Während in England die Gesundheitsbehörde gerade offiziell Frauen mit gesunden Schwangerschaften die Geburt außerhalb der Klinik empfiehlt, schafft sich in Deutschland die Wahlfreiheit des Geburtsortes gerade selbst ab. Und es geht längst nicht „nur“ um die Wahl zwischen klinischer und außerklinischer Geburt. Es geht darum, ob Frauen überhaupt noch von Hebammen in dieser besonderen Lebensphase ihren Bedürfnissen entsprechend betreut werden können. Es ist viel dazu gesagt und geschrieben worden – auch immer wieder von mir hier im Blog.
Doch wenn man den Tatsachen ins Auge blickt, hat sich auch in den letzten Monaten wenig bis gar nichts getan, was irgendwie zu einer echten Verbesserung der Situation geführt hätte. Gefühlt frage ich mich ja schon mein ganzes Hebammenleben lang Jahr für Jahr, ob ich noch weitermachen will unter diesen sich stetig verschlechternden Bedingungen. Es ist nicht besonders motivierend, wenn in einem Job mit den Jahren, die man auch an Berufserfahrung dazu gewinnt, das erwirtschaftete Einkommen immer niedriger wird, weil externe Kosten wie die Haftpflichtversicherung explodieren. Oder auch, weil die immer weiter steigenden Anforderungen an die Dokumentation oder an vermeintliches Qualitätsmanagement und der damit verbundene Zeitaufwand das reale Einkommen weiter sinken lassen.
Vertrauen als geldwerten Vorteil
Immer wieder bin ich an dem Punkt, alles hinschmeißen zu wollen. Schon längst habe ich mir diverse Alternativoptionen gesucht, sei es die Weiterbildung zur Still- und Laktationsberaterin IBCLC oder die zunehmende Vortragstätigkeit im Weiterbildungsbereich. Jedes Mal, wenn ich nach einer Weiterbildung oder einem Kongress die Rechnung stelle, blutet mir innerlich das Herz, wenn ich sehe, wie grundverschieden doch Theorie und Praxis vergütet werden. Sicherlich führt auch die Referententätigkeit, die oft viel Vorbereitungszeit benötigt, nicht zu großem Reichtum. Aber immerhin ist sie angemessen vergütet. Etwas, was ich über die reine Hebammentätigkeit schon längst nicht mehr sagen kann. Und mich immer häufiger frage, ob sie das überhaupt jemals war. Natürlich finde ich es gut und wichtig, dass sich Fachpersonal weiterbildet und dass es dafür geeignete Kongresse und Fortbildungen gibt. Aber noch viel wichtiger finde ich es, dass Eltern und Babys einen gut begleiteten Start ins Familienleben haben. Und darum kann es doch verdammt noch mal nicht sein, dass man die Hebammen so schlecht bezahlt, dass sie ihre Tätigkeit entweder durch andere Jobs querfinanzieren oder aus wirtschaftlichen Gründen gleich komplett etwas anderes machen.
