Wochenbettwissen: Bindung zum Baby aufbauen

Der Bindungsaufbau zum Kind beginnt bereits in der Schwangerschaft. Für viele Mütter ist das zu diesem Zeitpunkt alles noch etwas abstrakter. Hier sind die Emotionen sehr unterschiedlich, was natürlich auch davon abhängt wie wohl und gesund sich eine Schwangere fühlt. Trotzdem geht jede werdende Mutter mit einer Verbindung zu ihrem Baby in die Geburt. Nach der Geburt entwickelt sich diese Bindung weiter.

Für das Baby ist es essenziell, weil diese Bindung sicherstellt, dass sich Eltern aufmerksam und feinfühlig um seine wichtigsten Bedürfnisse kümmern: Nähe, Nahrung, Wärme und Geborgenheit. Ein Baby bringt zwar viele Kompetenzen mit, um auf diese Bedürfnisse aufmerksam zu machen. Zur Erfüllung dieser Bedürfnisse ist es aber unbedingt auf seine Bindungspersonen angewiesen. Darum bringen auch Eltern entsprechende Kompetenzen mit, um die (Körper)-Sprache ihres Babys zu verstehen. Doch gerade in der sensiblen Phase des Wochenbetts sind Mütter (und auch Väter) schnell verunsichert. Die Bindung zum Kind entwickelt sich immer individuell. Auch ambivalente Gefühle sind normal. Setze Dich nicht unter Bindungsdruck, sondern gib dir und deinem Kind entsprechend viel Zeit zum Ankommen.

Es folgen ein paar Anregungen, die beim Bindungsaufbau – auch unter erschwerten Startbedingungen helfen können:

Babyfreundliches Krankenhaus“ wählen
Unmittelbar nach der Geburt unterstützen Nähe, Hautkontakt und auch das erste Stillen den Bindungsaufbau. Wenn es keinen (medizinischen) Grund dafür gibt, sollten Mutter und Kind in dieser sensiblen Phase nicht gestört werden. Wiegen, Messen und die erste U-Untersuchung können warten. Auch für die Versorgung einer Geburtsverletzung bleibt in der Regel etwas Zeit. Seit 1992 gibt es das WHO und Unicef initiierte Programm „Babyfriendly Hospital Initiative“ auch in Deutschland. Kliniken können sich nach entsprechender Schulung des geburtshilflichen Personals und der Umsetzung bestimmter Standards als „Babyfreundliches Krankenhaus“ zertifizieren lassen. Die Kriterien beziehen sich vor allem auf den Schutz der Eltern-Kind-Bindung sowie der Entwicklungs- und Stillförderung. Inzwischen gibt es in Deutschland über 100 zertifizierte Kliniken, die nach diesem familienfreundlichen und bindungsorientierten Konzept arbeiten.

Bindungsaufbau ist ein Prozess

Unmittelbaren Hautkontakt nachholen
Wenn Mutter und Kind wegen gesundheitlicher Beeinträchtigen die erste Zeit nach der Geburt voneinander getrennt sind, sollten sie das Kennenlernen im unmittelbaren Hautkontakt nachholen, sobald es der Gesundheitszustand zulässt. Auch wenn die Startbedingungen etwa nach einer operativen oder zu frühen Geburt schwieriger sind, sagt das nichts über die spätere Eltern-Kind-Bindung aus. Denn der Bindungsaufbau ist ein Prozess und kein einmaliges Ereignis. Das emotionale Band zwischen Eltern und Baby (Bonding) wird nicht nur in den ersten zwei Stunden nach der Geburt geknüpft. Ein guter Start erleichtert diesen Prozess, aber auch unter schwierigsten Bedingungen bauen das Baby und seine Eltern dieses Liebesband auf. Idealerweise werden sie dabei unterstützt, weil Sorge und Angst um das Kind zu großen Verunsicherungen führt.

Heilsames Bondingbad
Ein Bondingbad kann nach einem schweren Lebensanfang ein wunderbares Ritual sein für einen „Neustart“ in ein endlich entspanntes Wochenbett. Die Hebamme Brigitte Renate Meissner hat dieses heilsame Bad für Mütter und Kinder nach emotional und körperlich belasteten Schwangerschaften oder Geburten entwickelt. In entspannter, warmer und ruhiger Atmosphäre kann die Mutter entweder selbst mit ihrem Baby in der großen Badewanne baden. Oder eine Begleitperson (Partner oder Hebamme) badet das Kind in einer kleinen Wanne (oder im Badeeimer) neben dem Bett, in dem die Mutter es sich gemütlich gemacht hat. Nach dem Bad wird das nicht abgetrocknete, noch nasse Baby im direkten Hautkontakt auf den bloßen Oberkörper seiner Mama gelegt. Beide werden mit einem warmen Handtuch zugedeckt. Nun darf gekuschelt, gestillt und vielleicht auch geweint werden über diese schwere erste Zeit. Es sollte ausreichend Zeit und ein geschützter Raum für alle Emotionen vorhanden sein. Auch der Partner sollte entsprechend mit einbezogen werden. Das Spüren des warmen, nassen Baby in engem Hautkontakt unterstützt den seelischen Heilungsprozess bei Mutter und Kind. Bei Bedarf kann dieses Bad mehrmalig durchgeführt werden.

Feinzeichen des Babys
Zeit und Ruhe sind wichtig für den Bindungsaufbau. Beim Anschauen des Babys verlieben sich Eltern nicht nur in ihr Kind, sondern lernen auch seine „Sprache“ kennen. Lange bevor es weint, zeigt ein Neugeborenes durch viele kleine Feinzeichen seinen Hunger und andere Bedürfnisse an. Das Stillbedürfnis zeigt sich zum Beispiel durch Unruhe, schnelles Bewegen des Köpfchens zu beiden Seiten (Suchreflex), Zunge rausstrecken oder auch durch Kauen an den Fäustchen oder anderen Dingen im Mundbereich. Deshalb ist es so wichtig, dass Mutter und Kind viel unmittelbare Zeit miteinander verbringen.

