Es ist meist erst mal das Gefühl, hier stimmt etwas nicht, was einen als Hebamme überkommt. Die Wöchnerin ist über das normale Maß hinaus müde und erschöpft. Der Umgang mit dem Kind wirkt leicht statisch, latent aggressiv oder einfach extrem unsicher. Vielleicht nimmt man diese Mutter auch als sehr anstrengende Patientin wahr. Einfach weil sie neben den engmaschigen Hausbesuchen noch mehrmals täglich anruft und für alles die Bestätigung der Hebamme braucht. Manchmal äußern auch die Väter, dass „etwas mit ihrer Frau nicht stimmt“.
Und dann muss man den richtigen Moment erwischen, um die Mutter mit dem Verdacht zu konfrontieren, dass sich bei ihr eine postpartale Depression entwickelt hat. Obwohl mittlerweile längst bekannt ist, dass mit zehn bis 15 Prozent nicht wenige Mütter von dieser Erkrankung betroffen sind, ist es für die meisten Frauen schwer, diese Diagnose anzuerkennen und sich auf weiterführende Hilfe einzulassen. Denn die meisten Mütter erwarten von sich, dass alles läuft. Und vor allem, dass sie glücklich sind. Schließlich haben sie doch gerade ihr lang ersehntes Baby geboren. In diese an sich so glückliche Situation passt eine depressive Erkrankung einfach nicht hinein.
Wochenbettdepression ist ein Tabuthema für viele Mütter
In England füllen alle Frauen einige Zeit nach der Geburt die Edinburgh-Skala aus – einen Fragebogen, der die Stimmungslage der letzten sieben Tage erfasst. Dieser Bogen ist ein sinnvolles und einfaches Instrument, mit dem man einer Wochenbettdepression schneller auf die Spur kommt. Somit kann eine betroffene Mutter zeitnah weitere Diagnostik und Hilfe bekommen. Ich benutze diesen Bogen auch. Aber da dieser Selbsttest in Deutschland nicht routinemäßig eingesetzt wird, muss man immer erst einmal abwägen und überlegen, ob und wann man eine Mutter damit konfrontiert. Wann gehen die Heultage wirklich in Richtung Depression? Welches herabgesetzte Wohlbefinden resultiert einfach aus zu großer Erschöpfung. Was kann durch entsprechende Entlastung schnell verbessert werden?
Es ist immer ein kleiner Balanceakt, rechtzeitig zu erkennen, welche Frau akut Hilfe braucht, ohne aber gleichzeitig die Pferde scheu zu machen. Das liegt mit daran, dass die Wochenbettdepression auch heute noch für viele Mütter ein Tabuthema ist. Denn wer wird Verständnis dafür haben, dass man so traurig und antriebslos ist, obwohl man eigentlich mitten im glücklichsten Abschnitt seines Lebens steht? Darf eine Mutter überhaupt so erschöpft sein, dass sie sich nicht mehr adäquat um ihr Kind kümmern kann?
Die äußeren Umstände sagen wenig aus
Während bei einem Beinbruch jeder dafür Verständnis hat, dass man damit nicht laufen kann, sieht es bei der postpartalen Depression ein bisschen anders aus. Schließlich sieht man von außen nichts. Außer vielleicht eine Mutter, die nicht permanent glücklich aussieht und auch nicht die ganze Zeit begeistert von ihrem Baby und ihrer Mutterschaft redet, so wie es doch alle erwarten…
Ja, man darf durchaus als Mutter mal über Schlafmangel, Augenringe und Rückenschmerzen stöhnen, aber zu sagen, dass man am liebsten nicht mehr aufstehen mag oder keine richtigen Muttergefühle, ja vielleicht sogar Aggressionen dem Kind gegenüber spürt. Da sieht das mit dem Verständnis der anderen, ja sogar dem des eigenen Partners ganz anders aus. Es gibt sicher einige Faktoren, die die Entwicklung einer Wochenbettdepression begünstigen. Aber ereilen kann es jede Frau. Auch dann, wenn die Schwangerschaft und die Geburt scheinbar bilderbuchmäßig verlaufen sind. Genauso muss eine traumatische Geburt, eine psychische Vorerkrankung, eine instabile Partnerschaft oder ein Baby mit sehr hohen Bedürfnissen nicht zwingend zur postpartalen Depression führen. Deshalb müssen wir als Hebammen immer ganz genau hinschauen, weil die äußeren Umstände allein noch wenig aussagen.
Auch Väter leiden an Wochenbettdepression
Im Übrigen kommt die Wochenbettdepression auch bei bis zu acht Prozent der Väter vor. Dort ist diese meist noch schwieriger zu erkennen. Ich werde mittlerweile immer hellhörig, wenn sich Frauen im Wochenbett bei mir zu sehr über ihre Partner „beklagen“. Bei den Frauen spielen zwar auch noch die hormonellen Veränderungen eine Rolle bei der Entwicklung einer Depression. Aber die gravierende Umstellung auf ein Leben als Eltern und alle damit verbundenen Erfahrungen und zeitweiligen Überforderungen erleben Mutter und Vater gleichermaßen.
Auch wenn es im allgemeinen Wochenbettdepression heißt, sind damit depressive Erkrankungen im gesamten ersten Jahr nach der Geburt gemeint. Der Babyblues, auch Heultage genannt, tritt in den ersten Tagen nach der Geburt als kurzzeitiges postpartales Stimmungstief auf. 25 bis 50 Prozent aller Wöchnerinnen sind betroffen. Der Übergang in die Wochenbettdepression kann allerdings fließend sein.
