Das letzte Wochenende fing bei uns mit einem Aufenthalt in der Notaufnahme eines großen Berliner Krankenhauses an. Der Sohn war beim Toben so unglücklich gegen die Heizung geknallt, dass sich innerhalb kürzester Zeit eine massive Schwellung am Kopf bildete. Wir als Eltern konnten es einfach nicht mehr als „harmlos“ oder doch „gefährlich“ differenzieren. Dazu sind die Angaben eines Fünfjährigen und sein Verhalten nach dem Unfall doch irgendwie zu unkonkret, um zu beurteilen, ob da jetzt Schlimmeres passiert sei.
Unsere Sorge war dementsprechend groß, als wir da also am Freitagnachmittag in der Rettungsstelle saßen. In zwölf Jahren Elternschaft mit mittlerweile vier Kindern mussten wir bisher hier nur ein einziges Mal als Folge eines Schulunfalls der Tochter dort sitzen. Andere Eltern bzw. ihre Kinder erwischt das häufiger, aber daran „gewöhnen“ wird man sich bestimmt nicht. Denn in der Kinderrettungsstelle sitzt man nicht ohne Grund. Oder zumindest hoffe ich, dass keiner der anwesenden Eltern diesen Ort als Kinderarztersatz am Wochenende nutzt, weil das Kind bereits seit Tagen einen Schnupfen hat. Denn die „Nicht-Notfälle“ sind oft das, was die Wartezeiten hier so lang macht.
Dem Sohn geht es schon deutlich besser, als wir in der Rettungsstelle sitzen, wenn auch die Schwellung weiterhin beunruhigend groß ist. Wir fragen uns zwischendurch, ob wir damit noch zu den Notfällen gehören oder das doch selbst einschätzen können. Am Ende aber ist es mir natürlich nicht wirklich möglich, ein sinnvolles Urteil über den Zustand des Kleinen zu fällen.
Absoluter Ausnahmezustand
Für uns Eltern ist diese Situation ein absoluter Ausnahmezustand. Für alle, die hier in der Rettungsstelle arbeiten, ist es absoluter Alltag. Auch wenn ich viele Berufsjahre als Krankenschwester und später als Hebamme in der Klinik verbracht habe, ist mir dieser Ort in diesem Moment doch fremd und irgendwie unbehaglich. Der Geruch von Desinfektionsmittel ist mir zwar vertraut und auch herumliegende Arbeitsmaterialien sind mir alle bekannt – und doch fühlt sich alles so eigenartig an, dass unsere durch den Unfall ohnehin schon angespannte Nervenlage nicht gerade entspannter wird.
Und dann sind wir endlich dran nach knapp eineinhalb Stunden Warten. Eine jüngere, sehr nette Ärztin hört sich unsere Geschichte an. Sie redet einfühlsam mit unserem Sohn, so dass er sich auch problemlos von ihr untersuchen lässt. Es stellt sich heraus, dass der Schädel bis auf die massive Prellung unversehrt ist. Sie lässt uns wieder gehen mit einem Fahrplan, bei welchen Symptomen wir im Zweifel schnell wiederkommen sollen.
Der Sohn erzählt ihr, dass seine Mama „auch Hebamme ist“ und wir wechseln noch ein paar Worte. Unsere Anspannung fällt ab, damit relativieren sich und auch Angst und Sorgen um unseren Kleinen. Als wir die Klinik verlassen und mit unseren Kindern durch den nahe gelegenen Park nach Hause zurücklaufen, muss ich daran denken, wie wichtig andere Menschen in solchen Situationen sind. Und damit meine ich nicht nur ihr fachliches Wissen. Es macht so viel aus, wie uns als Menschen begegnet wird, wenn wir uns in einem Ausnahmezustand befinden, der für andere Alltag ist. Genau so ist es ja auch als Hebamme im Kreißsaal.
Menschen machen im Klinikbetrieb den Unterschied
Der eigene Arbeitsplatz und die Kollegen sind einem vertraut. Für die Schwangere, die da gerade an der Kreißsaaltür klingelt, ist alles dahinter neu und fremd. Selbst wenn sie zuvor den Informationsabend der jeweiligen geburtshilflichen Abteilung besucht hat. Und machen wir uns nichts vor. Auch wenn die Geburtskliniken versuchen, ein „heimeliges Ambiente“ herzustellen, es sieht dort trotzdem häufig immer mehr wie ein Krankenhaus als wie ein Zuhause aus. Schon allein die umfangreichen Hygienerichtlinien oder Brandschutzmaßnahmen sorgen dafür, dass die Möglichkeiten schlicht eingeschränkt sind. Das nette Blumenbild an der Wand macht also nicht unbedingt die OP-Leuchte über dem Kreißbett wieder wett.
Was aber schnell ein heimeliges und gutes Gefühl aufkommen lässt, ist die Begegnung mit netten Menschen in dieser Ausnahmesituation. Die einfach ein paar beruhigende und vielleicht auch persönliche Worte für einen übrig haben. Die auch im Trubel von überfüllten Ambulanzen und Stationen kurz die Zeit finden, jemandem zu erklären, was los ist oder was nun passieren wird. Es ist nur selten die Ausstattung, die dafür sorgt, dass sich Patienten im „Ausnahmezustand Krankenahaus“ entspannen. Allein die Menschen machen im Klinikbetrieb den Unterschied.
Und deshalb ist es so wichtig, dass jede Hebamme, jede Ärztin und jeder Arzt, jeder Pflegende und überhaupt alle dort arbeitenden Menschen genug Zeit haben, ihren Patienten so zu begegnen, dass dieser sich nicht nur abgefertigt fühlt. Ich weiß nur zu gut, wie schnell man in der hektischen Klinikroutine manchmal vergisst, dass der Alltag des Personals dort nichts mit dem normalen Alltag der Menschen zu tun hat, die mit ihren Beschwerden und den damit verbundenen Ängsten und Sorgen dorthin kommen. Es ist immer ein Ausnahmezustand. Doch leider hat unser Gesundheitssystem dafür kaum Verständnis. Es vergütet letztlich nur das, was „gemacht“ und nicht das was gesagt wird. Doch genau dies kann einen großen Unterschied machen.
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