In diesem Jahr habe ich wenige komplette Wochenbettbetreuungen gemacht, dafür mehr explizite Stillberatungen. Früher wurde ich dafür angefragt, wenn die eigene Wochenbetthebamme mit ihrem Stilllatein am Ende war. Oft fragen mich auch die Kolleginnen selbst, ob ich bei komplizierteren Stillproblemen mit hinzukomme. Es ging also meist um seltenere Phänomene als um die häufiger vorkommenden Startschwierigkeiten.
Mittlerweile kommen sehr viele Anfragen für Stillberatung von Frauen, die gar keine Hebamme haben. Oft melden sich auch die Partner, weil die Frau im Wochenbett gerade emotional viel zu belastet ist, um auch noch nach einer Stillberaterin zu suchen. Da sich Mütter nach der Geburt nicht in Brust, Bauch und Seele aufteilen lassen, gilt es auch bei der Stillberatung immer, ein umfassendes Bild vom Befinden der Frau zu bekommen. Eben weil alles mit allem verbunden ist.
Dazu gehört auch immer die Geburtsanamnese. Was hier so sachlich klingt, ist es nicht. Gerade bei den Müttern, die ohne Hebamme im Wochenbett sind, bin ich oft die erste Person, die danach fragt. Also wirklich danach fragt. Denn ich möchte wissen, wie es der Mutter damit geht – und nicht nur ein Häkchen bei „Spontangeburt“ oder „Sectio caesarea“ setzen. Denn Geburt und Stillen sind miteinander verbunden. Und das ganze Befinden einer Mutter nach der Geburt ist davon geprägt, wie sie diese erlebt hat.
Manche haben noch nie darüber geredet
Das Besprechen des Geburtserlebnisses ist für mich ein sehr wichtiger Punkt in der Wochenbettbetreuung. Mütter brauchen Raum und Zeit, um das Erlebte zu verarbeiten. Selbst bei einer durchweg positiv erlebten Geburt ist man oft ein bisschen überwältigt von all den damit verbundenen Emotionen. Ich war sehr dankbar, dass ich nach meinen vier Geburten auch immer noch einmal oder sogar mehrmals mit den Hebammen reden konnte, die mich dabei begleitet haben.
Das ist eigentlich der Idealfall. Und ideal wäre es, wenn Hebammen in der Klinik auch dafür Zeit bekommen würden. Aber es ist ja oft noch nicht mal genug Zeit da, um Frauen so zu begleiten, damit es dem eigenen Anspruch an eine gute Geburtsbegleitung gerecht werden kann. Wie soll das auch gehen, wenn ich mich als Hebamme um zwei bis vier Frauen gleichzeitig kümmern muss?! Es gibt Kliniken, die auch Nachgespräche anbieten, aber dafür müssen die Frauen in der Regel selbst aktiv werden und sich dort melden. Dafür fehlt oft die Kraft oder auch die Zeit, wenn der Babyalltag einen im Griff hat.
Der Zeitpunkt, an dem Mütter über ihre Geburt sprechen, spielt auch eine große Rolle. So wird in den ersten Tagen das Erlebte meist als eher positiv bewertet. Erst nach und nach kommen die „unguten Erinnerungen“ nach oben. Der Körper hat Schutzmechanismen, die uns auch nach traumatisch erlebten Ereignissen helfen, „zu funktionieren“. Doch immer wieder lässt er auch diese Erinnerungen durch. Oder sie werden von bestimmten Situationen getriggert. Für viele Frauen, die eine Geburt als sehr belastend erlebt haben, ist die Zeit um den ersten Geburtstag herum nicht einfach. Manche haben bis dahin mit noch niemanden darüber geredet über das, was sie als gewaltsam und übergriffig unter der Geburt erlebt haben.
Roses Revolution Day gegen Gewalt in der Geburtshilfe
Und dass damals mit ihnen keiner geredet hat, ist auch belastend. Denn oft ist es nicht die Intervention selbst, die die Geburt für eine Frau so schrecklich macht. Sondern vor allem, wie mit ihr umgegangen wurde und dass sie nicht verstanden hat, was da gerade geschieht. Sie nicht gefragt wurde. Ihr hinterher nicht erklärt wurde, was da warum passiert ist. Oder dass nur darauf geschaut wurde, dass Mutter und Kind „gesund“ aus der Geburt hervorgegangen sind. Doch Gesundheit beinhaltet wesentlich mehr als das, was darunter in diesem Kontext verstanden wird. Wie eingangs gesagt, hängt alles mit allem zusammen. Psychische Probleme im Wochenbett oder Stillschwierigkeiten haben sehr vielfältige Ursachen. Das Erleben der Geburt kann eine davon sein.
Heute ist der Roses Revolution Day – ein globaler Tag gegen Gewalt in der Geburtshilfe. Frauen, die dies erlebt haben legen als Zeichen für die Bedeutung einer würdevollen Geburtshilfe an ihrem Geburtsort eine Rose nieder. Viele Frauen legen auch einen Brief dazu, in dem sie ihre Geburtsgeschichte erzählen. Manche Frauen werden sie an diesem Tag zum ersten Mal erzählen. Weil sie bisher nicht darüber sprechen oder schreiben konnten. Oder auch weil sie eben niemand bisher danach gefragt hat. Oder zugehört hat. So wie ihnen vielleicht schon vor und unter der Geburt nicht richtig zugehört wurde.
Mit der wegbrechenden Wochenbettbetreuung wird auch an dieser Stelle eine weitere Lücke entstehen. Schwere Geburten werden Mütter zukünftig noch mehr mit sich selbst ausmachen müssen. Gleichzeitig sorgen die Bedingungen in den überfüllten und unterbesetzten Kreißsälen nicht für eine gute Basis, jeder Frau den Raum, die Beachtung ihrer Bedürfnisse und die emotionale Sicherheit zu geben, die es eigentlich zum Gebären braucht. Ich verstehe beide Seiten. Und ich hoffe, dass die vielen Geburtsgeschichten heute weit über die Kreißsäle hinaus gelesen werden. Zum Beispiel an den Stellen, wo Geburtshilfe und sämtliche anderen medizinischen Bereiche primär aus einer wirtschaftlichen und nicht mehr aus einer menschlichen Sichte betrachtet werden…
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