Tanja ist seit über zehn Jahren Hebamme. Zusammen mit ihrer Mutter, die ebenfalls Hebamme ist, begleitet sie in eigener Praxis Frauen rund um die Geburt. Vor der Geburt ihres ersten Kindes hat sie auch Beleggeburten begleitet. Doch aufgrund der horrenden Haftpflichtkosten und der hohen Unplanbarkeit in der Geburtshilfe kann sie diese momentan nicht mehr anbieten. Tanja hat hier schon von der Geburt ihres ersten Kindes berichtet. Die Schwangerschaft mit ihrem zweiten Kind war von Anfang an von Komplikationen und vielen Sorgen deshalb gekennzeichnet. Es stand sogar ein geplanter Kaiserschnitt im Raum. Doch dann kam alles ganz anders und ihr zweiter Sohn wurde bei einer sehr schnellen Geburt in der 36+1 Schwangerschaftswoche spontan geboren.
Der Wunsch nach einem zweiten Kind kam recht schnell nach der Geburt. Vorher sah ich mich jahrelang als absolute Einzelkindmama, aber mit Schwangerschaft, Geburt und Mutterhormonen war ich ganz schnell auf dem Dampfer, dass ein Kind doch quasi kein Kind ist und DREI doch eine schöne Zahl ist!
Die Schwangerschaft sollte dieses Mal leider nicht so schön und unkompliziert wie beim ersten Kind werden. Ging es mir in der ersten Schwangerschaft weitestgehend supergut und war ich voller Elan und Tatendrang (ausgenommen die ersten zwölf Schwangerschaftswochen, da hätte ich schlafen können wie ein Murmeltier), so war ich dieses Mal oft müde und abgeschlagen und hatte häufig leichte Migräneattacken. Das Ganze mag bestimmt auch eine psychische Komponente gehabt haben. Ab NMT (erster Nicht-Menstruations-Tag, also der Tag der zu erwartenden Regel, die ja bei Schwangerschaft ausbleibt) bis zur 20. SSW hatte ich nämlich teils massive Blutungen, fast immer mehr als peridodenstark.
Wie oft dachte ich, ich hätte mein zweites kleines Wunder verloren… wie viele Tränen habe ich in dieser Zeit vergossen. Die Blutungen setzen fast wöchentlich ein, immer plötzlich und unvorhersehbar. Weder meine Gynäkologin, noch ich konnte einen Auslöser fest machen. Ich ging zur Toilette und plötzlich war ein Schwall Blut da. Das zog sich dann mit Schmierblutungen immer ein paar Tage und immer, wenn man dachte, jetzt sei es vorbei, setzte eine neue Blutung ein. Wie oft sind mein Mann und ich am Wochenende panisch ins Krankenhaus gefahren, um erlösende Entwarnung oder ernüchternde Wahrheit zu hören. Wie oft machte ich mich auf den Satz gefasst:„Leider schlägt da kein Herz mehr.“ In manchen Momenten bin ich schier wahnsinnig geworden.
Ein Schwangerschaftskrimi
Und dann war da aber auch noch mein Spatzmann Nr.1, mein kleiner Sonnenschein, ein liebes und fröhliches Kind, das vor Freude und Energie strotzt – und es brach mir das Herz, das seine Urvertraute, seine Mutter, ihn das erste Mal in seinem jungen Leben mit so viel und immer wieder kehrender Trauer konfrontierte. Natürlich versuchte ich mich in seiner Gegenwart zusammenzureißen, zu lachen und Späße zu machen, und oft gelang das auch, weil nichts einen so gut ablenken kann, wie das eigene Kind. Waren aber gerade neue Blutungen da, gelang es mir nicht bzw. nur äußerst unzureichend. Und wem, der selbst bereits Kinder hat, soll ich erzählen, dass man diesen kleinen Menschen einfach nichts vormachen kann. Sie sind die Einzigen, die uns ab dem Tag ihrer Entstehung in- und auswendig kennen werden.