Die Mutter-Kind-Bindung stärken und festigen
Beim Verdacht auf eine depressive Erkrankung sollte immer auch die Schilddrüsenfunktion überprüft werden. Eine Dysfunktion sorgt für ähnliche Symptome, die aber mittels einer medikamentösen Therapie gut gelindert werden können. Wenn nun aber aus dem Verdacht eine Bestätigung der Wochenbettdepression wird, ist damit der erste wichtige Schritt zur Heilung gegangen. Viele Frauen sind froh, diese Mischung aus Traurigkeit, Gereiztheit, Angst oder auch Überforderung endlich einordnen zu können. Die Depression kann auch akute körperliche Beschwerden wie Kopfweh, Magenschmerzen, Schwindel oder Schlafstörungen mit sich bringen.
Wie die Depression jetzt behandelt wird, mit psychotherapeutischen Verfahren oder auch ergänzend medikamentös, liegt im Ermessen des behandelnden Arztes in Absprache mit der erkrankten Frau. Da aber die Wochenbettdepression in einer besonders sensiblen Lebensphase stattfindet, sollte das Therapeutenteam auch darauf spezialisiert sein. Denn gleichzeitig muss die Mutter-Kind-Bindung gestärkt und gefestigt werden. Auch das unterstützt den Heilungsprozess, wenn sich die betroffene Frau als kompetente Mutter für ihr Kind erleben kann. Ein abruptes Abstillen oder gar die Trennung von Mutter und Kind sind sicher nicht der richtige Weg. Eine Ausnahme bildet die akute Selbst- und Fremdgefährdung, wie sie in den sehr seltenen Fällen einer Psychose auftreten kann.
Entlastung und Verständnis
Hier in Berlin gibt es mittlerweile viele gute Behandlungskonzepte, die zeitgleich die sichere Bindung zwischen Mutter und Kind fördern. Auch eventuell notwendige medikamentöse Therapien werden möglichst stillverträglich ausgewählt. Die Versorgungslage ist allerdings nicht überall so umfassend. Und so heißt es oft genug noch, dass sich die Mutter zeitweise von ihrem Baby trennen muss, wenn ein Klinikaufenthalt unumgänglich ist. Ein absolutes Dilemma, das nicht dazu beiträgt, dass sich die Mütter auf den Heilungsprozess konzentrieren können.
Natürlich sind auch viele Wochenbettdepressionen ambulant behandelbar. Dafür ist es aber dringend erforderlich, dass die Mütter zu Hause wirklich entlastet sind. Die Frau mit dem Beinbruch hat es da leichter in der Argumentation, warum sie zeitweilig nicht auch noch den Haushalt versorgen kann. Oft übernehmen ja die Väter in der Akutphase die primäre Versorgung des Babys. Es ist enorm wichtig, dass Dinge wie Kochen und Hausarbeit durch andere übernommen werden. Denn sonst ist auch der engagierteste Vater schnell am persönlichen Limit angekommen.
Entlastung und Verständnis sind für beide Eltern wohl das Wichtigste. Depressive Mütter sind meist ohnehin von Versagens- und Schuldgefühlen geplagt, weshalb es wichtig ist, sich mit Menschen zu umgeben, die einem gut tun. Die einem sagen, dass man eine gute Mutter ist – trotz der Depression.
„Lächelnde Depression“
Der Austausch zu anderen betroffenen Müttern ist eine wichtige Unterstützung auf dem Weg zur Heilung. Die meisten Frauen denken gerne, dass es alle anderen „besser hinkriegen“. Aber genauso unfreiwillig wie man sich ein Bein bricht, so bricht die Wochenbettdepression über eine Mutter hinein – und das manchmal auch unter scheinbar idealen äußeren Bedingungen. Die Heilung eines gebrochenen Beines dauert und ebenso ist es mit einer psychischen Erkrankung nach der Geburt.
Die ersten Schritte sind vielleicht noch wackelig und es ist oft Wut und Trauer da, warum es gerade einen selbst erwischt hat. Doch die Prognose für die Ausheilung einer Wochenbettdepression ist gut, sogar günstiger als bei anderen depressiven Erkrankungen. Ich erlebe die Frauen mit Wochenbettdepressionen als sehr motiviert, wenn es um die Umsetzung der Therapieangebote geht. Sie wollen schnell gesund werden – für sich, für ihr Kind, für ihre Familie. Deshalb ist es so wichtig, dass betroffene Frauen schnelle und passende Hilfe bekommen.
Wer sich also nach der Geburt Sorgen über seinen Gemütszustand macht, kann seine Hebamme oder eine andere vertraute Person gerne darauf ansprechen. Die postpartale Depression wird auch als „lächelnde Depression“ bezeichnet, weil die Mütter so sehr die Fassade bewahren, dass weder Partner noch Freunde oder Familie und auch manchmal die Hebamme nicht mitbekommen, wie groß das seelische Leid der Mutter tatsächlich ist. Doch je rascher eine Mutter und ihre Familie in dieser Situation Hilfe und Unterstützung erfahren, desto schneller wird sie diese Krise überwinden können und wieder gesund werden.
Hilfreiche Adressen:
Schatten und Licht | Psychische Störungen nach der Entbindung | Kaiserschnitt-Netzwerk | Berliner Krisendienst
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