Dies ist der neunte Beitrag in unserer Reihe „Stillen ist bunt“ (alle weiteren findet ihr gesammelt hier), in dem Ruth aus Bayern ihre Stillgeschichte erzählt. Die 35-Jährige lebt mit ihrer Frau und zwei Kindern (6 und 1,5) in Bayern. „Ich bin Anglistin und interessiere mich für Kinder, Küche und Feminismus. Außerdem liebe ich schöne Dinge und alles, was man unter ,gemütliches, skandinavisches Wohnen‘ zusammenfassen kann“, schreibt sie.
Ruth ist gut informiert in die Stillzeit gegangen, weil sie ganz unmittelbar erlebte, wie das Stillen in der Praxis aussieht. Zum einen durch ihre gestillten Geschwister, zum anderen dadurch, dass ihre Frau das erste Kind in der Familie gestillt hat. Diese Erfahrungen haben jedoch eher wenige Mütter. Und noch so gute Bücher oder Stillvorbereitungskurse können diese letztlich nicht ersetzen. Der Besuch einer Stillgruppe und der Austausch dort mit anderen Müttern kann also bereits für schwangere Frauen sehr wertvoll sein, wenn es in ihrem unmittelbaren Umfeld keine stillenden Mütter gibt. Denn das Stillen von kleinen und größeren Kinder selbstverständlich im Alltag zu erleben ist eine Erfahrung, die dazu beiträgt, den eigenen Stillweg zu finden und so zu gehen, wie es persönlich passt.
Nicht naiv, was den Stillstart anging
Was hast du vor deiner Schwangerschaft über das Stillen gedacht bzw. welche Erfahrungen mit dem Thema gemacht?
Ein Baby zu stillen war für mich schon immer eine ganz unaufgeregte Selbstverständlichkeit. Ich wurde selbst gestillt, was Anfang der 1980er nicht üblich war – und ich habe meine Mutter auch beobachten können, wie sie nach mir noch meine zwei weiteren Geschwister gestillt hat. Es gibt auch ein paar ganz unspektakuläre, ungestellte Photos aus der Zeit, auf denen im Hintergrund nebenbei ein Baby gestillt wird. Ich denke, das hat meinen relativ „entspannten“ Bezug zum Stillen schon geprägt.
Ich lebe mit meiner Frau zusammen, die unser erstes Kind bekommen und gestillt hat. Dadurch hatte ich vor meiner eigenen Stillzeit nochmal einen Refresher über all die tausend Themen, die dann doch aufkommen können. Da begann mich dann schon die Wucht der quasi weltanschaulichen Themen rund ums Stillen zu beschäftigen. Allgemein hatte ich aber schon vor unserer „Kinderzeit“ ein bisschen den Eindruck, dass es höchst individuell ist, was man bezüglich des Stillens empfindet. Ich fand es immer befremdlich und auch schade, wenn Frauen Stillen als „blöde Stillerei“ bezeichneten, bei der man dann dem Kind den ganzen Tag „zu Diensten sein müsse“ – da wusste ich schon, dass ich das höchstwahrscheinlich mal nicht so empfinden würde, da ich diese Haltung zu Kindern von vornherein nicht hatte.
Wie hast du dich vor der Geburt über das Thema informiert? Gab es Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf die vor euch liegende Stillzeit?
Da ich allgemein gerne lese und recherchiere, hatte ich schon bei unserem Sohn einige Blogs (Von guten Eltern, Stillkinder, Gewünschtestes Wunschkind) und Bücher (Imlau, Renz-Polster) entdeckt. Ich fühlte mich allgemein eher ruhig und sicher, aber nicht naiv, was den Stillstart anging.
Gefühl der inneren Stabilität
Im Geburtshaus, wo auch schon unser Sohn geboren worden war, gingen die Hebammen sehr einfühlsam und individuell mit mir um. Ich konnte mir also sicher sein, bei etwaigen Problemen Hilfe zu bekommen. Ich wusste vorher schon, dass ich mir bei größeren Schwierigkeiten eine Stillberaterin IBCLC holen wollte und hatte das im Hinterkopf. Die Dauer der Stillzeit wollte ich auf mich zukommen lassen, da auch unser Sohn zwei Jahre gestillt worden war und sich das damals für uns gut angefühlt hatte. Aber stillen wollte ich eben auf jeden Fall.
Wie verlief der Stillstart und wie ging es dir und Deinem Baby dabei? Welchen Einfluss hatte die Geburt auf eure ersten Stillmomente?