Meine Gynäkologin schickte mich in der 16. Schwangerschaftswoche zur Feindiagnostik nach Düsseldorf, um abklären zu lassen, ob die Blutungen von einem Gefäß im Gebärmutterhals kamen und nur mich betrafen und damit die Plazenta – und auch das Kind – blutungsfrei waren. Aber der Termin, der Entwarnung bringen sollte, brachte auch neue Verunsicherung. Zwar wurde die Plazenta sicher als Blutungsherd ausgeschlossen, jedoch wurde bei der genauen Untersuchung des Mutterkuchens vermutet, dass sich der Nabelschnuransatz nicht regelrecht auf, sondern neben dem Mutterkuchen in der Eihaut befand. Dieser Befund betrifft ein Prozent aller Einlingsschwangerschaften. Ebenso wie die Plazentaanomalie, die die Ärztin zu sehen glaubte. Zwei Mal ein Prozent – und beide Fälle korrelieren nicht miteinander! Hätte ich in der Woche doch besser mal Lotto gespielt!!! Zur sicheren Diagnose sollte ich um die 20. Schwangerschaftswoche erneut nach Düsseldorf kommen.
Exkurs Insertio velamentosa: Hier liegt der Nabelschnuransatz nicht wie bei 99 Prozent auf der Plazenta lokalisiert, sondern endet auf der Eihaut. Die drei das Kind versorgenden Gefäße laufen frei über die Eihaut bis zur Plazenta. Bei einem erfolgenden Blasensprung besteht die Möglichkeit, das eines oder alle diese Gefäße reißen. Somit wäre zum einen die (Sauerstoff)-versorgung des Kindes unterbrochen und zudem führen die Gefäße auch kindliches Blut und es könnte somit zum Ausbluten des Ungeborenen kommen.
In der 22. Schwangerschaftswoche waren wir dann wieder dort. Ich war nun seit zwei Wochen blutungsfrei. Dafür hatte ich sechs Wochen Zeit gehabt, mir die wildesten Szenarien über die neuen Diagnosen auszudenken. In Düsseldorf kam dann die Bestätigung. Sicher eine „langstreckige Insertio velamentosa im Fundusbereich und eine irgendwie geartete Plazentaanomalie“…. so genau wollte sich da keiner festlegen. Es waren sich nur alle Ärzte einig, die in dieser Schwangerschaft bei mir einen Ultraschall machten – und das waren ein paar – dass „das Ding irgendwie komisch aussieht!“ Ich dachte immer nur: So lange ich es nachher nur im Garten verbuddeln muss, darf es ruhig kurios aussehen.
Nun hatte ich meine Diagnose, die ich nicht wollte. Zudem empfahl Düsseldorf mehrfach und vehement (ich sprach immerhin mit drei Ärzten) eine primäre Sectio bei 37+0, also gerade nach Beendigung der Frühgeburtlichkeit (Anm. d. Red.: Kinder, die bis zur Schwangerschaftswoche 36+6 geboren werden, gelten als Frühgeborene). Gerade für eine Hebamme eine Empfehlung, die man nicht bekommen möchte. Das gilt insbesondere, weil man als Fachperson natürlich bestens über die Risiken der Sectio aufgeklärt ist und einem im Bezug auf die Insertio velamentosa niemand wirklich sagen kann, wie hoch das Risiko der Gefäßruptur ist. Auf jeden Fall niedrig, besonders, wenn wie bei mir keine Vasa praevia vorliegt (Anm. d. Red.: der Nabelschnuransatz befindet sich in den Eihäuten direkt oder sehr nahe am inneren Muttermund, beim Blasensprung können die Gefäße der Nabelschnur einreißen). Und: Ich wollte mein Kind nicht unvorbereitet und drei Wochen zu früh einfach in diese Welt schmeißen.
Auf Geburtsortsuche
So nahm ich von der Idee der Sectio erst einmal Abstand. Ein aktiver Geburtshelfer sollte mich eines Besseren belehren, was meinen Spontanwunsch anbegeht, da die nicht-geburtsaktiven Praxisgyns mir nichts von Geburtshilfe erzählen sollten.
Ich machte also einen Termin in einer größeren Klinik hier vor Ort aus. Ich wusste, dass Fälle wie meiner dort schon spontan geboren hatten und für diesen Sonderfall gab mir die Kinderklinik am Platz, die ich bei normal verlaufenden, gesunden Schwangerschaften eher überflüssig für die Wahl des Geburtsortes fand, eine gewisse Sicherheit. Die Oberärztin dort konnte mein Anliegen der Spontangeburt in Hinsicht auf die Vorteile für Kind und Mutter völlig nachvollziehen und konnte auch meinen bis dato noch etwas unsicheren Mann davon überzeugen. Wir verblieben dabei, das Kind engmaschig zu kontrollieren und um die Schwangerschaftswoche 37+0 vielleicht befundsabhängig einzuleiten.
