Es gab mal eine Zeit, lange vor Hipp, Nestlé oder Alete, in der ein Baby schlichtweg verhungert wäre, wenn es nicht gestillt worden wäre. Auch heute gibt es noch genug Länder auf der Welt, in denen weder entsprechende Formulanahrung noch frisches Trinkwasser zur Zubereitung ausreichend zur Verfügung steht. Also hat die Evolution dafür gesorgt, dass Mütter ihre Babys gerne und möglichst lange stillen.
Das beim Stillen ausgeschüttete Hormon Oxytocin bewirkt, dass Mütter sich entspannt und wohl dabei fühlen. Trotzdem hört man (zu) häufig von Frauen, die unter Schmerzen stillen und sich teils wochenlang mit wunden Brustwarzen herumquälen. Selbst ich hörte bei meinem ersten Kind den wenig hilfreichen Spruch: „Stillen wird erst nach vier Wochen schön.“ Einen Monat Schmerzen bzw. Angst vor jedem Anlegen? Nein, so ist das natürlich nicht von der Natur gedacht.
Aber immerhin haben wir Frauen ja gerade eine Geburt hinter uns gebracht. Da liegt quasi der Gedanke nahe, dass wir nun alles aushalten müssen, was mit dem Kind zu tun hat. Wehen sind aber eine Ausnahmesituation, was Schmerzen angeht. Wehen sind auch weniger Schmerzen. Sie sind körperlich große Kräfte, die dafür sorgen, dass das Baby geboren werden kann. Bei guten Geburtsbedingungen passiert das unter dem Einfluss des körpereigenen Hormoncocktails aus Endorphinen, der das alles gut aushaltbar macht. Deshalb lässt sich ein möglicher Geburtsschmerz kaum mit den beim Stillen auftretenden Schmerzen vergleichen.
Das Stillen selbst ist ein Lernprozess
Schmerzen sind also in der Regel aber immer ein Warnsignal des Körpers, das etwas nicht stimmt und verändert werden sollte. Wenn ich mir meinen Arm verletze, nehme ich fast automatisch eine Schonhaltung ein und versuche, ihn zu schonen. Aber vor allem werde ich mir sehr wahrscheinlich Hilfe holen, um die Ursache zu finden und die entsprechende Therapie einzuleiten.
Nur auf Schmerzen beim Stillen, etwa durch möglicherweise verletzte Brustwarzen, scheint das wohl nicht zuzutreffen. Da wird gesalbt, geschmiert oder mit Plastikhütchen abgedeckt, ohne das irgendwas an der Ursache behoben wird. Die Wirkung ist dementsprechend: Vielleicht gibt es eine minimale Linderung der Beschwerden oder auch nur eine gewisse Abstumpfung von Seiten der Mutter. Zudem werden oft viel zu lange die Zähne zusammengebissen anstatt zu schauen, wie eine Linderung bis zum Abklingen der Beschwerden erreicht werden kann. Dabei kann durchaus auch der Einsatz eines entsprechenden Schmerzmittels sinnvoll sein.
Aber warum gibt es diese Beschwerden überhaupt so häufig? Stillen ist doch so natürlich und nahezu jede Frau kann das, oder etwa nicht? Es stimmt tatsächlich, dass fast jede Mutter die Voraussetzung zur Milchbildung mitbringt. Aber das Stillen selbst ist ein Lernprozess, der vielen externen Einflussfaktoren unterliegt. Früher wurde das Stillwissen von Generation zu Generation weitergegeben. Schon junge Mädchen wussten also wahrscheinlich, wie man ein Baby am besten anlegt. Einfach deshalb, weil sie es in ihrem Alltag mitbekamen. Als die heutige Elterngeneration klein war, boomte aber gerade die Flaschennahrung. Somit sind die meisten von uns gar nicht oder nur kurz gestillt.
