„Meine“ Feiertagskinder sind alle geboren und nach mehr oder weniger vielen Tagen in der Klinik wieder zu Hause. Der per Kaiserschnitt geborene kleine Junge durfte am fünften Tag mit seiner Mutter gehen. Und erst da wurde den Eltern klar, in was für einem Stillchaos sie sich da bereits befanden. Ausgestattet mit einer Milchpumpe, einer Spritze zum Füttern und ohne jegliche, aber dringend notwendige Stillinformationen saßen sie plötzlich mit dem hungrigen Kind im häuslichen Schlafzimmer…
Durch den Kaiserschnitt war, wie es häufiger der Fall ist, der Stillstart recht holprig. Und schnell ging in der Klinik die typische Interventionskaskade los. Das Kind trinkt nicht. Es ist nicht genug Personal für die zeitlich aufwändige Stillunterstützung vorhanden. Das Kind nimmt ab – und zack ist die erste Flasche Säuglingsnahrung gefüttert. Erst dann – und damit häufig viel zu spät – zeigt jemand der Mutter, wie sich die Milchproduktion mit einer Milchpumpe ankurbeln lässt. Der Stress aus Pumpen, Füttern und Anlegeversuchen ist nachvollziehbar groß für die im Wochenbett erholungsbedürftige Mutter.
Durch den Kaiserschnitt eingeschränkt hätte die Mutter des kleinen Weihnachtsbabys anfangs gute Unterstützung beim Stillen und generell beim Handling mit dem Kind gebraucht. Anstatt ihr zu zeigen, wie sie ihr Kind anlegen kann, wurde es mehrmals täglich an die Brust „gepresst“. Das ist natürlich nicht im Sinne des Kindes und führte auch nicht zum Erfolg. An den Tagen Drei bis Fünf wurde das Baby gar nicht mehr angelegt. Niemand hat die Mutter dazu motiviert noch ihr dabei geholfen. Und das sicher nicht, weil keiner wollte. Sondern weil schlicht und einfach niemand Zeit hatte für eine vernünftige Stillunterstützung.
Das alles spielte sich übrigens in einem „Babyfreundlichen Krankenhaus“ ab. Also einer Klinik, die Bonding und Stillen explizit sehr unterstützt und diesen Umstand sogar zertifiziert bekommen hat. Aber die WHO-Plakette ist und bleibt letztendlich nur ein Etikettenschwindel, wenn kein Personal vorhanden ist, das Zeit hat, die Mütter und Kinder entsprechend zu versorgen.
Timing und Glück für Stillerfolg?
Wir Hebammen weisen die Familien in Vorgesprächen und Kursen vor der Geburt immer wieder darauf hin, Hilfe zu holen, wenn das Stillen sich schwierig gestaltet. Aber die Eltern sind oft überfordert – gerade nach komplizierteren Geburtsverläufen. Viele Informationen, die sie vor der Geburt bekommen haben, werden im Hormon- und Gefühlsstrudel schlicht und einfach vergessen, den die Ankunft des Kindes, insbesondere des ersten, mit sich bringt. Eltern vertrauen darauf, dass das anwesende Fachpersonal sie schon adäquat unterstützt. Sie verpassen häufig den Punkt, an dem sie sich vielleicht doch mehr selbst kümmern müssen.
Aber auch das ist nicht so einfach. Die Gebührenordnung sieht nicht mehr vor, dass die betreuende Hebamme Wochenbettbesuche in der Klinik bezahlt bekommt. Schließlich ist hier ja Personal für die Wochenbettbetreuung anwesend. Dass sich ein oder zwei Schwestern oder Hebammen in der Klinik nicht ausreichend um zahlreiche Mütter und Babys kümmern können, dürfte jedem klar sein. Deshalb ist es genau wie in der Geburtshilfe einfach Glückssache, ob man die Hilfe bekommt, die man braucht. Gerade an Feiertagen ist nur eine Minimalbesetzung in der Klinik vorhanden. Kinder werden natürlich trotzdem genauso viele geboren. Dazu kommen zahlreiche zusätzliche Patienten mit Beschwerden oder zur CTG-Kontrolle, da die Arztpraxen geschlossen haben. Timing und Glück scheinen also über den Stillerfolg zu entscheiden.
Sehr wahrscheinlich wäre der eingangs geschilderte Fall wesentlich leichter verlaufen, wenn die Mutter in den ersten Tagen gut unterstützt worden wäre. Und nein, das ist kein tragischer Einzelfall. Freiberuflich arbeitende Hebammenkolleginnen kennen diese Verläufe nur allzu gut. Und nicht immer kann eine Mutter die Kraft und Nerven aufbringen, diesen holperigen Weg aus dem Dilemma heraus zu gehen, wenn die Stillinterventionskaskade erst einmal in Gang gekommen ist.
Zeit, Bestärkung und Unterstützung
Die Entscheidung über eine erfolgreiche und für Mutter und Kind als schön erlebte Stillzeit fällt in den ersten Tagen. Was hier investiert wird, zahlt sich die ganze Stillzeit über aus. Aber was macht man, wenn niemand da ist, der Zeit investieren kann? Einfach weil die Klinikroutine es nicht zulässt. Es ist dasselbe Dilemma, welches auch zunehmend die Geburtshilfe bedroht. Mütter brauchen Zeit, Bestärkung und Unterstützung – und zwar vor, während und nach der Geburt. Dann läuft so vieles einfacher. Das Wochenbett wird als Babyflitterwochen erlebbar. Und nicht als eine Spirale aus Stillversuchen, Abpumpen, Zufüttern und der daraus resultierenden großen Erschöpfung und Enttäuschung.
Der kleine Junge aus dem Intro dieses Textes hat 13 Tage nach seiner Geburt das erste Mal länger und ohne jegliche Hilfsmittel wie Stillhütchen und Co. an der Brust getrunken. Ein wirklich schöner und berührender Moment. Anstrengende Tage mit vielen Auf und Abs lagen hinter den Eltern. Und auch hinter der Hebamme…
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