Es ist egal, ob es ums Thema Babyschlaf, den Geburtsort oder die Schnullerfrage geht. Jeder hat eine andere Meinung dazu und die muss auch geäußert werden.
Die Familienbett-Mütter werden zu Glucken ohne Sexleben gemacht. Den Babybettmüttern wird hingegen gleich eine Bindungsstörung prognostiziert. Es wird bisweilen sehr tief in die Vorurteilskiste gegriffen. Gerade in der Anonymität des Internets wird gerne weit ausgeholt, um anderen Müttern klar zu machen, was sie da gerade alles mit ihrem Kind verbocken, wenn es zum Beispiel in der falschen Tragehilfe sitzt. Essen und Schlafen sind wohl die am kontroversesten diskutierten Themen der Elternwelt. Obwohl es gleichzeitig auch unsere selbstverständlichsten Grundbedürfnisse sind, mit deren Erfüllung auf die eine oder andere Art die Menschheit schon ziemlich lange weiter fortbesteht.
Nicht nur im Netz gibt es diese Diskussionen unter Müttern. Auch auf Spielplätzen oder in der Krabbelgruppe kann man den „Mommy-Wars“ dazu nicht immer entkommen. Ja, es sind die Mütter, die streiten. Ich habe Christian gefragt und er hat mir bestätigt, dass die Schlafsituation unter Vätern in der Regel kein Streitthema ist. Männer klagen auch untereinander über Schlafmangel, nächtliche Unterbrechungen oder Kinderfüße morgens im Gesicht. Aber sie verurteilen sich nicht gegenseitig für das jeweilige Schlafkonstrukt. Warum eskaliert es also so oft unter den Müttern?
Großer „Gegenangriff“ heißt meist starke Unsicherheit
Meine Erfahrung ist, dass diesen Themen immer dann mit Vorurteilen oder harscher Kritik gegenüber dem anderen Weg begegnet wird, wenn jemand sich selbst nicht so ganz sicher ist, auf dem richtigen Weg unterwegs zu sein. Je größer der „Gegenangriff“ ist, umso stärker ist meist die Unsicherheit. Egal, ob es ums Durchschlafen oder die Methode der Beikosteinführung geht.
Dahinter steckt ja eigentlich meist etwas sehr Mütterliches – nämlich der Wunsch, es bestmöglich für die eigene Familie zu machen. Und die ernüchternde Erkenntnis ist immer wieder, dass uns keiner so hundertprozentig sagen kann, was denn nun der beste Weg ist. Alle Empfehlungen sind einem stetigen Wandel unterlegen. Das ist das eine. Dazu kommt, dass Kinder von Anfang an Individuen sind.
Es gibt niemals diese eine Lösung, die für alle gut ist. Familie ist ein System, das in ständiger Bewegung ist. Was heute noch passt, kann sich morgen schon ganz anders anfühlen. Wenn sich aber für mein Gefühl der momentane Weg gut und richtig anfühlt, kann ich ihn einfach gehen. Und zwar ohne mich dafür verteidigen zu müssen oder gar andere Wege als schlechter dastehen zu lassen.
Was sich wirklich bewährt hat
Ich gebe zu, dass es auch mir am liebsten war, wenn ich es in der Babyzeit mit meinem ersten Kind mit Müttern zu tun hatte, die auch lange stillen, im Familienbett schlafen und ihr Kind auch noch nicht nicht mit zwölf Monaten in die Kita geben. Es gibt einem irgendwie „Sicherheit“, wenn andere etwas genauso machen wie man selbst und alle scheinbar glücklich damit sind. Ohne es mir hoffentlich auf professioneller Ebene anmerken zu lassen, waren mir also die Frauen, die es ähnlich machten, einfach ein bisschen näher. Und vielleicht war auch manchmal ein klein wenig innerliche Verurteilung da für diejenigen, die es komplett anders machen.
Ich weiß noch, wie ich immer wieder lang und breit Vor- und Nachteile von diesem oder jenen erklärt und wiederholt habe – auch oft gegenüber Freunden oder der eigenen Familie. Ob es andere überhaupt hören wollten, war die eine Frage… mir war es einfach wichtig. Denn jede Mutter möchte irgendwie bestätigt haben, dass sie es gut macht.