Entspannte Stillzeit ermöglichen – und zwar von Anfang an
Angeblich hatten fast alle unsere Mütter zu wenig Milch, so dass nach kurzer Zeit zugefüttert wurde. Wenn denn überhaupt gestillt wurde. Damit war die Abstillkette schnell in Gang gesetzt. Der Floh von der „familiär vererbten Milchbildungsschwäche“ sitzt bis heute vielen Müttern im Ohr. Waren die Frauen damals wirklich alle so „defizitär“, dass sie nicht genug Muttermilch produzieren konnten?
Natürlich nicht! Es wurde ihnen nur allerhand Unsinn erzählt. Etwa, dass es ausreiche, ein Neugeborenes alle vier Stunden anzulegen. Zum Glück kursieren viele dieser stillhemmenden Ammenmärchen nicht mehr. Trotzdem aber quälen sich noch viel zu viele Frauen mit Stillproblemen aller Art herum. Vor der Geburt kommt die Vorbereitung oft zu kurz oder der Fokus der Eltern liegt auf anderen Themen.
Wenn es nach der Geburt Probleme gibt, findet sich schon jemand, der helfen kann. So jedenfalls die Denke. Und so sollte es sein. Aber realistisch bleibt in den Kreißsälen und auf den Wochenbettstationen bei immer dünnerer Personaldecke immer weniger Zeit dafür. Auch externe Hilfe durch eine erfahrene Hebamme oder Stillberaterin lässt sich immer schwerer zu finden. Viele Frauen haben nicht einmal mehr eine Wochenbettbetreuung und stehen nur wenige Stunden oder Tage nach der Klinikentlassung zu Hause mit ihrem Baby und ihren Stillproblemen alleine da.
„Holt euch unbedingt kompetente Hilfe“
Es ist selbst im großen Berlin eine Herausforderung, eine Stillberaterin zu finden, die noch freie Kapazitäten hat. Leider kommen diese zudem meist erst zum Einsatz, wenn das Kind schon (sehr tief) in den Brunnen gefallen ist. In ihrer Odyssee haben die Frauen sich schon alles auf die Brust geschmiert, was der Markt an Produkten und Hausmittelchen so hergibt. Dass vieles davon die Sache noch verschlimmert, können sie nicht wissen.
Woher auch, denn wenn diese unsachgemäßen Tipps nicht gerade aus Internetforen stammen, kommen sie meist von „Fachleuten“. Und die werden sich doch bitteschön auskennen, oder?! Leider ist das nicht immer der Fall. Stillen hat zum Beispiel im ärztlichen Studium nahezu keinen Stellenwert, wie mir meine Freundin, selbst Ärztin, noch zu Studienzeiten bestätigte. Selbst in der Ausbildung bzw. im Studium von Hebammen ist das Niveau nicht einheitlich geregelt.
Dabei gehört die Stillberatung mit zu den originären Hebammentätigkeiten. Aber Stillfortbildungen müssen in der Regel selbst finanziert werden. Kostenfreie und damit für das nicht gerade überbezahlte, medizinische Fachpersonal „interessante“ Stillfortbildungen werden auch gerne mal von der Säuglingsnahrungsindustrie gesponsert. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Aber ein Autohändler will schließlich auch keine Fahrräder verkaufen.
Über 90 Prozent aller Mütter möchten gerne stillen
Im Geburtsvorbereitungskurs ist das Stillen natürlich Thema, aber besonders aufnahmebreit sind Eltern in dieser Phase der Schwangerschaft dafür nicht. Alles fokussiert sich in den letzten Schwangerschaftswochen auf die Geburt. Wenn die erst mal geschafft ist, wird der Rest schon ganz von alleine passen. Da es aber meist doch nicht so einfach ist, gebe ich den werdenden Eltern im Kurs zumindest eine wichtige Botschaft mit: „Holt euch unbedingt kompetente Hilfe, wenn das Stillen über eine anfängliche Empfindlichkeit der Brustwarzen hinaus weh tut.“
Das trifft natürlich auch auf alle anderen Stillprobleme zu – sei es zu wenig oder zu viel Muttermilch oder auch vom Kind ausgehende Schwierigkeiten wie Probleme beim Saugen. Eltern müssen sich heute auf vieles besser vorbereiten als zuvor. Häufig auch, weil niemand da ist, den sie bei Fragen oder Problemen unkompliziert und vor allem zeitnah kontaktieren können.
