Die große Wut von kleinen Kindern richtig begleiten

Für viele Eltern ist die Kleinkindzeit eine besonders herausfordernde und intensive Zeit. Gerade erst hat sich der Alltag einigermaßen eingespielt im neuen Familienleben, wird alles wieder auf den Kopf gestellt. Der Grund: Die zunehmenden Bestrebungen des Kindes, die Welt selbst zu begreifen – und die Wut, wenn sich dem etwas (oder jemand) in den Weg stellt.

Wie genau das Kind Selbständigkeit einfordert, ob es forscher auf die Umwelt zugeht oder zurückhaltender, ist unterschiedlich. Ebenso unterscheiden sich Kinder darin, wie sie ihr Unwohlsein, ihre Wut oder Frustration ausdrücken. Gerade Kinder, die hauen, beißen, spucken oder treten, stellen ihre Eltern und andere Bezugspersonen vor die große Frage, wie nun mit einem solchen Verhalten umzugehen ist: bestrafen, begleiten oder ignorieren?

Das Verhalten von Kindern ist höchst unterschiedlich – schließlich kommen sie schon sehr individuell zu uns. Und sie entwickeln ihre ganz persönliche Anlage in Auseinandersetzung mit der umgebenden Umwelt im Laufe der Zeit zu Persönlichkeitseigenschaften. Die Rahmenbedingungen ihrer Umwelt nehmen ebenso Einfluss auf die Entwicklung des Kindes wie die Bezugspersonen.

Kinder müssen Umgang mit Gefühlen erst lernen

Um zu lernen, wie man gut und sozialverträglich mit bestimmten Gefühlen umgeht, brauchen Kinder ihre nahen Bezugspersonen. Sie helfen ihnen in den ersten Jahren, Worte für ihre Gefühle zu finden. Sind Unterstützung dabei, die verschiedenen Gefühle auseinanderhalten zu können, indem sie mit ihnen ergründen, was sie wo fühlen. Und sie helfen, Gefühle auf eine sichere, angemessene Weise auszudrücken. Durch diese Begleitung lernen Kinder, immer besser selbständig mit ihren Gefühlen umzugehen und verinnerlichen passende Handlungsstrategien.

Ziel der Begleitung ist es aber nicht nur, dass Kinder lernen, alle Gefühle selbst gut händeln zu können. Sie sollen eine Kompetenz im Umgang mit ihnen zu erlangen. Das bedeutet beispielsweise auch zu wissen, wann ich bei welchen Empfindungen die Hilfe anderer hinzuziehen sollte. Dieses Lernen ist für alle Kinder wichtig. Gerade Kinder, die eines oder mehrere Gefühle besonders stark ausdrücken oder die eine größere Aggressivität aufgrund ihrer genetischen Ausstattung mitbringen, brauchen eine einfühlsame Gefühlsbegleitung. So lernen sie, ihre Empfindungen gut auszudrücken.

In früheren Generationen lag der Fokus darauf, ein für Erwachsene störendes Verhalten von Kindern möglichst schnell abzustellen. Heute wissen wir, dass das alleinige Abstellen von Verhalten langfristig nicht hilfreich ist. Das Verhalten, das ein Kind zeigt, können wir uns bildlich vorstellen wie die sichtbare Spitze eines Eisbergs über dem Wasser. Unter der Wasseroberfläche befindet sich hingegen ein wesentlich größerer Teil dieses Eisbergs.

Bestrafungen helfen nicht

Dieser zum Verhalten des Kindes zugehörige Anteil sind die Gefühle des Kindes, die zu diesem Verhalten führen und selbst bestimmten Bedürfnissen entspringen. Wenn ein wütendes Kind zuschlägt, sehen wir Erwachsenen nur dieses Verhalten. Früher wurde das Kind in der Folge bestraft. Es sollte sich in eine Zimmerecke stellen oder auf einem stillen Stuhl Platz nehmen und/oder wurde beschimpft und beschämt. Solches Vorgehen bewirkt beim Kind jedoch nicht, dass es die eigenen Gefühle versteht. Auch wird es keine besseren Handlungsstrategien mit dem Gefühl entwickeln können.