Die Wochen gingen dahin, Ängste und Horrorszenarien kamen und gingen. Ich träumte häufig von blutigen Blasensprüngen, von dem Moment, in dem ich registrieren muss: alles ist zu spät, mein wunderschönes Kind hat keine Chance. Oft wachte ich nachts von derartigen Träumen auf, die Tränen liefen übers Gesicht und auch jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, ist mir dieses Gefühl der Angst und des allumfassenden Verlustes so nah, das ich weinen muss. Ich habe mich so oft mit dem Gedanken auseinander gesetzt, 40 Wochen schwanger zu sein und dann kein Kind mit nach Hause nehmen zu können. Ich bereitete nur das Nötigste vor. Großanschaffungen wie einen Geschwisterwagen traute ich mich gar nicht zu machen. Immer war da dieses fiese Stimmchen in meinem Kopf, das flüsterte: Wer weiß, ob du es überhaupt benötigst!
Sieben Zentimeter ganz ohne Schmerzen!?
Ab der 32. Schwangerschaftswoche begann sich, wie bei meinem ersten Sohn auch, der Gebärmutterhals zu verkürzen. Bereitete mir das vor der ersten Geburt noch Sorgen, freute ich mich dieses Mal sogar etwas über die allmähliche Vorbereitung, sollte Nr. 2 doch, um einen vorzeitigen Blasensprung zu Hause zu verhindern, frühzeitig (ab 37+0) eingeleitet werden. Je weiter die Schwangerschaft ging, je nervöser wurde ich einerseits, andererseits kam immer öfter der Gedanke auf, ob ich wirklich eine fest terminierte Einleitung will oder ob ich damit nicht vom Regen in die Traufe komme. Die Hoffnung war da, dass es vielleicht einfach von ganz alleine mit Wehen losgeht.
Dieser Tag sollte kommen und ich sollte bis fast zum Schluss nicht begreifen, dass mein Wunsch nach einer natürlich startenden Geburt in Erfüllung geht! Ich war den Tag vorher (36+0) bei meiner Gynäkologin zur Vorsorge. Der Gebärmutterhals war nun sehr verkürzt und der Muttermund gut zwei Zentimeter geöffnet. Ich dachte nur: schön, zumindest gute Grundvoraussetzungen für eine Einleitung nächste Woche. Wehen waren eh immer wieder auf dem CTG und mal waren sie stärker, mal leichter und insgesamt unregelmäßig.
Am Abend dann wurden die Wehen etwas stärker, aber immer noch zu ignorieren und unregelmäßig. Nichts, wegen dem ich wegen Abständen auf die Uhr geschaut hätte. Nachts wurde ich von der ein oder anderen Kontraktion wach, aber es war nichts Spektakuläres. Am nächsten Morgen fühlte ich mich irgendwie matt und zerschlagen, obwohl eigentlich nichts passiert war. Ich bat meinen Mann, sich um unseren Sohn zu kümmern, damit ich mich noch einmal hinlegen und etwas dösen konnte, hatte ich doch eigentlich schon die ganze Schwangerschaft nicht geschlafen. Nachmittags registrierte ich irgendwie erst, das die Wehen immer noch da waren und wollte in die Praxis, um ein CTG zu schreiben. Meine Mutter kam, um mit meinem Sohn spazieren zu gehen und einmal zu untersuchen (sie ist auch Hebamme).
Der Gebärmutterhals war mittlerweile komplett weg und der Muttermund bei gut vier Zentimetern. Meine Mutter meinte, es geht los, ich solle ins Krankenhaus. Ich dachte nur: Ach quatsch, hier tut nichts weh, das sind bestimmt nur Senkwehen und es hört irgendwann wieder auf. Ich fuhr und schrieb ein CTG. Vier Wehen in 30 Minuten, so wie sonst auch oft. Nichts Spektakuläres also… meinte ich. Ich fuhr nach Hause, meine Mutter kam vom Spaziergang und wollte sicherheitshalber noch einmal nachschauen. Der Muttermund war nun sieben Zentimeter. Irgendwie glaubte ich ihr nicht, weil ich es mir einfach nicht vorstellen konnte. Sieben Zentimeter – und das ganz ohne Schmerzen?!