Selbst dieser Blog trägt durch Bannerwerbung oder gelegentliche Produkttests nun im Kleinen mit dazu bei, dass ich mir weiter die Hebammenarbeit „leisten“ kann. Zumindest gibt es mir die Möglichkeit, Zeit zum Schreiben zu investieren, ohne mich mit meinem Hauptberuf weiter finanziell nach unten zu bewegen. Nein, ich möchte nicht den betreuten Frauen Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetika oder IGEL-Leistungen anpreisen. Angebote dafür bekommen Hebammen häufig. Schließlich haben wir ja oft einen großen Vertrauensvorschuss in den Familien, die wir begleiten. Doch genau den möchte ich nicht durch solche Dinge aufs Spiel setzen. Das ist für mich das Gleiche wie die Tatsache, dass viele Krankenhäuser zur Finanzierung ihren Patienten zum Teil unnötige Behandlungen und Operationen „verkaufen“. Gesundheitspersonal hat neben dem Fachwissen meist noch das Vertrauen der Patienten als „geldwerten Vorteil“. Das wird sicherlich zum Teil auch aus der Verzweiflung heraus genutzt, um die teure Praxis abzuzahlen oder einfach nur über die Runden zu kommen. Doch das ist nicht meins und wird es auch nicht werden. Ich bin Hebamme und jenseits davon ohnehin eine eher miserable Verkäuferin…
Ungewisse Zukunftsperspektiven
Den Vertrauensvorschuss der Hebamme möchten auch andere Institutionen nutzen, zum Beispiel die Jugendämter. Die wissen, dass die Familienhebamme oft einfacher in Familien gelassen wird, in denen eine Kindswohlgefährdung vorliegen könnte, als etwa die Sozialarbeiterin. Natürlich ist es absolut sinnvoll im Rahmen der Frühen Hilfen zu schauen, wie es den Kindern in benachteiligten Familien geht und welche Hilfe sie brauchen. Doch auch hier sind mal wieder Zuständigkeiten, Organisation und Vergütung oft völlig ungeklärt, so dass Hebammen auch hier kein sicheres Arbeitsfeld finden, in dem sie halbwegs stressfrei ihren Job erledigen können. Trotzdem absolviere ich gerade mit anderen Berliner Kolleginnen die Weiterbildung zur Familienhebamme. Ungewisse Zukunftsperspektiven sind Hebammen ja ausreichend gewohnt…
Doch auch ich vermeide es ganz bewusst darüber nachzudenken, was wäre, wenn ich meine Kinder und mich komplett allein mit einem Hebammengehalt versorgen müsste. Besonders emanzipiert klingt das nicht gerade. Ich kenne Kolleginnen, die der Alleinverdiener in der Familie und gefühlt immer nur einen ganz kleinen Schritt vom Burnout entfernt sind. Das Thema Altersvorsorge wird von vielen Hebammen meist aktiv verdrängt. Doch es ist nicht nur die unzureichende Vergütung, sondern auch die zunehmende Beschneidung in der Berufsausübung, die einen immer wieder zum Verzweifeln bringt. Für mich gehören alle erlernten Tätigkeitsfelder zum Beruf der Hebamme. Nur schätze ich momentan eine Rückkehr in die Geburtshilfe als völlig aussichtslos ein, wenn wir nicht plötzlich privat im Lotto gewinnen. Wie absurd ist eigentlich dieser Gedanke, viel Geld haben zu müssen, um überhaupt arbeiten zu können…
Qualitätssicherung nur auf dem Papier
Doch wenn ich jetzt nach einigen Jahren mit nur sporadischen Einsätzen in der Geburtshilfe wieder anfangen wollen würde, wäre mir eine vernünftige Einarbeitung sehr wichtig. Das hieße, dass ich als zweite Hebamme erst einmal wieder eine Zeit lang eine Kollegin begleite – sei es nun außerklinisch oder als Beleghebamme im Krankenhaus. Doch auch als zweite Hebamme muss ich mich entsprechend versichern, was mich ab Juli 2015 satte 6274 Euro pro Jahr kosten würde. Ich könnte gleichzeitig aber weder die Geburten noch die Rufbereitschaftspauschale abrechnen, sondern nur einen Stundensatz über eine Dauer von maximal vier Stunden, egal wie lange ich als zweite Hebamme bei einer Geburt im Einsatz bin. Es wird also schnell klar, dass eine Einarbeitung von Berufsanfängern oder Wiedereinsteigern in der Geburtshilfe eigentlich gar nicht machbar ist. Aber wie gut, dass die Krankenkassen so viel Wert auf Qualitätssicherung legen – zumindest auf dem Papier.
Doch immerhin habe ich als Mitglied des Deutschen Hebammenverbandes überhaupt noch die Option, mich geburtshilflich versichern zu lassen. Die Kolleginnen in kleineren Berufsverbänden haben ab Juli 2015 gar keine Möglichkeit mehr, sich entsprechend absichern zu lassen. Was für ein unfassbare Situation, die wahrscheinlich keine weitere Berufsgruppe in dieser Form mit sich machen lassen würde. Ab Sommer 2016 gibt es aber aktuell für alle gar keine Versicherungsoption mehr. Wieder zittern die Hebammen also von Jahr zu Jahr, wie und ob es nun weiter gehen wird.
