Als Hebamme darf ich recht viele Neugeborene in den Händen halten und berühren. Frisch geborene Eltern sagen dann oft fast entschuldigend: „Bei dir geht das ja alles viel schneller und sicherer…“ – wenn sie zum Beispiel das Kind zum Wiegen ausziehen. Denn viele Eltern halten heutzutage mit ihrem ersten Kind auch das allererste mal ein neugeborenes Baby in der Hand. Und das ist nun mal etwas ganz anderes als die steife Puppe im Geburtsvorbereitungskurs. Die bleibt ja neben ausreichender Körperspannung auch bei ungelenken Anzieh-Wickel- oder Tragetuchbindeversuche noch immer ruhig und entspannt. Deswegen stelle ich den praktischen Nutzen derartiger vorgeburtlicher Übungsaktionen ohnehin etwas in Frage…
Was aber wichtig zu wissen ist: Eltern müssen und sollen ihre Babys nicht im Schweinsgalopp an- und ausziehen. Sie sollen ihrem Kind mit Zeit und Ruhe begegnen. So lernen sie ihr Baby kennen und werden schon bald sicherer und routinierter im Umgang mit ihm werden. Auch wenn es aus Hebammensicht wirtschaftlich äußerst unklug ist (Hausbesuche werden pauschal und nicht nach der tatsächlichen Anwesenheitszeit bezahlt), lasse ich darum die Eltern ihr Kind bei den Hausbesuchen selbst an- und ausziehen. Schließlich sollen sie ihr Kind „lesen lernen“. Und für jedes Baby sind die Berührungen der eigenen Eltern sicher am wertvollsten.
Deshalb ist es auch ein schöner Lebensbeginn, wenn die ersten Hände, die das Baby direkt nach der Geburt berühren, die seiner Mutter sind. Wenn man einer Mutter das Baby nach der Geburt nicht gleich auf den Bauch „klatscht“, wird sie erst mal einen Augenblick ihr gerade geborenes Kind anschauen. Dann vielleicht zart seine kleine Hand greifen und letztendlich das Baby ganz nah an sich heran nehmen. Aber eben meist so, dass sie Blickkontakt mit ihm halten kann. Dafür ist eine aufrechtere Gebärposition von Vorteil, wie sie es ohnehin für die Geburt ist. Aber auch nach anders verlaufenden Geburten kann man die Mutter so unterstützen, dass sie sich ihr Baby selbst nehmen können.
Bonding nachholen
Bei einer Bauchgeburt per Kaiserschnitt oder auch anderen geburtshilflichen Komplikationen ist diese Option nicht immer gegeben. Aber auch hier wird mehr und mehr darüber nachgedacht, wie man den Mutter-Kind-Kontakt von Anfang an auch im OP optimieren kann. Ist dies zum Beispiel aufgrund einer Vollnarkose nicht möglich, übernimmt der Vater hier idealerweise das erste Bonding – gerne im direkten Hautkontakt. Wenn die Operation beendet ist bzw. wenn nach einer Vollnarkose die Mutter wieder wach und ansprechbar ist, sollte das Baby natürlich sofort auch mit Mama bonden können.
Wenn die gesamte Situation sehr belastend war, kann das erste Bonding mit einem für Mutter und Kind heilsamen Baderitual „nachgeholt“ werden. Dabei wird das Baby in entspannter Atmosphäre direkt neben seiner Mutter gebadet. Anschließend nimmt sie ihr Baby noch nackt auf ihren ebenfalls unbekleideten Oberkörper. So können die beiden sich noch mal ganz entspannt außerhalb der OP-Atmosphäre oder anderen schwierigeren Umständen und den damit verbundenen Einschränkungen kennenlernen – und ineinander verlieben. Dieses Babyheilbad lässt sich beliebig wiederholen. Da es genau wie das Erleben direkt nach der Geburt große Gefühle hervorrufen kann, sollte dafür auch genug Raum und Zeit eingeplant werden. Vielleicht für ein paar Tränen, die an der Stelle noch mal fließen möchten. Oder auch für das Gespräch mit dem Partner, der Partnerin oder der Hebamme.
Kangarooing hilft beim Ankommen
Berührung ist für Babys lebenswichtig, schon für ganz kleine Menschenkinder. Nicht umsonst ist das Känguruhen, also das Kuscheln im direkten Hautkontakt mit den Eltern, fester Bestandteil in der Pflege von Frühgeborenen. Und es ist mindestens genauso wichtig wie die medizinische Versorgung. Nicht nur die Atmung und die Temperaturregulation werden positiv beeinflusst. Sogar die Gewichtszunahme der Kleinsten profitiert vom Kangarooing. Und natürlich ist auch für die Eltern gerade nach einem zu frühen und schweren Start so heilsam ihr kleines, zartes Kind so nah und direkt zu spüren.
Hautkontakt ist so wichtig für jedes Neugeboren. Eltern dürfen sich vorsichtig und langsam an den anfangs so neuen Umgang mit ihren Babys herantasten. Trotzdem können sie ihr Kind gerne gut spürbar anfassen, da Neugeborene und vor allem Frühchen dieses gegenüber zu seichten Berührungen bevorzugen. Schön ist es, wenn den Kindern die Berührung wie etwa das Hochnehmen zuvor angekündigt wird. Wenn das Hochnehmen dann noch geschmeidig über die Seite geschieht, wird auch nicht der Moro-Reflex ausgelöst. Das ist jener Umklammerungsreflex, bei dem das Baby ruckartig die Arme streckt und die Finger spreizt.
Liebevolle Begegnung statt Wickeln im Akkord
Das Anziehen, Baden oder Wickeln ist also so viel mehr als ein routinierter, möglichst schneller Pflegeakt – es ist eine liebevolle Begegnung und gleichzeitig taktile Stimulation für das Kind. Kinderkrankenschwestern oder Hebammen mussten in Zeiten vor dem Rooming-In (die Neugeborenen sind im Krankenhaus Tag und Nacht bei ihrer Mutter) meist nachts oder frühmorgens alle Neugeborenen auf der Säuglingsstation baden. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei.
Weder müssen die Kinder nachts alleine im Säuglingszimmer der Wochenbettstation stehen noch jeden Tag ein schäumendes Reinigungsbad über sich ergehen lassen. Also muss dies auch nicht mehr im Akkord geschehen. Die kindlichen Bedürfnisse sollten in allen Kontexten beachtet werden, ob beim Wickeln oder bei Untersuchungen. Und die Entscheidung, wann das erste Bad des Kindes stattfindet, ist immer den Eltern überlassen. Notwendig ist es in den ersten Tagen sicherlich nicht. Und es kann auch gerne zu Hause das gemeinsame stressfreie Bad geborgen in Mamas oder Papas Arm in der großen Badewanne sein.
Wie und wo auch immer, Eltern dürfen sich sicher sein, dass ihre Hände für ihr Baby immer die sanftesten, zärtlichsten und sichersten sind. Es geht nicht um Schnelligkeit oder routinierte Handgriffe. Es geht immer um Liebe.
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