Immer wieder melden sich im Hebammenalltag Frauen, die Unterstützung beim Abstillen suchen, weil das Kind bald in die Kita kommt. Oder weil es gerade bereits in der Eingewöhnung ist. Manchmal ist es einfach der für sie passende Zeitpunkt. Oftmals aber resultiert dieser Wunsch aufgrund erwarteter Schwierigkeiten bei der Eingewöhnung. Manchmal ist es eine Empfehlung von Seiten des Kitapersonals mit der Idee dahinter, dass es den Eingewöhnungsprozess einfacher macht.
Kita wirklich ein Abstillgrund?
Abstillen ist in der Regel ein langsam verlaufender Prozess, der vom Kind ausgeht. Oder er verläuft eben auch vom Wunsch der Mutter aus geleitet. Die Stillmahlzeiten reduzieren sich sehr individuell nach und nach. Ein wirklich ganz plötzliches Abstillen ist nur in äußerst seltenen Fällen erforderlich. Denn weder eine anstehende Operation noch eine Medikamenteneinnahme sind in den allermeisten Fällen ein Abstillgrund. Mit dem immer näher rückenden Kitabeginn steht oftmals auch ein gewisser zeitlicher Druck dahinter. Manche Eltern wünschen sich, dass das Abstillen bis dahin auch abgeschlossen sein sollte.
In der Stillberatung frage ich zunächst immer genau nach, was die Mutter sich wünscht. Möchte diese zum jetzigen Zeitpunkt abstillen oder ist allein der geplante Übergang in die Kita der Abstillgrund? Es ist wichtig, sich individuell darüber Gedanken zu machen. Denn gerade bei einem zügigeren Abstillen, das nicht vom Kind induziert wird, ist eine wichtige Voraussetzung, dass die Mutter sich ihrer Entscheidung sicher ist. Sonst entsteht meist „Chaos“ und eine damit verbundene Verunsicherung beim Kind.
Stillen und Kuscheln
Als Argument für das Abstillen vor dem Kitaeintritt wird gerne angeführt, dass die Kinder zu sehr an der Mutter hängen. Somit hätten es die Erzieher:innen viel schwerer, da sie ja das Kind weder mit der Brust ernähren noch trösten können. Das können der Vater des Kindes oder die Oma übrigens auch nicht. Trotzdem lassen sich natürlich auch gestillte Kinder auf andere Bezugspersonen ein. Und Kinder, die nicht mehr zwingend zur Ernährung Muttermilch erhalten müssen, lassen sich genauso auf anderes Essen ein. Erfahrungsgemäß in der Kita sogar mit einer viel höheren Bereitschaft, auch Neues zu probieren.
Das Stillen kann sogar hilfreich dabei sein, diese neue, ungewohnte und mit Stress für die Kinder verbundene Situation zu meistern. Nicht gestillte Kinder verarbeiten ihren Tag auch mit viel Kuscheln und Körperkontakt mit ihren Eltern. Beides tut kleinen Menschenkindern gut, besonders wenn gerade viel Neues im Leben passiert. Stillen ist mehr als reine Nahrungsaufnahme. Das Saugbedürfnis besteht auch noch über das erste Babyjahr hinaus. Non-nutritives (ernährungsunabhängiges) Saugen stillt das Bedürfnis nach Geborgenheit und Entspannung. So ein ganz neuer Alltag in der Kita ist mit vielen Veränderungen verbunden und entsprechend aufregend für das Kind. In den Armen des Lieblingsmenschen durch ein vertrautes Ritual wieder emotional auftanken zu können, hilft beim Verarbeiten der neuen Eindrücke.
Stillen als guter Schutz vor Krankheitserregern
Längeres Stillen ist ein guter Schutz vor Krankheitserregern, denen Kindern in der Kita nun jetzt vermehrt ausgesetzt sind. Das heißt nicht, dass das Stillkind nicht auch krank werden kann. Aber die in der Muttermilch enthaltenen Abwehrstoffe unterstützen das kindliche Immunsystem bei der Bewältigung. Oft sind auch bei schweren Infektionen die Verläufe milder. Das in Muttermilch enthaltene Enzym Lysozym, welches Zellwände von Bakterien zerstört, ist in der Muttermilch für ein 18 Monate altes Kindes sogar in größeren Mengen vorhanden als in der für ein sechs Monate altes Baby.
