Dies ist der 28. Beitrag in unserer Reihe „Stillen ist bunt“ (alle weiteren findet ihr gesammelt hier), in dem Sonja ihre Stillgeschichte erzählt. Die 42-Jährige ist verheiratet und hat zwei Kinder. Sie ist Lehrerin, ihr Mann arbeitet als Arzt und sie wohnen in der Stadt. „Unsere Töchter sind jetzt fast 2 und 4. Ich habe zwei sehr unterschiedliche Stillgeschichten“, schreibt sie.
Hier erzählt sie von ihren anfangs hohen Erwartungen an das Stillen und der Enttäuschung, als alles doch ganz anders lief. Trotz vieler körperliche und emotionaler Herausforderungen hat Sonja ihren eigenen Weg zwischen Stillen und Abstillen gefunden.
Hebamme als Still-„Komplizin“
Was hast du vor deiner Schwangerschaft über das Stillen gedacht bzw. welche Erfahrungen mit dem Thema gemacht?
Stillen war für mich das natürlichste der Welt. In meinem Freundeskreis gab es schon sehr viele Kinder und die verschiedensten Still- und Flaschengeschichten. Keinen Weg haben wir in Frage gestellt oder weiter hinterfragt. Das war beim ersten Kind.
Beim zweiten Kind hatte ich so etwas wie einen Plan, der mich davor schützen sollte, dieselben Fehler wie beim ersten Mal zu machen. Das Stillen war beim ersten Kind eine sehr unschöne Erfahrung, verbunden mit sehr viel körperlichem Schmerz, Schuldgefühlen und Versagensängsten. Dies hat auch unsere Beziehung sehr belastet.
Ich hatte beim zweiten Kind eine neue Hebamme, mit der wir diesen Plan besprachen und die wir zu unserer „Komplizin“ machten. Der Plan war, zeitliche (Belastungs-)grenzen zu setzen und notfalls viel früher zuzufüttern oder gar abzustillen. Das nahm sehr viel Druck aus der Sache. Gefühlt hatte mich der erste Stillstart viel Bindung zu meinem Kind gekostet. Das wollten wir dieses Mal verhindern.
Großen Respekt und auch Angst vorm Stillen
Wie hast du dich vor der Geburt über das Thema informiert? Gab es Wünsche und Vorstellungen in Bezug auf die vor euch liegende Stillzeit?
Da mein Mann und ich viele Jahre in einer Kinderwunschbehandlung waren, hatten wir ehrlich gesagt andere Themen, die unser Leben prägten. Bei der letzten Punktion kam es bei mir zu inneren Blutungen und ich musste notoperiert werden. Wir haben trotzdem den Transfer gemacht, da es für uns die „letzte Chance“ war.
Es hat tatsächlich geklappt… und ich war plötzlich überfordert. Wir hatten die Kinderwunschzeit wirklich gut gemeistert und ich dachte, der Himmel müsste nun voller Geigen hängen. Tat er aber nicht, denn die Ängste und Sorgen hörten nicht auf, sie verlagerten sich bloß. Alles fühlte sich weiterhin so unsicher an. Nur beim Stillen war ich mir ganz sicher. Ist ja das natürlichste von der Welt, hier kann nichts schief gehen. Abgehakt. Ich hatte genug andere Baustellen. Es lief leider anders.
Beim zweiten Kind hatte ich großen Respekt und auch Angst vorm Stillen. Aber die Hebamme und wir haben wirklich alle möglichen Schwierigkeiten und Lösungswege durchgesprochen. Mit ganz viel Humor. Das hat geholfen.
Mein Mann und ich waren so wahnsinnig überfordert
Wie verlief der Stillstart und wie ging es dir und Deinem Baby dabei? Welchen Einfluss hatte die Geburt auf eure ersten Stillmomente?
Die erste Schwangerschaft verlief schwierig, mit starker Übelkeit bis zum Schluss, starker Gewichtszunahme und einer Gestose kurz vor der Geburt. Daher stand ich auch die letzte Woche meiner Schwangerschaft im Krankenhaus unter Beobachtung und es wurde chemisch eingeleitet. Bis zum Schluss glaubte ich, dass die Geigen am Himmel schon kommen würden. Duftkerzen hatte ich dabei, Musik. Diese Geburt MUSSTE schön werden. Wurde sie aber nicht. Ich war Schmerzen gewohnt, aber das übertraf alles.
