Als ich vor vielen Jahren als junge Hebamme in die Freiberuflichkeit startete, wusste ich alles über das Thema Beikost. Zumindest theoretisch. Da das Thema in der Ausbildung doch eher etwas kurz kam, hatte ich noch zwei Weiterbildungen besucht und alles an aktueller Literatur gelesen, was es damals so gab.
Ich wusste alles über mögliche Allergene und wie man diese weiträumig in der Beikostphase umschifft. In einer der Fortbildungen hatte ich sogar gelernt, dass man Bananen besser vorab dünstet, da sie so verträglicher für das Baby sein sollten. Am besten sollte man aber Südfrüchte gleich komplett weglassen. Wie vieles anderes. Dass sich dieses Meiden von potenziellen Allergenen später sogar als kontraproduktiv rausstellen sollte, wusste man 2002 noch nicht.
Aber auch darüber hinaus kannte ich den Bedarf eines Babys an bestimmten Nährstoffen und genau Mengenangaben für die korrekt zusammengesetzte Breimahlzeit. Kochen mit der Briefwaage sozusagen. Es gab für verschiedene Lebensmittel verschiedene Monatsangaben, die besagten, ab wann deren Verzehr „sicher“ war.
Gewappnet mit all diesem Zahlenmaterial ging ich in die Beikostberatung, die damals zumindest nicht vor dem 7. Lebensmonat überhaupt ein Thema war. Denn dass im ersten halben Jahr ausschließlich gestillt bzw. Pre-Nahrung nach Bedarf gefüttert werden sollte, war klar. Diese sehr strikte Handhabung wurde natürlich auch nicht allen Kindern gerecht. Ab und an, wenn auch eher selten, ist ein Baby auch schon mal etwas früher bereit für die ersten Beikostversuche.
Beikoststress zwei Monate später
Insgesamt ging der Beikoststress damals also erst etwa zwei Monate später als heute los. Das wurde den meisten Babys doch gerechter, als wenn wie heute schon im fünften Monaten darauf hingewiesen wird. Es war früher also nicht alles schlechter, was in Sachen Beikost gerade so aktuell war. Doch die restlichen Gebote und Verbote sorgten damals für allerlei Stress. Wehe, das Baby hatte zu früh, also vor seinem ersten Geburtstag, von der glutenhaltigen Brotscheibe abgebissen. Später sollte dann ja die möglichst frühe Glutenexposition vor einer Zöliakie schützen. Diese These stellte sich dann aber einige Jahre später auch als nicht haltbar heraus. Damit die Eltern also nicht den Überblick verlieren bei all diesen „wichtigen Beikostregeln“, hatte ich damals ein mehrseitiges Skript erstellt, auf dem alle Informationen zusammengefasst waren.
Soweit die Theorie. In der Praxis gab es früher wie heute Babys, die sich herzlich wenig aus diesen ganzen Empfehlungen machen. Die sich nicht an Breipläne halten, auch mit zehn Monaten noch überwiegend stillen und dabei nicht vom prognostizierten Nährstoffmangel bedroht waren. Babys, die erst gar keine Lust darauf hatten, sich füttern zu lassen. Oder dieses Essen in breiiger Konsistenz überhaupt zu probieren. Es waren Babys, die mehr oder weniger aßen, als es die Beikosttabelle vorsah.
Babys, die es eine Woche so und die andere Woche so machten. Und neben diesen Babys traf ich zum Glück auch immer Mütter, die ihre Babys einfach machen ließen. Die Vertrauen in ihr Kind hatten. Mütter, die sahen und wussten, dass ihr Kind gut gedeiht, auch wenn ganz anders isst, als der Beikostplan es für dieses Alter gerade empfehlen würde.
Von Babys und Müttern gelernt
Von diesen Babys und diesen Müttern habe ich letztlich wesentlich mehr gelernt, als in all den didaktisch gut aufbereiteten Beikostfortbildungen. Als dann zwei Jahre später mein erstes Kind im Beikostalter war, war ich vielleicht etwas irritiert, das hier bei uns nichts „nach Plan“ lief. Aber ich war nicht wirklich besorgt. Mein Kind würde schon wissen, was es braucht. Mit jedem weiteren Kind wurde das Thema Beikost „uninteressanter“. Alle aßen irgendwann vom Tisch mit. Ein Kind früher, ein Kind später. Und rundherum wurde mal mehr, mal weniger und manchmal wieder ausschließlich gestillt.
Heute sehen etwaige Beikostpläne zwar etwas lockerer aus, aber Sorgen machen sich weiterhin viele Eltern. Die 2009 veröffentlichten und 2014 aktualisierten Leitlinien zur Allergieprävention machten den Weg dafür frei, dass Babys so gut wie alles an Lebensmitteln probieren durften. Auch Bananen wurden nicht mehr gedünstet. Und das mit dem Gluten war letztlich auch nicht so wie einst gedacht.
Trotzdem sind Pläne weiterhin Pläne. Sie suggerieren Eltern letztlich doch irgendwie, dass ihr Kind zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Menge Beikost essen sollte. Auch wenn im Kleingedruckten steht, dass natürlich das Baby bestimmt, wie viel es von der angebotenen Beikost zu sich nimmt. Oft steht da auch irgendwo unauffällig, dass das Stillen weiterhin sinnvoll ist. Aber gleichzeitig werden immer noch ganz klassisch die Stillmahlzeiten durch die Beikost ersetzt, so dass ein Baby mit zehn bis zwölf Monaten fast oder komplett abgestillt ist. Dass viele Kinder auch in der Beikostzeit phasenweise wieder ausschließlich stillen und am ersten Geburtstag weit entfernt vom Abstillen sind, steht nicht in vielen Beikostplänen- oder Büchern. Und das nicht nur aus Hunger gestillt wird, wird an diesen Stellen meist auch nicht erwähnt.
Beikostberuhigung statt Stress am Esstisch
Und darum ist Beikostberatung immer noch ein wichtiger Punkt in meiner Arbeit als Hebamme, den ich eigentlich eher Beikostberuhigung nennen würde. Denn in den allermeisten Fällen kann ich Eltern versichern, dass sich ihr Kind absolut normal und altersgerecht verhält. Das sind die Kinder, die begeistert alles vom Esstisch haben möchten ebenso wie jene, die zunächst die Brust dem Broccoli vorziehen. Manche mögen vergnügt an Oliven lutschen. Wieder andere feuern alles vom Tisch, was ihnen liebevoll zubereitet wurde.
Da sind die Kinder, die schon ganz viel Brei oder Fingerfood gegessen haben und plötzlich wieder nur noch stillen wollen. Oder solche, die sehr monothematisch an das Thema Essen heran gehen. Es ist auch normal, das Kinder trotz Beikost nachts weiter recht häufig stillen. Ebenso ist es möglich, dass sich Kinder tatsächlich an Beikostpläne halten. Und es gibt die Kinder, die sich gefühlt für die Mutter viel zu früh abstillen. Und die Kinder, die Muttermilch oder Pre-Nahrung ziemlich lange als ihr Hauptnahrungsmittel betrachten.
Die Bandbreite, wie Babys das Thema Beikost angehen, ist wirklich sehr groß. Das habe ich allerdings nicht in meiner Ausbildung oder in den Fortbildungen danach gelernt. Das habe ich von den vielen Kindern gelernt, deren Wege ich als Hebamme in den letzten sechzehn Jahren ein Stück weit mitbegleiten durfte. Und letztlich haben auch meine eigenen Kinder mit ihrem ganz eigenen Ansichten zum Thema sehr zu meiner persönlichen Beikostberuhigung getragen.
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