Und wenn alle rundherum Brei füttern, zweifelt man vielleicht doch an der einen oder anderen Stelle, ob Baby-led weaning die richtige Idee ist. Mittlerweile geraten dann schon wieder eher die Brei fütternden Mütter in Erklärungsnot. Während das Familienbett vor vielen Jahren noch eher die Ausnahme in meinem Arbeitsalltag war, ist heute das Schlafen im Extrakinderbett fast schon wieder selten. Zumindest ein Beistellbettchen haben doch sehr viele Eltern mittlerweile.
Mütterliche und väterliche Kompetenz
Es gibt also etliche Entscheidungen zu treffen als Eltern. Bei manchen Dingen weiß man sofort, dass es persönlich passt. Manchmal ist man auch auf dem Holzweg. Was sich wirklich bewährt hat, stellt sich oft erst beim zweiten, dritten oder vierten Kind raus. Nämlich dann, wenn Eltern etwas intuitiv einfach tun, ohne ständig das Gefühl zu haben, es zu überprüfen oder erklären zu müssen. Wenn man diese Sicherheit in sich spürt, muss man weder den eigenen Weg verteidigen noch andere Wege verurteilen. Ganz egal, ob es 90 Prozent der Eltern um einen herum anders machen.
Das Kind bestätigt einem die mütterliche oder väterliche Kompetenz. So kann ich mittlerweile wirklich entspannt und aus vollem Herzen auch Frauen gut betreuen, die vieles komplett anders machen als ich selbst. Frauen, die nur kurz oder gar nicht stillen möchten. Die die geplante Sectio der Spontangeburt vorziehen. Oder die ganz bewusst ins große Perintalzentrum gehen und niemals eine Hausgeburt in Erwägung ziehen würden. Oder die ausschließlich pürierte Beikost geben und diese auch noch aus dem Gläschen.
Es ist immer eine Geschichte dahinter, warum Mütter diese oder jene Entscheidung für etwas treffen. Im besten Fall ist es eine informierte Entscheidung – dazu möchte ich als Hebamme beitragen. Aber an der Stelle sind objektive Fakten auch wesentlich wichtiger als ein emotionales Statement über die vermeintlichen Vorteile meines eigenen Handelns als Mutter.
Eigene Sicherheit vermittelt unseren Kindern Geborgenheit
Und ja, manchmal ist es nicht leicht so ganz andere Wege auszuhalten und mitzugehen. Doch dabei geht es in der Regel nicht um den Geburtsmodus oder den Weg der Beikosteinführung, sondern um kindliche Bedürfnisse, die nicht von den Eltern adäquat beantwortet werden können. Aber auch hier muss man etwas genauer hinsehen. Mann muss die Hintergründe und damit die Ressourcen der Eltern kennen. Oft sind eigene größere Defizite da. Und sie brauchen selbst erst einmal Unterstützung, damit sie ihr Kind entsprechend begleiten können.
Die Tatsache, dass Kinder Liebe und Geborgenheit brauchen, bedarf keiner Diskussion. Doch die Möglichkeiten und Wege, wie Eltern dies ihrem Kind auch spürbar zeigen können, sind sehr individuell. Im Prozess des Elternwerdens kommen häufig auch eigene Geschichten mit hoch, die vielleicht noch nicht ganz verarbeitet sind. Jede Mutter und jeder Vater bringt also auch eine eigene Geschichte mit, die das Handeln bestimmt. Man kann sich deshalb niemals nur aufgrund einer bestimmten Herangehensweise an ein Thema ein Bild davon machen, was andere Mütter „gut oder schlecht“ machen.
Deshalb ist es für mich immer mehr als schwierig, wenn Mütter andere Mütter angreifen oder verurteilen. Wenn sich mein Weg als Mutter für mich stimmig anhört, muss ich das ohnehin nicht. Ich kann über diese Themen sprechen, lesen oder auch schreiben ohne andere Wege abzuwerten. Und wenn es mich doch so stark irritiert, dann ist es manchmal ein guter Anstoß darüber nachzudenken, was es braucht, um mich als Mutter wieder vollständig kompetent und sicher in meinen Entscheidungen zu fühlen. Diese Sicherheit vermittelt auch unseren Kindern Geborgenheit – egal ob im Kinderwagen oder im Tragetuch.
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