Liebe Großeltern,
meine allerherzlichsten Glückwünsche zu eurem Enkelkind.
Doch wir müssen reden, denn manchmal macht ihr es uns Hebammen schwer. Aber es geht hier gar nicht um uns, sondern um eure Kinder, die gerade selbst zum ersten Mal Eltern geworden sind. Und ihr zum ersten Mal Großeltern, was wahrscheinlich genauso aufregend ist. Nur dass ihr euch jetzt doppelt so viele Gedanken macht – um eure Kinder und um das Enkelkind, das gerade geboren wurde.
Die jungen Eltern machen sich auch viele Gedanken und versuchen, im Wirrwarr von Informationen, Expertentipps und guten Ratschlägen ihren eigenen Weg zu finden. Dabei versuchen wir Hebammen ihnen zu helfen und ihre eigene meist sehr richtige Intuition in Bezug auf das Elterndasein zu stärken. Während die gut gemeinten Tipps der anderen vielleicht noch halbwegs ignoriert werden können, wenn sie für die Eltern nicht passen – so haben eure Worte doch oft viel mehr Gewicht. Was ihr sagt oder empfehlt, nehmen sich eure Kinder zu Herzen. Und das auch, wenn sie selbst eigentlich ganz anderer Meinung sind.
Hormoneller Ausnahmezustand
Gerade Mütter im hormonellen Ausnahmezustand nach der Geburt sind extrem empfänglich für subtil geäußerte Kritik an ihrem Tun. Sie sind sehr verletzlich, wenn das Gefühl entsteht, dass sie „falsch“ mit ihrem Kind umgehen. Ich weiß, dass ihr das meist gar nicht so meint, wenn ihr fragt, wann das Kind denn endlich mal was „Richtiges“ zu essen bekommt oder in Frage stellt, ob es sinnvoll ist, dass Kind bei jedem „Pieps“ immer auf den Arm zu nehmen.
Einiges habt ihr genauso gemacht, vieles habt ihr anders gemacht. Jede Zeit hat ihre eigenen Wege und Empfehlungen. Aber gerade in der Zeit, in der eure Kinder geboren wurden, hat man es Eltern oft nicht leicht gemacht, auf ihr Bauchgefühl zu hören. So wurde etwa früher gerne behauptet, dass das Schreienlassen die Lungen stärkt und nur ein vierstündiger Still- oder Fütterrhythmus für ein gutes Gedeihen des Kindes sorgt. Schon so einige Großmütter haben mir erzählt, dass sich das alles oft falsch für sie anfühlte und sie es dann doch anders gemacht haben. Aber genau wie die Eltern heute wart auch ihr sicher oft sehr verunsichert und habt gehofft, durch die Ratschläge der Experten das Beste für euer Kind zu tun. Und das habt ihr sicher auch getan mit dem Wissen, was euch zu dem Zeitpunkt zur Verfügung stand.
Vieles ist heute anders
Viele Empfehlungen haben sich mittlerweile geändert. So wird statt striktem Fütterrhythmus ein Stillen nach Bedarf empfohlen. Die Babys sollen viel im Körperkontakt mit ihren Eltern sein, statt sie „nur satt und sauber“ in der Wiege abzulegen. Die Kinder sollen möglichst im Nahbereich der Mütter schlafen statt in einem extra Kinderzimmer. Und mit der Beikost wird auch gewartet, bis das Kind selbst mit agieren kann. Und es gibt noch viele, viele Dinge, die mittlerweile ganz anders sind, als ihr sie kennt.
Wenn ihr dann der dauerstillenden Tochter oder Schwiegertochter den frühen Schnullergebrauch empfehlt, macht ihr das sicher mit der guten Absicht, sie zu entlasten. Dass dies aber anfangs das Stillen empfindlich irritieren kann, ist vielleicht ganz neu für euch. Auch der wahrscheinlich nett gemeinte Ratschlag, dem Baby doch einfach die Flasche zu geben, wenn eine Mutter gerade ums Stillen kämpft, ist deshalb genauso unpassend wie die Äußerung, dass das Kind total verzogen wird, wenn es die Eltern bei jeder Gelegenheit auf den Arm nehmen. Ob das Tragetuch das Richtige für den kleinen Babyrücken ist… ja auch darüber macht ihr euch Gedanken, weil ihr diese Transportmethode wahrscheinlich gar nicht aus eigener Erfahrung kennt.