Unsere Geburt verlief sehr schnell und unkompliziert im Geburtshaus. Meine Hebamme meinte: Danke, dass ich dir beim Gebären zuschauen durfte. Ich fühlte mich sehr gestärkt durch die Geburt und konnte meine Tochter sofort anlegen. Sie hatte einen unglaublichen Zug, was mich echt überrascht hat, und hat gleich drei Stunden an der Brust verbracht. Nach vier Stunden fuhren wir dann nach Hause und das Wochenbett begann.
Ich denke, dass dieser ruhige und geschützte Beginn auf jeden Fall einen sehr positiven Einfluss hatte. Meine Tochter war die ganze Zeit über sehr ruhig und gelassen und man merkte, dass sie diesen inneren Plan hatte: Ich trinke Milch, ich bin sicher, mir geht es gut. Bei mir kam auch gleich zu Beginn dieses Gefühl der inneren Stabilität auf: Ich muss eigentlich nicht viel (aktiv) tun.
Bei Bedarf Unterstützung durch die Hebammen
Wie lief das Stillen im Wochenbett? Hattest du in dieser Zeit Unterstützung?
Da die sehr guten Geburtshaushebammen in den ersten zehn Tagen ja täglich kamen, war bei mir keine große Unsicherheit da. Meine Frau übernahm den Haushalt und die Betreuung unseres Sohnes. Wir hatten vorher ausführlich über alles gesprochen und auch vereinbart, welche Art von Wochenbett ich mir für mich wünschte. Das Stillen lief gut; allerdings hatte ich die fast klassischen Probleme mit wunden Brustwarzen. Es schmerzte beim Ansaugen teilweise schon sehr und ich lief (oder lag) immer oben ohne herum.
Geholfen hat die Kombination aus Ruhe, Lanolin und Zeit. Leider hatte ich am dritten Tag nach der Geburt sehr hohes Fieber, was nicht wie vermutet vom Milcheinschuss oder fiebrigen Milchstau, sondern von einer gefährlichen Infektion mit A-Streptokkoken kam. Zum Glück hat der mehrmalige ambulante Krankenhausaufenthalt das Stillen nicht negativ beeinflusst; aber auch hier bekam ich immer bei Bedarf Unterstützung durch die Hebammen.
Wer war bei Fragen oder Problemen in der Stillzeit für Dich da? Wer oder was hat Dir besonders gut bei etwaigen Schwierigkeiten geholfen?
Am Anfang die Hebammen aus dem Geburtshaus. Ich hatte zweimal Mastitis und mehrmals Milchstau (BH-Träger schnitt ein, oder zu viel Stress durch einen zu frühen Ausflug im Wochenbett…) und bin in dieser Zeit zur Expertin für meinen eigenen Körper geworden. Die Hebammen erkannten auch, dass ich Gefäßkrämpfe in den Brustwarzen hatte (diese wurden immer wieder weiß und schmerzten) und gaben mir hierzu Tipps.
Stillen gegen die Schwerkraft
Als meine Tochter vier Monate alt war, fing sie plötzlich bei jedem Anlegen an zu weinen und sich wegzudrücken. Man merkte aber, dass sie eigentlich trinken wollte. In dieser Zeit konnte ich nur noch im Stehen stillen und musste sie die ganze Zeit auf- und abwippen. Ich holte mir nun die Stillberaterin nach Hause. Sie konnte sofort sagen, dass es an meinem sehr starken Milchspendereflex lag, dass meine Tochter die Milch für ihr Gefühl mit zu viel Druck in den Mund bekam.
Durch Ausstreichen am Anfang der Stillmahlzeit und Stillen gegen die Schwerkraft konnten wir das Problem gut in den Griff bekommen. Unterwegs stillte ich aber noch für knapp sechs weitere Wochen im Stehen oder Gehen. Mit sechs Monaten hatte sich meine Tochter dann an den Milchfluss gewöhnt oder er hat sich reguliert, das kann ich so gar nicht sicher sagen.
Wie verlief der Beikostbeginn? Welche Erwartungen gab es? Und wie hat sich das Stillen in dieser Zeit verändert?