Bestrafungen führen lediglich dazu, dass das Kind zukünftig versucht, der Bestrafung zu entgehen. Beispielsweise wird es beim nächsten Mal heimlich hauen, lügen oder die Aggression in sich aufstauen und/oder gegen sich selbst richten. Langfristig kann das zu psychischen und körperlichen Erkrankungen führen und sich negativ auf die Sozialkompetenz des Kindes auswirken. Denn es hat nicht gelernt hat, gut mit Wut und Aggression umgehen zu können.

Sinnvoller ist es deswegen, die Wut und Aggression des Kindes wahrzunehmen. Und dem Kind passende Worte dafür zu geben: “Du bist jetzt gerade richtig wütend!” Oder: “Das hat dich ganz schön verärgert”. Im konkreten Moment der Wut sind Kinder in der Zeit der frühen Kindheit nicht zugänglich für Ratschläge und Tipps. Es bringt nichts, ihnen in diesem Wutmoment zu sagen, dass es das Spielzeug doch aber später auch benutzen kann oder wir morgen wieder zum Spielplatz gehen würden.

Die Wut des Kindes angemessen begleiten

Ihr Gehirn lässt jetzt gerade noch kein rationales Denken zu, sondern reagiert rein emotional. Deswegen ist hilfreich, diese Wut erst einmal zuzulassen. Und dabei darauf zu achten, dass sich das Kind nicht selbst oder andere Menschen verletzt. “Du kannst wütend sein, das ist okay, aber ich möchte nicht geschlagen werden.” Oder auch: “Du kannst wütend sein, aber du darfst aus Wut nicht deinen Bruder beißen.”

Nach dem Abklingen der Wut sind viele Kinder erschöpft und brauchen erst einmal die Nähe ihrer Bezugsperson. Zuwendung kann jetzt signalisieren: Ich hab dich trotzdem lieb. Und: Ich habe dich nicht weniger lieb, nur weil du mal wütend bist.

Im Anschluss kann über die Wutsituation gesprochen werden: Wie hat sich das angefühlt? Woher kam die Wut eigentlich und welches Bedürfnis stand dahinter? Was kann man tun, außer andere zu verletzen? Den Umgang mit intensiven Gefühlen wie der Wut zu lernen, dauert viele Jahre. Nach und nach lernt das Kind, Wut nicht mehr körperlich zu zeigen, sondern sprachlich erklären zu können: “Das, was du gerade gemacht hast, macht mich echt wütend!” Bis zu diesem Satz vergehen aber viele Jahre.

Emotionsbegleitung kostet Energie

Eltern, deren Kinder hauen, beißen, spucken und treten, sind in der Kleinkindzeit besonders beansprucht. Wer ein Kind begleitet, das andere beißt, muss beständig auf die Feinzeichen achten. Nur so kann man schnell eingreifen, um andere Kinder zu schützen oder auch sich selbst. Es kostet viel emotionale Kraft, die Wutsituationen des Kindes nicht nur auszuhalten und zu begleiten, sondern auch noch die vielleicht bei einem selbst entstehende Wut zu zügeln.

Gerade Eltern, die selbst in der Kindheit keinen guten Umgang mit Wut und Aggressionen erlernen durften und bei denen diese Gefühl immer durch Strafen unterdrückt wurden, fühlen sich hilflos bis bedroht durch das eigene Kind. Wenn die Wut des Kindes solche Gefühle auslöst, lohnt es sich, im Rahmen einer Beratung oder Therapie die eigenen Gefühle in den Blick zu nehmen. Und nun im Erwachsenenalter zu lernen, was einem als Kind verwehrt wurde.

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