Ich höre fast täglich irgendwelche Geschichten, in denen Müttern von jemandem aus nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen geraten wird, abzustillen. Vor allem dann, wenn das Kind nicht mehr ganz klein ist und damit „schließlich keine Muttermilch mehr braucht“. Mal ist es der Zahnarzt, der sagt, dass sonst keine Zahnbehandlung mit Betäubungsspritze möglich wäre. Mal ist es die Kitaerzieherin, die annimmt, dass das Stillen die Eingewöhnung nur schwieriger machen würde. Oder der Hausarzt rät zum Abstillen, weil die Mutter über eine allgemeine Erschöpfung geklagt hat. Manchmal ist es aber auch die eigene Mutter. Oder vielleicht der Partner, der meint, dass nun aber doch mal Schluss sein könnte mit der ganzen Stillerei.
Mutter und Kind sehen dies hingegen zumeist ganz anders. Und der Gedanke, von heute auf morgen abzustillen, ist nur schwer oder gar nicht vorstellbar. Das Stillen braucht meist am Anfang seine Zeit, bis sich Mutter und Kind optimal aufeinander eingespielt haben. Genauso braucht das Ende einer Stillbeziehung seine Zeit, damit es ein guter Abschied von dieser Lebensphase wird. Ich glaube, genau das wird viel zu oft vergessen, wenn schnell dahin gesagt wird, dass das Kind nun doch keine Muttermilch mehr brauchen würde. Stillen bedeutet mitnichten nur die Aufnahme von Muttermilch. Aber trotzdem ist genau diese auch noch wichtig und richtig jenseits der ersten Babymonate.
Stillen ist mehr als Nahrungsaufnahme
Gerade über die emotionale Ebene darf nicht einfach hinweggegangen werden. Man braucht eigentlich nur mal kurz dran zu denken, wie viele Eltern (und Kinder) der Abschied vom Schnuller beschäftigt – einem künstlichen, aber dennoch liebgewonnenen Saugersatz. Es gibt zahlreichen Foreneinträge, Blogartikel und sogar Serviceangebote zu diesem Thema. Sei es der Schnullerbaum oder das Angebot einer so genannten Schnullerfee, die sogar persönlich ins Haus kommt, um den Entwöhnungsprozess zu unterstützen. Und trotzdem braucht es einfach oft eine Weile. Auch Eltern überlegen sich „unterwegs“, ihrem Kind doch noch mehr Zeit für diesen Schritt einzuräumen.
Warum sollte es einem Kind, das an der Brust nicht nur Nahrung aufnimmt, sondern auch sein Saugbedürfnis bei Müdigkeit, Stress oder auch Schmerzen wie etwa beim Zahnen stillt, leichter fallen, darauf zu verzichten? Was genau meint also dieser Satz: „Das Kind braucht das doch nicht mehr?“ Und was ist mit der Mutter? Auch ihr Körper und ihre Seele sind auf das Stillen eingestellt. Sie genießt meist die innige Verbindung mit ihrem Kind. Natürlich tut sie das auch auf andere Weise. Aber es ist eben nicht bedeutungslos, ob sie stillt oder eben nicht.
Andere Wege suchen
Wäre es also nicht besser, statt der schnell dahin gesagten und oft stark verunsichernden Abstillempfehlungen einfach mal zu fragen, wie es Mutter und Kind überhaupt damit geht? Um dann entsprechend nach anderen Wegen zu suchen. Zum Beispiel nach dem stillverträglichen Medikament, mit dem die Zahnbehandlung der Mutter schmerzfrei möglich ist. Oder um den Blickwinkel zu ändern, denn vielleicht erschwert ja nicht das Stillen die Kitaeingewöhnung, sondern hilft dem Kind beim Verarbeiten der vielen neuen Eindrücke.
Irgendwann kommt ohnehin für jedes Mutter-Kind-Paar der Zeitpunkt, an dem die Stillbeziehung endet. Doch dieser ist höchst individuell und wird idealerweise von Mutter und Kind ganz natürlich selbst bestimmt. Ein Abstillen, das nicht von Mutter und Kind ausgeht, fühlt sich jedenfalls in aller Regel nicht gut an. Es sollte den extrem seltenen Fällen vorbehalten sein, in denen das wirklich (medizinisch) notwendig ist. Und gerade dann ist eine gute und liebevolle Unterstützung wichtig.
Es geht beim Stillen nicht nur darum, ob die Brust der Mutter Milch produziert. Und deshalb heißt Abstillen auch nicht nur, dass eine Tablette eingeworfen wird oder ein Tee getrunken, um die Milchbildung zu reduzieren. (Fach-)Personen, die das Abstillen aus welchen Gründen auch immer empfehlen, sollten deshalb das große Ganze stets im Blick haben, um Mütter nicht unnötig zu verunsichern oder in Entscheidungen zu drängen, die sich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht richtig anfühlen. Denn Stillen bedeutet etwas – für diese Mutter und für dieses Kind.
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