kindern. Und nicht aus Ratgebern, Elternzeitschriften oder Blogs. Die zweiten und auch alle weiteren Kinder fallen in ein sicheres Netz von Geschwistern, aber auch von schon etwas geübteren und meist auch gelasseneren Eltern. Viele Situationen sind nicht mehr neu und das gibt Sicherheit.
Manchmal müssen große Geschwister auch allerlei Unfug anstellen, um auf sich aufmerksam zu machen, wenn sie im Babytrubel gerade ein wenig untergehen. Und auch negative Aufmerksamkeit wie Meckern und Motzen ist immerhin Aufmerksamkeit der Eltern. So hat es Astrid Lindgren schon in dem Kinderbuch „Ich will auch Geschwister haben“ beschrieben. Und so wie der große Bruder in diesem Buch die Vase runterschmeißt, muss man vielleicht auch manchmal die kleine Schwester kneifen, um zu sagen: „Ich bin auch noch da“.
Zwischen Ärger, Verständnis und schlechtem Gewissen
Diese Phase ist nicht leicht für Eltern, die dann irgendwo zwischen Ärger, Verständnis und schlechtem Gewissen pendeln und das auch noch meist unter hohem Schlafmangel. Aber mit jedem neuen Kind muss eine Familie sich wieder neu sortieren. Und das darf und wird etwas dauern. Je kleiner die Geschwisterkinder sind, umso chaotischer ist diese Phase, aber auch ein größeres Geschwisterkind, auch ein Schulkind, spürt die Veränderung deutlich.
Deshalb darf auch hier nicht immer nur an die bereits mehr vorhandene Fähigkeit zur Rücksichtnahme appeliert werden. Geschwister sind eine große Bereicherung, aber auch eben ein Stück weit Verlust der exklusiven Elternaufmerksamkeit für das Erstgeborene. Genau wie Eltern sich also beim ersten Kind erst mal daran gewöhnen müssen, dass aus der Zweierbeziehung eine Dreibeziehung wird, muss das größere Kind seinen Platz in der Familie neu finden.
Ein bisschen eifersüchtig
Der Kinderarztes Dr. Carlos Gonzales beschreibt in seinem Buch „In Liebe wachsen“ den Einzug des neuen Geschwisterchens mit folgenden Worten:
„Wir dürfen nicht anstreben oder erwarten, dass ein Kind nicht eifersüchtig ist. Stellen sie sich einmal vor, ihr Mann kommt eines Tages mit einer jüngeren Frau nach Hause: ‚Liebling, ich möchte dir die Laura, meine zweite Frau, vorstellen. Da sie neu ist und sich erst eingewöhnen muss, werde ich ihr viel Zeit widmen müssen. Ich hoffe, da du schon älter bist, wirst du dich gut benehmen und mehr zu Hause helfen. Sie wird bei mir im Zimmer schlafen, damit ich leichter für sie sorgen kann, und du wirst ein eigenes Zimmer ganz für dich alleine haben, da du ja schon groß bist. Du bist doch sicher froh ein eigenes Zimmer zu bekommen? Ach ja, deinen Schmuck teilst du natürlich mit ihr.‘ Na wären sie da nicht auch ein bisschen eifersüchtig?“
Ja, das wäre sicherlich auch für uns Erwachsene eine große Herausforderung. Daran muss man sich wohl immer wieder mal erinnern, wenn man von den Aufmerksamkeitsaktionen der kleinen Großen erschöpft ist. Auch die Zeit für sich selbst nimmt mit steigender Kinderzahl ab – gerade am Anfang. Unterstützende Netzwerke werden für Eltern noch wichtiger. Denn mehrere Kinder lassen sich auch auf mehrere Schultern besser verteilen. So kann auch wieder etwas Zeit und Raum entstehen – für sich selbst, als Paar und eben auch mal exklusiv nur für die kleinen Großen.
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