Das Beste fürs Kind
Auf ein interessiertes Nachfragen bekommt ihr sicher auch eine schlüssige Antwort von euren Kindern. Auch wir Hebammen klären gerne darüber auf, weshalb Dinge so empfohlen werden oder auch nicht. Entscheiden tun aber immer die Eltern, denn sie sind die Experten für ihr Kind. Wenn aber den „Anfänger-Eltern“ erzählt wird, dass sie die Dinge besser anders machen sollten oder sogar womöglich noch selbst Schuld daran sind, dass Situationen anstrengend werden oder sie sich erschöpft und müde fühlen, dann wird das meist als pure Kritik aufgefasst. Kritik an der gerade eingenommenen Elternrolle. Und das ist das Letzte, was Mütter und Väter im Wochenbett gebrauchen können, wenn sie gerade in ihr Elternsein hinein wachsen.
Oft sagen sie nichts dazu, aber manchmal ist die innere Aufregung darüber so groß, dass der Stress einen Milchstau verursacht oder die Tränen fließen, wenn sie uns Hebammen später von eurem Besuch erzählen. Denn genau wie ihr wollen sie das Beste für ihr Kind – und sie wollen es möglichst richtig machen. Und sie wollen hören, dass sie es richtig machen. Von uns Hebammen, aber vor allem von euch. Mütter blühen geradezu auf, wenn sie von der eigenen Mutter gesagt bekommen, dass sie ihre Sache wunderbar machen. Auch Söhne und Schwiegersöhne hören das gerne mal über ihren nicht einfachen Job als Wochenbettmanager.
Vertrauen und Loslassen
Eure Anfangszeit mit einem Baby – sie ist lange her. Die Natur sorgt dafür, dass wir als Eltern ganz schnell die anstrengenden Zeiten vergessen, wahrscheinlich damit wir doch mehr als ein Kind bekommen. Aber vielleicht erinnert ihr euch doch noch an eure ersten Wochen als unsichere Eltern zurück. Vielleicht erinnert ihr euch daran, was euch gut getan hat und was nicht. Und wie euch diese vielen „guten Tipps“ der anderen bisweilen genervt haben. Dass eure Kinder jetzt vieles anders machen, heißt übrigens absolut nicht, dass ihr „alles falsch“ gemacht habt. Ganz bestimmt nicht. Denn schließlich hat eure Begleitung eure Kinder auf ihrem Lebensweg zu den Menschen gemacht, die sie jetzt sind. Und es ist gut, wenn Kinder selbstbewusst Dinge anders machen und ihren eigenen Weg finden, ob generell im Leben oder eben als junge Eltern.
Eltern sein heißt ein Leben lang, den eigenen Kindern zu vertrauen und sie immer wieder loszulassen. Aber auch in jenen Momenten da zu sein, wenn sie einen wieder brauchen.
Ganz konkret brauchen junge Eltern im Wochenbett also ebenso wenig diverse gute Ratschläge wie zahlreiche Spieluhren oder den hundertsten Strampler für das Baby. Dafür mögen sie ein bisschen Hilfe im Haushalt, eine mit Liebe gekochte Wochenbettsuppe und immer wieder etwas Lob und Anerkennung für das, was sie tun. All das trägt zu einer entspannten Wochenbettzeit bei. Genauso wichtig ist es, das Bedürfnis der neuen kleinen Familie nach Rückzug immer wieder zu respektieren. Es sind schließlich Babyflitterwochen – und in die Flitterwochen nimmt man ja in der Regel auch nicht Eltern und Schwiegereltern mit.
Unangekündigter Überraschungsbesuch passt also nicht so gut ins Wochenbett. Wenn ihr unsicher seid, wie ihr die junge Familie unterstützen könnt – einfach ehrlich fragen. Das bietet sich übrigens auch bei Geschenken an. Fragt auch nach, wenn euch Dinge im Umgang mit dem Baby seltsam erscheinen. Ihr werdet in der Regel eine schlüssige Erklärung bekommen – von den Eltern oder von uns Hebammen. Lasst euch auf Neues ein, ob es die Spazierrunde mit dem Enkelchen im Tragetuch oder die Tatsache ist, dass ihr später Gemüsesticks fürs Enkelkind dünstet, die es selbst isst anstatt gefüttert zu werden.
Lasst euch einfach auf das ein, was eure Kinder für sinnvoll erachten. Die wissen schon, was sie tun. Sie sind ja schließlich auch von guten Eltern. Genießt eure Kinder und Enkelkinder!
Liebe Grüße von eurer Enkelkind-Hebamme.
PS: Und ja, ich treffe auch immer wieder Großeltern, die in der Wochenbettzeit ganz wunderbar einfach die Bedürfnisse der jungen Familien unterstützen und überhaupt keine ungebetenen Tipps verteilen. Weil ich nicht sicher bin, ob wir das auch so toll hinkriegen, drucke ich das hier Geschriebene schon mal in weiser Voraussicht meinen Kindern aus, damit sie uns das später in die Hand drücken können. Denn auch unsere Kinder werden bestimmt einige Dinge anders machen. Sollen sie auch…
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