Das Kind war da… und wieder keine Geigen. Mein Mann und ich waren so wahnsinnig überfordert. Mit allem. Das erste Anlegen klappte gar nicht, aber alle um uns herum blieben entspannt. Ich hatte weder Pumpe, noch Flaschen, noch Milchpulver zu Hause. Im Krankenhaus fing ich dann mit dem Pumpen an, da die Tochter eh schon ein Fliegengewicht war und weiter Gewicht verlor. Zuhause kam der Milcheinschuss, mit Fieber und Schüttelfrost und ich wusste nicht was das war. Unsere Hebamme hatte dieses Thema wohl vergessen. Diese ganze Geschichte ging an der Tochter natürlich auch nicht spurlos vorbei und so fing sie an zu schreien. Laut und kräftig. Nach drei Monaten hörte sie endlich auf damit.
Beim zweiten Kind verliefen schwanger werden (wieder künstlich) und sein viel einfacher. Auch die Geburt startete einfach mal normal. Mit Wehen bekommen, in die Klinik fahren und Kind bekommen. Und dann war sie da. Fast 4 Kilo schwer und sofort nach meiner Brustwarze suchend. Ich stillte noch im Kreissaal. Erste Geigen zeigten sich am Himmel. Das war dann nicht nur Stillen, sondern auch Therapie für die erste Schwangerschaft und Geburt.
Ich stillte gefühlt den ganzen Tag
Wie lief das Stillen im Wochenbett? Hattest du in dieser Zeit Unterstützung?
Unsere erste Hebamme kam jeden Tag zu uns. Sie ist eine tolle Hebamme, aber in der damaligen Situation war sie nicht die passende für uns. Ich war körperlich und emotional am Ende, rutschte in die Depression. Meinem Mann ging es ähnlich. Er wollte das Stillen endlich beenden, da er meinen Kampf nicht mehr mit ansehen konnte. Ich schrie bei jedem Anlegen, Hebamme und Mann mussten mich an den Armen festhalten, bis der erste stechende Schmerz weg war. Meine Brüste waren so groß, dass kein BH mehr passte und wir sie einfach nur festgebunden haben.
Ich stillte gefühlt den ganzen Tag. In der Stillpause pumpte ich. Tag und Nacht unterschieden sich nicht mehr. Wir fütterten immer ein bisschen zu. Die Hebamme stellte mich dann vor die Entscheidung: Stillen oder Flasche. Ich wollte natürlich stillen, welch eine Frage. Dafür sollte ich 24 Stunden lang keine Flasche geben, nur Brust. Dieses Vorgehen war Folter, für alle Beteiligten. Kein Schlaf, auch keine Tränen mehr, nur noch überleben, Ich fing an das Stillen zu hassen. Für meine Tochter hatte ich gar keine Gefühle mehr. Trotzdem stillte ich nicht ab. Nach etwa vier Monaten klappte es sogar. Ohne Stillhütchen und fast ohne Schmerz. Nur nachts gaben wir ihr die Flasche. Mit ihr konnte ich zumindest ein, zwei Stunden am Stück schlafen und meine Brüste konnten sich erholen.
Beim zweiten Mal waren wir besser vorbereitet. Wir hatten gelernt, dass wir das nicht alleine schaffen können. Im Vorfeld hatte ich klar geäußert, wie Freunde und Familie uns helfen können. Was zu machen ist, wenn ich wieder in die Depression rutsche und dass es das Stillen um jeden Preis diese Mal nicht geben sollte. Ich blieb tatsächlich zwei Wochen lang im Bett, mein Mann hatte lange Elternzeit und wir waren allein schon durch die erste Tochter anders fokussiert. Das war gut so, denn die Stillprobleme waren dieselben wie beim ersten Kind. Wahnsinnige Schmerzen, riesige und schmerzende Brüste, ein Zungenbändchen, was gekürzt werden musste, Abpumpen und jedes mal große Panik vorm Anlegen.
Ich war ja so erleichtert
Wir überlegten zur Stillberaterin zu gehen. Haben uns aber dagegen entschieden. Die Zeit rannte schon wieder davon, alles drehte sich erneut nur ums Stillen und ich hatte so Sehnsucht danach, einfach nur dieses Kind zu genießen. Ich pumpte drei Monate lang ab, Tag und Nacht. Auch diese Tochter schrie und schrie und schrie. Da war nichts anders als beim ersten Mal. Die Rahmenbedingungen waren aber einfach andere.