Auch bei häufig in der Kita übertragenen Magen- und Darminfektionen ist es oft hilfreich, wenn das Kleinkind noch stillt. Die Gefahr der Dehydrierung ist bei diesen Infekten immer hoch. Muttermilch wird aber selbst dann meist noch gut und ausgiebiger getrunken.
Genug Zeit für Kind und Eltern
Für die Mutter selbst hat längeres Stillen ebenfalls gesundheitlich positive Aspekte wie die Verringerung des Risikos, an Brust- oder Eierstockkrebs zu erkranken. Auch in Bezug auf andere Erkrankungen (z.B. kardiovaskuläre Erkrankungen) gibt es eine Risikoreduktion durch das Stillen. Die Forschung in diesem Bereich bringt stetig neue spannende Erkenntnisse dazu, wie sich Stillen auf die Gesundheit von Frauen weit über die Stillzeit hinaus auswirkt. Niemand muss mit gesundheitlichen Vorteilen argumentieren, wenn es darum geht, auch ein in der Kita betreutes Kind weiter zu stillen. Aber es ist wichtig, alle relevanten Informationen zu haben. Nur so kommt eine Stillende zu einer guten informierten Entscheidung.
Wie gut der Prozess der Eingewöhnung gelingt, wird von anderen Faktoren als vom Stillen bestimmt. Schwierigkeiten in dieser Zeit treten sowohl bei noch gestillten als auch bei nicht (mehr) gestillten Kindern auf. Manchmal ist es einfach noch zu früh für ein Kind oder es ist von der Situation aktuell überfordert. Gerade einem momentan ohnehin verunsicherten Kind nun noch das Stillen zu nehmen, wäre eher kontraproduktiv. Auch für Mütter (und sicherlich auch Väter) ist diese Phase – von der Babyblase zurück in den Arbeitsalltag – emotional recht herausfordernd.
Ein zu schnelles Abstillen könnte auch für die Mutter hormonell eine zu abrupte Umstellung bedeuten. Auch das ist eigentlich genau in so einem Moment unpassend. Es ist immer wieder wichtig zu sehen, dass das Kind auch jetzt noch klein ist. Auch wir als Eltern reagieren in dieser Zeit sehr sensibel auf besondere und belastende Situationen. Eine gute Kitaeingewöhnung ist darum auch immer eine Eingewöhnung für die Eltern. Die müssen sich eben auch auf die nun veränderte Situation einstellen – nicht nur organisatorisch, sondern eben auch emotional. Dafür brauchen das Kind und die Eltern genug Zeit.
Ein Schritt nach dem anderen
Natürlich muss keine Frau ihr Kind länger stillen – auch trotz der oben beschriebenen positiven Aspekte nicht. Doch für die Mütter, die es gerne tun, ist es wichtig zu wissen, dass eine Kitaeingewöhnung nicht das Abstillen bedeutet. Wenn unabhängig davon ein Abstillwunsch besteht, sollte das am besten zeitlich nicht unbedingt direkt mit der Kitaeingewöhnung kollidieren. Denn beides sind große neue Schritte im Leben eines Kleinkindes. Wie auch im Leben seiner Eltern. Es ist sinnvoller, diese nacheinander zu gehen. Welche Reihenfolge da auch immer persönlich passt.
Für kleinere Kinder und Babys, die ernährungsphysiologisch noch komplett auf Muttermilch angewiesen sind, gibt es ein Merkblatt vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zum „Umgang mit Muttermilch in der Kita oder Tagespflege“. Darin geht es aber vor allem um den korrekten Umgang mit abgepumpter Muttermilch. Ich würde mir wünschen, dass dieses Merkblatt noch um die oben beschriebenen Aspekte ergänzt wird. Denn dies würde sicherlich die Bedenken einiger Kitamitarbeiter:innen bezüglich einer erschwerten Eingewöhnung mildern.
Ob und wann ein Kind in die Kita geht und ob und wie lange es optimalerweise gestillt wird, darf und muss jede Familie für sich überlegen und entscheiden. Stillende, die sich für eine kürzere oder längere Betreuung außerhalb der eigenen Familie entscheiden, sollen nicht zum Abstillen gedrängt werden, wenn es zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch gar nicht passt – weder für die Mutter noch für das Kind. Hebammen beraten auch bei diesen Still- und Abstillfragen. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten dafür „bis zum Ende der Abstillphase“. Und dieses Ende bestimmen weder Kita noch Krankenkasse, sondern einzig und allein Mutter und Kind.
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