Bei unserem Sohn hatten wir uns noch von den klassischen Beikostplänen inspirieren, aber nicht unter Druck setzen lassen. Bei unserer Tochter ließen wir es einfach laufen: Sie trank bis zum 5. Monat nur Muttermilch, dann zeigte sie erstes Interesse an Birne und Brokkoli auf unserem Esstisch. Wir machten also BLW, wobei sie auch manchmal Lust auf Brei hatte. Sie nahm den Löffel aber immer nach kurzer Zeit selbst in die Hand und konnte sehr früh schon Hand und Mund koordinieren. Ich vereinbarte noch ein Beikostgespräch im Geburtshaus, aber zugegebenermaßen eher deshalb, weil ich unsere Geburtshebamme nochmal sehen wollte…
Noch keine Gedanken ans Abstillen
Jetzt mit eineinhalb Jahren isst unsere Tochter alles (bis auf Nüsse, rohe Karotten und Äpfel) von unserem vegetarischen Familientisch mit. Das Stillen hat sich kaum verändert; aber ich habe auch nie geplant, da jetzt durch Beikost Stillmahlzeiten zu ersetzen. Nachts hat sie seit Geburt immer schon mindestens vier Stunden am Stück neben mir geschlafen, daher kann ich hier auch keine Veränderung am Stillverhalten feststellen.
Wie verlief der Abstillprozess bzw. welche Wünsche oder Vorstellungen hast du in Bezug auf diese Zeit?
Ich denke noch nicht ans Abstillen und möchte uns beiden einfach Zeit geben. Ich wünsche mir, dass es für uns beide ein schöner Abschied wird. Etwas schade für mich selbst finde ich jetzt schon, dass ich so etwas Tolles kann und immer weiter perfektioniert habe und es irgendwann dann nicht mehr werde anwenden können. Da meine Tochter nachts nicht dauernuckelt, habe ich zum Beispiel auch kein Bedürfnis nachts abzustillen, um mehr Schlaf zu bekommen. Wenn das der Fall wäre, würde ich mich wieder an die Stillberaterin wenden.
Was war oder ist das Schönste für dich am Stillen?
Die Innigkeit, die guten Anti-Stress-Hormone für beide StillpartnerInnen und auch der praktische Anteil (immer Essen/Trinken, immer Trost dabei). Für mich ist das Stillen auch ein wenig die Weiterführung unserer schönen Geburtserfahrung. Ich konnte durch die Geburt und das, was ich geschafft habe, ein wenig mehr in meinem Körper heimisch werden. Für mich ist erstaunlich und schön, welche Chancen für die Beziehung und Kommunikation das Stillen bietet: Ich kann meinem Kind von mir geben, aber ich kann auch klar kommunizieren: Das ist mein Körper und dies ist jetzt meine Grenze.
Es hilt sehr, andere Frauen beim Stillen zu sehen
Dies ist auch wichtig jetzt in der Kleinkindphase: „Es ist ok, wenn du lachst, an der Brust prustest und auch, wenn du hin und her läufst und einmal links und einmal rechts trinkst. Es ist aber nicht ok für mich, wenn du zwirbelst und kneifst.“ Ein Kleinkind zu stillen ist zudem auch wahnsinnig lustig: „Bu-i, hamm, namm, mmmhhhh“ – usw… Außerdem hilft es dem Kind sehr, seine Tageseindrücke zu verarbeiten.
Was war am schwersten oder belastendsten für dich in der Stillzeit?
Eigentlich nur die Erwartungen und Kommentare mancher Mitmenschen. Wobei es sich aber eigentlich in Grenzen hält. Wohl auch deshalb, weil wir als Familie so viele Zuschreibungen unterwandern, dass man von uns eh nichts „Einordenbares“ mehr erwartet. Ich weiß, dass mich einige für eine Glucke halten, weil ich sooo lange stille, das ist mir aber mittlerweile relativ egal. Am Anfang habe ich noch viel mehr erklärt und gerechtfertigt (Bindung, Beziehung, Selbständigkeit usw.), das lasse ich mittlerweile bleiben. Auch, weil ich nicht alle „überzeugen“ kann und dabei zu viel Energie verliere. Ich wünsche mir allgemein ein unterstützenderes Miteinander, weiß aber auch, dass das so einfach nicht ist…
Was würdest du in einer weiteren Stillzeit anders machen? Was ist deine wichtigste Erkenntnis in Bezug auf das Stillen, die du anderen Müttern weitergeben würdest?
Ich würde alles wieder genauso machen: Mich vorher auf die Hilfen besinnen, die es im Notfall gibt, mir und meinem Körper viel Zeit im Wochenbett geben und ansonsten einfach schauen, welcher Mensch mit welchen Bedürfnissen zu uns gekommen ist.
Es hilt sehr, andere Frauen beim Stillen zu sehen – es gibt oft auch Stilltreffs, zu denen man auch schon als Schwangere gehen kann. Sehr hilfreich kann es sein (wenn man der Typ dafür ist und daran sowieso Interesse hat), wenn man sich vorher ein wenig mit den eigenen Zuschreibungen und Glaubenssätzen bezüglich des eigenen Körpers und des gesellschaftlichen Frauenbildes beschäftigt und auch mit der eigenen Familiengeschichte.
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