Noch immer steht auf manchen Erstausstattungslisten der Punkt „Kinderwagen oder Tragetuch“. Manchmal sind auch „Vor- und Nachteile“ zu dieser Frage aufgelistet. Auch von werdenden Eltern kriege ich als Hebamme immer wieder mal die Nachfrage, was denn nun „besser“ sei. Dabei gibt es hier absolut gar keine „richtige“ Antwort. Aber es gibt Antworten.
Ein Tragetuch bzw. eine gut sitzende Tragehilfe halte ich für den Babyalltag für unverzichtbar, denn alle Eltern tragen ihre Babys. Wenn dafür keine Tragehilfe genutzt wird, balanciert man das Baby auf dem Arm. Das führt langfristig zu ungünstigen Haltungen und verkompliziert den Alltag, weil man so nie beide Hände frei hat, um etwas anderes zu tun. Zum Beispiel sich etwas zu essen zuzubereiten.
Manche Eltern haben schon einige Wochen das Leben mit dem Baby einarmig gestaltet, bevor sie sich für eine Traghilfe entscheiden. Ich habe noch keine Mutter und keinen Vater getroffen, die nicht davon begeistert waren, wie viel leichter das Leben ist, wenn man plötzlich beide Hände frei hat und das Baby trotzdem nah am Körper getragen wird.
Kinderwagen können ungemein praktisch sein
Ob man mit Kind im Tuch zwei Stunden spazieren geht oder das Tuch eher für kurze Wege und primär zu Hause nutzt, hängt von vielen Faktoren ab. Aber auch Kinderwagen können ungemein praktisch sein. Im öffentlichen Nahverkehr, beengten Geschäften oder bei größeren Menschenansammlungen sind sie allerdings häufig eher hinderlich – und man kommt deutlich langsamer voran.
Neben der Beförderung des Babys sind Kinderwagen auch für den Transport von Einkäufen, als mobile Wickelstation oder für müde kleine, große Geschwisterkinder super. Und es gibt Kinderwagen, mit denen man joggen gehen kann. Das sollte man mit Kind im Tragetuch bitte nicht versuchen.
Kinderwagen sind in der Anschaffung vergleichsweise teuer. Für ein gutes Tragetuch oder eine vernünftige Trage muss man zwar in aller Regel auch mehr als hundert Euro hinlegen. Aber es ist dennoch ein Bruchteil dessen, was ein guter Kinderwagen heutzutage kostet. Der Gebrauchtmarkt empfiehlt sich hier übrigens für beide Anschaffungen. Second-Hand-Anschaffungen sparen an dieser Stelle viel Geld und sind natürlich auch nachhaltiger.
Babys kommen als Traglinge auf die Welt
Meine Empfehlung für Ersteltern ist immer, zuerst eine passende Trageoption anzuschaffen. Ob Tuch oder Trage individuell sinnvoller ist, kann man mittels einer Trageberatung herausfinden. Hier in Berlin (aber auch an anderen Orten) gibt es auch spezielle Trageläden, die nicht nur sehr gut sortiert sind, sondern auch fachkompetent beraten.
Wie groß der tatsächliche Bedarf für einen Kinderwagen ist, merkt man oft erst nach der Geburt. Babys kommen als Traglinge auf die Welt, also in der Erwartung, von ihren Eltern getragen und mitgenommen zu werden, wenn sich die Eltern fortbewegen. Dieses evolutionsbiologisch sinnvolle Verhalten erkennt man zum Beispiel daran, dass sie automatisch die Beinchen anziehen, wenn sie hochgenommen werden. In dieser Anhock-Spreiz-Haltung saß das Baby nicht nur gut auf der Hüfte der Steinzeiteltern, sondern macht es sich auch heute noch im Tragetuch gut gebunden an Mama, Papa oder eine andere Bindungsperson bequem.
Für viele Kinder, die sich anfangs nicht gerne ablegen lassen, wird der Kinderwagen dann oft im Sitzalter interessant, so dass man auch später noch überlegen kann, ob ein kompakteres und günstigeres Kinderwagenmodell bzw. ein Buggy vielleicht sinnvoller ist.
Kleinkinder bleiben „Mitnehmlinge“
Und andere Alternativen für den Transport von Babys und Kleinkindern gibt es viele. Sei es der Bollerwagen, den es auch in ganz leicht und faltbar und sogar mit Sonnendach gibt. Oder der Fahrradanhänger, der vom Fahrrad entkoppelt auch geschoben werden kann oder sich in schneereichen Regionen mit Kufen sogar zum Schlitten umbauen lässt. Denn auch wenn Babys und Kleinkinder später laufen können. Sie bleiben „Mitnehmlinge“. Ob Eltern sie dann schieben, tragen oder auf den eigenen Schultern transportieren, hängt wieder von vielen Faktoren ab. Wie bei den anderen 1001 Entscheidungen im Elternleben gibt es auch hier immer nur individuell richtig gut passende Lösungen
Die meisten Eltern möchten dennoch einen Kinderwagen anschaffen, am liebsten schon vor der Geburt. Sicherlich auch deshalb, weil es schön ist zu überlegen, wie und wo man zusammen mit seinem Baby unterwegs sein möchte. Der Kinderwagenkauf hat auch eine hohe emotionale Komponente. Und obwohl in der Schwangerschaft der Stress nicht selten hoch ist, weil das gute Stück dann sechs Wochen Lieferzeit hat, stehen doch viele Kinderwagen in den ersten Wochen nach der Geburt primär als hübsches Dekostück in der Wohnung herum. Hier in Berlin kommt zudem immer noch die Überlegung hinzu, ob man jetzt für den kurzen Weg zum Bäcker den Wagen wirklich die fünf Stockwerke herunter trägt. Und dann wieder rauf.
Aber in der Regel kommt der Kinderwagen noch zum Einsatz – aber oft erst etwas später. Und um zur Ausgangsfrage „Tragetuch oder Kinderwagen?“ zurückzukommen. Das Tuch oder die Trage sind eine wichtige Unterstützung im Babyalltag, allein schon, um Rücken und Beckenboden sinnvoll zu entlasten. Ob und was für einen Kinderwagen man braucht, ist höchst individuell. Trageoption und Kinderwagen können sich ganz wunderbar ergänzen. Also lieber bei der Extraausstattung für den Wagen etwas zurückhaltender sein und dafür noch in ein Tuch oder eine Trage investieren. So kann man flexibel auf die Bedürfnisse der kleinen Mitnehmlinge eingehen.
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