Immerhin gibt es ja noch die Option der Angestelltentätigkeit. Ich habe tatsächlich auch darüber nachgedacht, doch selbst Kolleginnen, die mit Leib und Seele gerne im Kreißsaal arbeiten, warnen nur davor. Es geht längst nicht mehr um eine mögliche Bereitschaft zu Überstunden, sondern man muss sich bewusst darüber sein, dass das Überstundenkonto rasend schnell prall gefüllt sein wird. Überlastungsanzeigen sind an der Tagesordnung. Doch am schlimmsten ist der Druck, die Frauen nicht so betreut haben zu können, wie man das als Hebamme eigentlich hätte machen wollen: zugewandt, aufmerksam und mit der notwendigen Zeit für alles. Doch diese Geburten sind längst die Ausnahme, wenn der Kreißsaal ausnahmsweise mal nicht überfüllt ist. Dieses hohe Arbeitspensum führt wie überall zu mehr Fehlern und ich erinnere mich noch gut, wie schlaflos ich nach manch stressigem Nachtdienst im Bett lag und das Gedankenkarussell nicht abschalten könnte. Habe ich alles richtig gemacht? Habe ich alles dokumentiert? Habe ich auch nichts vergessen, als ich zwischen drei Geburten gleichzeitig hin und her rannte? Und vor allem immer wieder die Frage, ob ich den Bedürfnissen der gebärenden Frau überhaupt gerecht werden konnte…
Zwischen Traumberuf und Albtraum
Diesen mentalen Stress kann und möchte ich weder mir noch meiner Familie zumuten, deshalb ist eine Klinikstelle vorerst keine Option. Und immer mehr spüre ich, wie beschnitten wir Hebammen in unserer Berufsausübung sind. Oder wie hoch der Preis ist, den wir für unsere Arbeit zahlen sollen.
Irgendwie ist da trotzdem immer noch dieses Fünkchen Hoffnung, dass sich alles zum Guten wendet. Jetzt, wo wir endlich mal gehört werden nach all den Jahren, in denen sich scheinbar niemand für dieses schon lange begonnene Hebammensterben interessierte. Doch immer mehr wächst auch die Erkenntnis, dass wahrscheinlich erst alles komplett am Boden liegen muss, eh man sich wieder darauf besinnt, was wirklich wichtig und richtig ist. Wahrscheinlich werden die Versicherer auch noch bald erkennen, dass die Schwangerenvorsorge und die Wochenbettbetreuung natürlich auch ein Risikopotenzial bergen, dass man besser entsprechend hoch versichern lässt. Die Hebamme wird das schon bezahlen. So wird das weiter gehen, bis auch die letzte von uns ihren Hebammenkoffer hingeworfen hat.
Eins weiß ich jedenfalls ziemlich sicher: Die Betreuung von Schwangeren, Müttern und Babys wird dadurch nicht sicherer werden. Ultraschall, CTG und Wehen-App werden unseren Job nicht übernehmen können. In England hat man mittlerweile erkannt, dass nicht die interventionsreiche Geburtshilfe und Hightech-Medizin bei normalen Verläufen die bessere Option sind. Sondern eine 1:1-Betreuung, die von achtsamen Geburtshelfern geleistet wird. Doch auch die dort nun in den Leitlinien empfohlene Hausgeburt ist am Ende immer nur so sicher und gut, wie die dafür erforderliche kontinuierliche und aufmerksame Begleitung von nicht völlig überlasteten Hebammen. Jedoch kämpfen auch die englischen Hebammen mit ähnlichen Problemen wie wir hier….
Das war jetzt ein recht persönlicher, langer und jammeriger Text zur momentanen Lage. Doch so ist es, das ist die Realität. Und ab und an muss es einfach mal raus. Für die nächsten 18 Monate bin ich zwar noch theoretisch versichert und habe für 2015 genug Veranstaltungen zugesagt, um die Hebammenarbeit zu subventionieren. Aber was danach kommt, ist mal wieder nicht planbar… Doch jetzt gehe ich erst mal wie viele meiner Kolleginnen in diesem Moment los zum nächsten Hausbesuch, vergesse die miesen Begleitumstände dieses Berufes und werde mich wieder daran erinnern, warum Hebamme immer noch mein Traumberuf ist und auch bleibt. Vorerst zumindest.
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