Ich bin Vater in Elternzeit, zwölf Monate am Stück. Dafür gibt es viele kleine Gründe und einen großen: Ich will Zeit erleben mit meiner Familie. Es ist ein kostbares Gut, diese Zeit verbringen zu können. Sie kommt niemals wieder. Kein Geld der Welt kann sie kaufen. Und weniger Geld ist in der Regel das einzige, was einer langen Elternzeit im Weg steht. Das Elterngeld ersetzt kein Gehalt, aber macht doch alles etwas einfacher, als es noch vor Jahren bei unserem ersten Kind der Fall war. Noch haben wir zwar keinen Cent Elterngeld bekommen, aber das liegt an den in Berlin völlig überlasteten Ämtern und Elterngeldstellen.
Ende März ist unsere Tochter geboren worden – und direkt mit ihrer Geburt startete meine Elternzeit. Als festangestellter Kulturjournalist in leitender Funktion werde ich Vollzeitvater. Warum? Weil es geht und ich das will. Es sind „nur“ zwölf Monate, in denen ich aber unmittelbar und intensiv daran teilhaben darf, meine Tochter in ihrem ersten Jahr zu begleiten. Und mit ihr den Alltag der drei anderen Kids und meiner Frau. Es ist ein Jahr für die Familie, ich bin dankbar, dass es diese Option gibt.
Elternzeit heißt weniger Einkommen aber mehr Zeit für alles
Klar, ich verzichte auf einen Teil meines Einkommens und weiß am Ende nicht ganz genau, wie gut oder schlecht mein Chef diese Entscheidung findet. Aber von den damit verbundenen Ängsten muss man sich wirklich frei machen, denn sie führen ohnehin ins Nichts. Und alles, was man dafür bekommt, ist so viel mehr wert als ein paar Euro auf der Bank. Bestätigt hat mich in meiner Entscheidung ein Zufallstreffen mit einem ZDF-Kameramann einige Wochen vor der Geburt. Er ist genau den gleichen Weg schon vor über 15 Jahren gegangen. Damals kannte er niemanden sonst, der das beim Zweiten Deutschen Fernsehen getan hatte. Oder sonst irgendwo. Und Elterngeld gab es damals auch noch nicht.
Seine Frau arbeitete freiberuflich, ebenso wie meine. Es war einerseits viel simpler, dass er Elternzeit nimmt, ebenso wie heute bei uns. Aber viel wichtiger war dieser eine Satz, den er sagte: „Meine Tochter und ich haben bis heute ein so inniges Verhältnis, können über alles reden und haben einen tollen Zugang zueinander.“
Fundament für die Beziehung
Natürlich garantieren zwölf Monate Elternzeit nicht, dass ich als Vater später eine tolles Verhältnis zu meinem Kind habe. Diese Zeit legt einen Grundstein. Je mehr man sich anfangs Zeit für Kind und natürlich den Rest der Familie nimmt, umso höher ist die Chance auf ein festes Fundament. Es ist eine so wichtige Zeit für alle. Je mehr Druck eine Familie rausnehmen kann, umso besser. Wir verzichten für diese Zeit gemeinsam auf Geld und leben von Ersparnissen, die nicht in materielle Güter oder die teure Flugreise fließen. Dafür gibt’s im Gegenzug Zeit für Familie, Liebe und wir schaffen Vertrauen, von dem wir in den kommenden Jahren zehren werden. Das haben wir bei allen Kindern so oder so ähnlich versucht und gemacht. Es hat sich für uns vielfach ausgezahlt.
Elternzeit als Angebot ist sinnvoll und richtig, vor allem für Väter. Dennoch nehmen noch immer viel zu wenige Väter in Deutschland länger als zwei Monate Elternzeit. Es ist noch viel Überzeugungsarbeit nach der Zeugung zu leisten. Es muss sich weiter in den Köpfen der Menschen (und Väter) etablieren, dass Zeit mit dem Kind extrem wichtig und wertvoll ist. Wir sind in der glücklichen Lage, diesen Weg gehen zu können – aber auch nur, weil wir ihn gehen wollen. Wie gesagt: Zwölf Monate Elternzeit heißt Verzicht auf Einkommen und Vorplanung auf genau diesen Umstand.
Eltern versuchen, vieles noch „nebenbei“ zu wuppen
Aber gerade als Mann bekomme ich unendlich viel dafür, die ganze Familie profitiert davon. Nach aktuell fast drei Monaten mit dem neuen Baby zeigt sich für uns, dass wir trotz vier Kindern in dieser Babyzeit am entspanntesten unterwegs sind. Es ist fast ein bisschen ironisch, wenn ich auf die Zeit mit dem ersten Baby zurückblicke. Und auf die nicht wenigen Probleme, die wir damals hatten. Natürlich einfach deshalb, weil es das erste Kind war. Aber auch weil wir versuchten Hebammenpraxis, Vollzeitjob und Studium noch „nebenbei“ zu wuppen. Es war ein langer Lernprozess.
Jetzt haben wir durch die Elternzeit die Ruhe, unser Baby kennenzulernen und das Familienleben zu sechst neu zu sortieren. Das Baby ist entspannt, stillt viel, strampelt rum und wird viel von Anja oder mir im Tragetuch durch die Gegend geschuckelt. Die wenigen Phasen des Schreiens lassen sich bis jetzt immer gut abfangen. Vermutlich auch deshalb, weil wir die Zeit haben, es zu tun. Natürlich: Eine lange Elternzeit gibt auch keine Garantie für ein tiefenentspanntes Baby. Aber wenn Kinder besonders hohe Bedürfnisse haben, brauchen die Eltern doch gerade viel Zeit für die Begleitung ihres Kindes und nicht noch mehr zusätzliche berufliche Belastung.
Keine Angst vor der Elternzeit
Bei uns ist der Druck von außen relativ gering. Anja arbeitet zwar schon wieder, aber sehr reduziert und gut planbar. Ich muss derweil nicht zwischen Abliefern im Job und Abliefern zuhause hin und her pendeln. Gerade dieser Umstand hat mir in der Zeit nach der Geburt des dritten Kindes doch einiges abverlangt. Das lag sicherlich auch daran, dass das Söhnchen etwas mehr Aufmerksamkeit beanspruchte.
Natürlich habe ich ein bisschen Respekt vor der Zeit nach der Elternzeit. Wie geht es im Job weiter. Wie empfängt mich mein Team? Was denkt mein Chef? Wissen kann man es vorher nicht. Was ich weiß: Bei mir ist es sicherlich auch durch individuelle Umstände so, dass mir mehr Zeit mit meiner Frau und meinen Kindern wichtiger ist als die Anhäufung von Besitztümern. Natürlich braucht man Geld, aber nicht so viel, wie man denkt. Und wir investieren es seit geraumer Zeit lieber in Erlebnisse. Und zuletzt noch ein wichtiger Satz für euch werdende Väter und Väter da draußen: Bitte bitte habt in Sachen Elternzeit keine falsche Scham vor dem Arbeitgeber, denn der profitiert in allen Fällen stärker von motivierten und glücklichen Arbeitnehmern als von unglücklichen.
Schreibe einen Kommentar