Wir rannten nicht von einem Arzt/Osteopathen/Heilpraktiker/Berater zum nächsten, sondern gaben uns gegenseitig Auszeiten und genossen die erste Tochter. Wir teilten uns die Nächte auf, ließen uns bekochen und lachten so oft es ging. Und so hörte auch dieses Kind wieder nach exakt drei Monaten auf mit dem Schreien und wir waren nicht völlig am Boden zerstört, sondern stolz auf uns, diese Zeit geschafft zu haben. Die erste Tochter stand ein paar Tage später dann vor der Milchpumpe und schrie sie an. Das war das Zeichen für uns abzustillen. Ich war ja so erleichtert.
Wie verlief der Beikostbeginn? Welche Erwartungen gab es? Und wie hat sich das Stillen in dieser Zeit verändert?
Bei der ersten Tochter begannen wir so mit acht Monaten mit Brei. Das klappte zum Glück sehr gut. Wir gingen den ganz klassischen Weg. Nach etwa einem Jahr aß sie immer mehr bei uns mit, wollte aber noch sehr lange Brei. Das Abstillen ging sehr schnell und nebenher. Ich habe sie aber auch nie voll gestillt.
Entspannt durch die Fläschchenzeit
Die zweite Tochter interessiert sich schon sehr früh für unser Essen. Mit fünf Monaten lutschte sie an Gurken und Möhren. Brei wollte sie nie. Ich hatte sie nach drei Monaten abgestillt, dieses Mal gezielt, da sie ja nur abgepumpte Milch bekam. Und so aß sie sehr schnell einfach mit vom Tisch.
Erwartungen hatte ich bei beiden Kindern nur die, dass sie gerne essen. Egal wie und egal wie viel. Nebenher gab es weiterhin die Flasche.
Wie verlief der Abstillprozess bzw. welche Wünsche oder Vorstellungen hast du in Bezug auf diese Zeit?
Zum Glück bei beiden Kindern sehr unkompliziert.
Was war oder ist das Schönste für dich am Stillen?
Meine Stillerfahrungen waren leider nicht die schönsten. Das Rauschen der Milchpumpe habe ich bis heute noch in den Ohren. Bei der ersten Tochter hat es ein paar Monate ganz gut geklappt und ich fand es richtig schön.
Bei der zweiten Tochter habe ich nie mit der Brust gestillt, außer das eine Mal direkt nach der Geburt. Das habe ich lange vermisst. Aber ich habe bei ihr darauf geachtet, dass Fläschchen geben ebenso eng am Körper statt fand wie beim Stillen an der Brust. Es fühlte sich genauso emotional und gut an, wie beim „richtigen“ Stillen. Das hat mich sehr entlastet und entspannt durch die „Fläschchenzeit“ gehen lassen.
„Du bist eine tolle Mutter, auch wenn du mit dem Stillen aufhörst.“
Was war am schwersten oder belastendsten für dich in der Stillzeit?
Die Selbstvorwürfe, die ich mir machte. „Jeder kann stillen“, „Probiere noch das und das und das und das“, „Entspannte Mutter, entspanntes Stillen!“. „So weh kann es doch gar nicht tun!“ – diese Sätze schwirrten bei der ersten Tochter ständig in meinem Kopf herum. Fläschchen habe ich teilweise heimlich gegeben. Mit dem heutigem Abstand macht es mich einfach nur traurig, dass das Thema Stillen uns so wahnsinnig dominiert und belastet hat und vieles dadurch verloren gegangen ist.
Bei der zweiten Tochter war einfach das Abpumpen unglaublich anstrengend und nervig. Aber emotional ging es mir viel besser. Stillbücher habe ich gar nicht erst gelesen, sondern sehr auf mich bzw. uns gehört. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass sich für mich das Fläschchen geben genauso gut und emotional angefühlt hat wie das Stillen an der Brust. Beide Kinder trinken bis heute ihre Milchflasche bei mir im Arm und wir genießen es alle.
Was würdest du in einer weiteren Stillzeit anders machen? Was ist deine wichtigste Erkenntnis in Bezug auf das Stillen, die du anderen Müttern weitergeben würdest?
Zum Glück habe ich bei der zweiten Stillzeit vieles anders gemacht. Ich habe mir zeitliche Limits gesetzt (eine Woche lang pumpe ich tagsüber und nachts alle zwei Stunden. Dann schaue ich, ob das noch geht und ändere es ggf.). Hierbei hat mich die Hebamme begleitet. Sie hat mir auch immer wieder gesagt: „Du bist eine tolle Mutter, auch wenn du mit dem Stillen aufhörst. Bindung geht auch mit dem Fläschchen. Du bist kein schlechter Mensch, nur weil du nicht stillst!“ In dieser emotionalen und hormonellen Ausnahmezeit kann man das gar nicht oft genug hören.
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