Noch vor einigen Jahren riet ich eher dazu, nicht zu viel zu lesen. Heute empfinde ich heute diese Form der Vorbereitung als wichtiger denn je. Es kann natürlich sein, dass alles ganz glatt und unkompliziert läuft, einfach weil Frau es einfach auf sich zukommen lässt. Wenn es aber schwierig wird, sorgt der emotionale und generelle Ausnahmezustand nach der Geburt dafür, dass man sich doch nicht so um Hilfe kümmern kann, wie es vielleicht sonst der Fall wäre. Über 90 Prozent aller Mütter möchten gerne stillen und beginnen nach der Geburt damit.
Zeitnah Hilfe und Unterstützung holen
Doch schon nach wenigen Monaten gehen die Stillraten rapide in den Keller. Anhaltende Schmerzen sind einer der häufigsten Gründe für das Abstillen. Evolutionsbiologisch ist eine wesentlich längere Stillzeit vorgesehen. Ebenso ist es vorgesehen, dass sich eine Mutter beim Stillen wohl fühlt. Sorgen, Beschwerden oder Schmerzen reduzieren das mütterliche Wohlbefinden aber erheblich. Deshalb noch einmal der Tipp, sich immer möglichst zeitnah Hilfe und Unterstützung zu holen.
In den ersten Tagen können sich die Brustwarzen durchaus etwas empfindlich oder gereizt anfühlen. Es gibt Vermutungen, dass dies an dem anfänglich sehr hohen Prolaktinspiegel liegt. Sobald aber die Beschwerden über eine etwas unangenehme Irritation der Brustwarze hinaus gehen, richtige Schmerzen auftreten oder sogar schon Verletzungen sichtbar sind, sollte zügig gehandelt werden. Im besten Fall bekommt es die betreuende Wochenbetthebamme mit und wird die Wöchnerin entsprechend unterstützen.
Manchmal hilft auch der Austausch mit der stillerfahrene Freundin oder mit Müttern in der Stillgruppe. Die hat zudem in aller Regel eine Fachperson als Leitung. Bei weiter anhaltenden oder größer werdenden Problemen hat man so oft schon eine Vernetzung für den nächsten Unterstützungsschritt. Und bitte „keine Angst“ vor Stillberaterinnen oder mit zusätzlichem Stillwissen ausgebildeten Hebammen haben! Die ziehen nicht durch die Lande, um alle Frauen zum mindestens dreijährigen Stillen zu bekehren. Sie unterstützen so, wie es individuell gebraucht und gewollt wird – ob beim Stillen oder Abstillen.
Sie sind in den meisten Fällen weder dogmatisch noch stillfanatisch, wie immer wieder mal gerne unterstellt wird. Es entscheiden immer Mutter und Kind, ob und wie lange sie stillen möchten. Aber wenn sie es möchten, sollten sie so unterstützt werden, dass eine schöne und entspannte Stillzeit möglich ist. Und zwar von Anfang an.
Literatur:
Intuitives Stillen: Einfach und entspannt – Dem eigenen Gefühl vertrauen – Die Beziehung zum Baby stärken von Regine Gresens, Kösel Verlag 2016 | Stillen: Einfühlsame Begleitung durch alle Phasen der Stillzeit von Márta Guóth-Gumberger und Elizabeth Hormann, Gräfe und Unzer Verlag 2014 | Das Wochenbett: Alles über diesen wunderschönen Ausnahmezustand von Anja Constance Gaca und Loretta Stern, Kösel Verlag 2016
Beratung und Unterstützung:
Berufsverband der Still-und Laktationaberaterinnen IBCLC | La Leche Liga Deutschland | Arbeitsgemeinschaft freier Stillgruppen e.V.
Weiterführende Informationen:
Stillkinder.de | Still-Lexikon.de | Stillen-Institut.com
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