Unser zweiter, wunderschöner Sohn
Ich packte die Kliniktasche zu Ende und machte Abendbrot fürs Söhnchen. Mein Mann verfrachtete alles ins Auto und meine Mutter richtete sich darauf ein, bei uns zu bleiben und sich ums Kind zu kümmern. Ich informierte meine Kollegin und Beleghebamme, dass wir auf dem Weg sind und wir wollten uns im Krankenhaus treffen. Sie war keine fünf Minuten nach uns da, untersuchte und der Muttermund war zehn Zentimeter. Ich konnte auch das nicht glauben, alles erschien mir so utopisch. Bis grade dachte ich doch noch, ich hätte Senkwehen!?
Alles wurde für die Geburt bereit gestellt. Dazu gehörte auch, dass doch das OP- und Anästhesieteam (wie vorher bei der Geburtsplanung besprochen) sich mit im Kreißsaal postierte und für den Fall der Blutungen bei Blasensprung für eine SOFORTIGE Sectio (Anm. d. Red.: einen Notkaiserschnitt) bereit hielt. Die geliebte Fruchtblase hatte tatsächlich bis zur Vollständigkeit gehalten. Nun sollte sie geöffnet werden. Alle warteten gespannt. Und gespannt und gespannt… der Arzt bekam die Blase nämlich mit dem Amnicot (Anm. d. Red.: Eröffnung der Fruchtblase mit einem Gummi-Latex-Fingerling mit integriertem Reißhäkchen) nicht auf. Meine Kollegin erledigte dies mit einem Pieks. Klares Fruchtwasser lief ab und ich konnte es gar nicht glauben. So viele Nächte hatte mich dieser Moment um den Verstand gebracht, so viele Tränen hatte er mich gekostet. Und nun war das Schreckgespenst gebannt.
Die Angst vor dem Blasensprung und die – von mir gewollte (ich wollte ja bei der Geburtsplanung auch die maximale mögliche Sicherheit, auch auf Kosten der Intimität, die so eine Geburt eigentlich braucht) – Unruhe im Kreißsaal durch das Postieren des ganzen OP-Personals hatten dafür gesorgt, das sich beim Muttermund wieder ein vorderer Saum gebildet hatte, auch die Wehenintensität hatte seit Blasensprung ordentlich zugenommen. Der Muttermundssaum musste jetzt erst wieder aufgehen, was aber auf den Knien binnen zwei bis drei Wehen geschehen war. Nun wurde der Druck immer stärker und ich merkte, wie der der Kopf immer tiefer ins Becken rutschte. Noch drückte es nach vorn, Richtung Symphyse, und ich wartete auf den klassischen Druck auf den Darm, der den unwillkürlichen Pressdrang mit sich bringt. Und während ich noch wartete musste ich auch schon anfangen zu schieben. Nachdem ich den Dreh beim Pressen raushatte, war der Kopf innerhalb von drei Wehen geboren und ganz plötzlich und unverhofft war unser zweiter, wunderschöner Sohn in diese Welt gerauscht. In der 36.+1 Schwangerschaftswoche brachte er trotzdem stolze 3400 Gramm auf 51 Zentimeter mit. Sein Bruder, der genau drei Wochen später kam, wog 3600 Gramm. Wahrscheinlich wäre ich zum Termin hin dann dieses Mal einfach explodiert!
Rückwirkend würde ich mir wünschen, ich hätte vorher gewusst, was ich jetzt weiß – nämlich: Das alles gut geht. Das hätte mir 36 Wochen Schwangerschaftskrimi erspart, meinem Baby eine Menge Adrenalin in Mutters Blut und meinem großen Sohn (gerade 20 Monate alt) die Erfahrung einer teilweise völlig aufgelösten Mutter, die sich gern adäquater um ihn gekümmert hätte! Aber gut, life is life (nana naanaanaa) und wer weiß, wofür diese Erfahrung gut war? Zumindest habe ich durch ausführliche Recherchen zum Thema Insertio velamentosa und Plazentaanomalien viel dazu gelernt, was ich beruflich einbinden kann. Wie heißt es? Nichts im Leben geschieht umsonst.
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