Elternbedürfnisse erkennen und stillen

Keine Beruhigung = mehr Stress
Das Erkennen und Befriedigen der kindlichen Bedürfnisse gibt Eltern ein gutes Gefühl. Sie erleben sich als kompetent und das Selbstvertrauen wächst. Wenn sich ein Baby nicht beruhigen lässt, steigt das Stresslevel und meist auch die Unsicherheit der Eltern. Gerade die Begleitung von Kindern mit hohen Bedürfnissen stellt eine große Herausforderung für Ihre Eltern da. Es ist besonders wichtig, dass Eltern dann die passende Unterstützung erhalten, um sich trotz der schwierigen Situation als gute Eltern zu erleben. Das Erlernen einer beruhigenden Atmung und anderer erdender Übungen sind hilfreich. Das Baby wird zwar vielleicht weiterhin häufig untröstlich weinen, aber seine Eltern unterstützen es dennoch kompetent, in dem sie es dabei begleiten. Das Halten und Aushalten in schweren Babyzeiten ist eine ganz besonders anstrengende Aufgabe.

Genug Schlaf und Essen sowie Schmerzlinderung
Eltern müssen auch auf Ihre Bedürfnisse achten. Völlig übermüdet und unterzuckert geht der Körper nur noch in eine Art Überlebensmodus. Bindungsbereitschaft und Feinfühligkeit nehmen entsprechend ab. Genug Schlaf, Nahrung und Unterstützung ist also auch für Eltern essenziell. Auch Schmerzen der Mutter können den Bindungsaufbau beeinträchtigen. Deshalb ist eine ausreichende Schmerzlinderung etwa nach Kaiserschnitt oder einer Geburtsverletzung so wichtig. Bei Stillschwierigkeiten muss ebenfalls schnell die Ursache gefunden und Schmerzen behoben werden. Auch emotional müssen Eltern gut versorgt sein, um bindungsbereit auf ihr Kind eingehen zu können. Die passende Hilfe bei Wochenbettdepressionen oder nach traumatischen Geburtserfahrungen muss auf alle Fälle die Mutter-Kind-Bindung gut mit im Blick haben.

„Geister aus der Vergangenheit“ nicht ignorieren
Mit der Geburt des Kindes werden auch eigene – positive wie negative – Bindungserfahrungen aktiviert. Das führt gerade in stressigen Momenten dazu, dass Eltern ganz anders auf ihr Kind reagieren als gewollt. Es ist wichtig, sich aktiv mit diesen „Geistern aus der Vergangenheit“ zu beschäftigen. Karl-Heinz Brisch hat das SAFE-Programm (Sichere Ausbildung für Eltern) entwickelt, das sich mit allen Aspekten beschäftigt, die den Bindungsaufbau fördern oder erschweren. SAFE-Kurse beginnen bereits in der Schwangerschaft und werden nach der Geburt fortgeführt.

Eltern sind Experten

Viel Ruhe und wenig Ablenkung
Ablenkung erschwert den Bindungsaufbau. Das kann das ständige Tür-auf-Tür-zu oder der laufende Fernseher im Zimmer der Wochenbettstation sein. Aber auch zu viel oder unachtsamer Besuch im Wochenbett stört die Bondingphase. Der permanente Gebrauch des Smartphones kann sich ebenfalls störend auswirken. Eintreffende Benachrichtigungen führen immer wieder zu Unterbrechungen, die das Baby gar nicht einordnen kann. Auch gedanklich ist man als Eltern schnell ganz woanders.

Viel Hautkontakt
Hautkontakt unterstützt die Wärmeregulation des Babys und auch das Stillen. Zieh dein Baby aus und leg es dir zugedeckt auf den nackten Oberkörper. Auch bei einer Fläschchenbeziehung profitieren gefütterte natürlich Babys vom Haut- und Blickkontakt. Streicheln, Massieren und auch die liebevolle Berührung beim Wickeln sind bindungsfördernd.

Tragen unterstützt den Bindungsaufbau
Tragen unterstützt den Bindungsaufbau. Babys kommen in der Erwartung getragen zu werden auf die Welt. Die Verwendung eines Tuchs oder einer Tragehilfe erleichtert den Tragealltag. Auch bei Rückenschmerzen oder Beckenbodenproblemen ist das richtige Tragen sinnvoll. Tragen ermöglicht den Eltern freie Hände, um für die eigenen Bedürfnisse oder die von Geschwisterkinden zu sorgen. Für den Tragling bedeutet es Nähe und Beruhigung. Gut gebunden kann er nach und nach die Welt um ihn herum entdecken.

Stärkendes Netzwerk
Elternsein ist oft schon anstrengend genug – mache es dir nicht noch schwerer. Verzichte auf persönliche Diskussionen, aber auch in Onlineforen und auf Social-Media-Plattformen, wenn diese nicht wertschätzend für die Verschiedenartigkeit von Familien sind. Hinterfrage immer wieder kritisch die Meinung von Fachleuten, wenn sich deren Empfehlungen für dich eher falsch anfühlen. Stillgruppen oder Babykurse können eine gute Begleitung in der Baby- und Kleinkindzeit sein. Meist werden sie fachlich von einer Babykursleiterin oder Stillberaterin geleitet. Umgebe dich generell mit Menschen, die dein Selbstwertgefühl und deine elterlich Kompetenz stärken und nicht schwächen. Denn du bist die Expertin für dein Kind!

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