Das Thema Baby- oder Kleinkindschlaf beschäftigt viele Eltern. Die meisten haben eher mit kleinen „Schlafräubern“ zu tun. Nur manche haben „das Glück“, mit einem momentan gut schlafenden Kind gesegnet zu sein.
Wobei das „gut“ ja auch immer nur eine elterliche Perspektive zu sein scheint. Denn für das Baby ist wahrscheinlich auch eine Nacht gut, in der es „Flatrate-Stillen“ darf. Oder sich immer wieder an seine Liebsten ankuschelt. Oder auch morgens um fünf Uhr seine neuesten motorischen Fähigkeiten erprobt. Aber für uns Eltern, die sich irgendwo zwischen Babyalltag, Arbeit, Haushalt und vielleicht noch weiteren Kindern zerreißen, ist es doch schon essenziell, ob wir nachts drei oder sieben Stunden geschlafen haben. Ich rede jetzt noch nicht mal von Schlaf am Stück. Man wird ja bescheiden in den Babyjahren…
Gerade werdende Mütter fragen sich vielleicht, wie man das schafft, wenn man alle zwei bis drei Stunden geweckt wird und dann noch arbeiten muss? Ob das nun im erlernten Beruf ist oder die Arbeit in Form von Versorgung des Hauhaltes und der (Geschwister-)Kinder betrifft, ist da wahrscheinlich unerheblich. Außer, dass zu Hause weniger Leute die tiefen Augenringe sehen…
Wie schafft man das?
Ja, wie schafft man das? Ich kann ja mal für mich sprechen: Ich schaffe das nicht! Jedenfalls schaffe ich das nicht alleine. Ich wäre tagtäglich auf dem Zahnfleisch gekrochen, wenn mein Mann mir nicht morgens um Sechs oder wann auch immer den Kleinen nach unruhigen Nächten abgenommen hätte. Denn wenn ich nicht eine Minimaldosis Schlaf habe, funktioniert einfach nichts.
Ich kriege dann nichts richtig auf die Reihe. Aber am schlimmsten ist, dass ich dann ungerechtfertigterweise meinen Mann und Kinder anmaule. Primär die Größeren, die ja schon mal gar nix dafür können, dass Mama und Papa sich noch ein Baby „angeschafft“ haben. Und weil Rumgemotze und schlechte Laune das Familienleben unnötig schwer machen, teilen wir uns die anstrengenden Sachen am Kinderhaben. Jedenfalls so gut es geht…
Es war aber auch evolutionsbiologisch noch nie vorgesehen, dass Mütter und Väter oder auch Mütter ganz ohne Väter oder umgedreht ihren Nachwuchs nahezu alleine groß ziehen. Die meisten Eltern kennen den Spruch: „Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind groß zu ziehen.“ Aber wo ist dieses Dorf?
Wer fasst wirklich mit an?
Ja, die Besserwisser, die uns erzählen, was wir alles falsch machen, die sind überall. Aber wer hilft denn wirklich? Wer fasst wirklich mit an? Oder bringt einfach mal spontan ein gekochtes Essen vorbei? Wer schnappt sich die großen Geschwister? Wer geht mit ihnen raus, damit Mutter und Baby Mittagsschlaf halten können? Oder schaukelt das zahnende Kind im Tragetuch, damit wenigstens mal kurz duschen drin ist. Primär ist das die Mission von Partnern, die dann aber häufig noch einen Brotjob zu bestreiten haben.
Die Großeltern sind manchmal gar nicht präsent oder zu selten, weil zu weit weg oder sie fallen, wie bei uns im ersten Babyjahr, durch längere Krankheit einfach mal komplett als Unterstützung aus. Natürlich erlebe ich auch ganz wunderbare familiäre Netzwerke, in denen mit einer großartigen Selbstverständlichkeit die junge Familie unterstützt wird.
Leider ist das aber so selten der Fall, dass es mir immer direkt positiv auffällt. Von Normalität kann man da also nicht reden. Vielleicht ist das auf dem Land noch mal anders als hier in der Großstadt. Obwohl, auch meine liebe Freundin und Kollegin Mone, die als Landhebamme durch Dorf und Kleinstadt fährt, erzählt ähnliche Geschichten aus ihrem Hebammenleben…
Entlastung statt „Jedes Kind kann schlafen lernen“
Deshalb „verurteile“ ich auch keine Mutter, die die Idee hat, mit „Jedes Kind kann schlafen lernen“ endlich Ruhe in die Nächte bringen zu wollen, weil sie nicht mehr kann. In dieser Situation klammert man sich an jeden Strohhalm. Und das kann im ungünstigen Fall auch ein Schlaftrainingsprogramm sein, bei dem das Kind durch „kontrolliertes Schreien“ selbst in den Schlaf finden soll.
Das funktioniert (leider) auch. Aber nicht, weil das Kind tatsächlich lernt, entspannt alleine einzuschlafen. Sondern weil es etwas anderes lernt: Mir kann es schlecht gehen und ich kann schreien – es kommt aber doch keiner. Ohne Hilfe kann es aus dieser stressigen und beängstigenden Situation nicht herauskommen. Das Kind fällt deshalb in seiner Panik in eine Art „Starre“, was als zur Ruhe kommen interpretiert wird. Oder es schläft einfach völlig erschöpft ein.
Da kürzlich eine „Studie“ erschien, die die angebliche „Unschädlichkeit“ dieser Methode belegen soll, werde ich als Hebamme gerade wieder öfter dazu befragt. Kathrin vom Blog Nestling hat hier gut zusammengefasst, weshalb man diese Untersuchung nicht ernst nehmen kann und vor allem, warum sich ein Baby nicht einsam in den Schlaf weinen sollte.
Müdigkeit, Entspannung, Mitbestimmung
Ein Baby braucht drei Bedingungen, um gut einschlafen zu können: Müdigkeit, Entspannung und Mitbestimmung. Entspannt sind Babys, wenn ihre Grundbedürfnisse erfüllt werden: müde, satt und geborgen sein. Evolutionär betrachtet brauchen Babys den Schutz ihrer Eltern zum Einschlafen. Nur so können sie ein Gefühl der Sicherheit entwickeln.
Je kleiner sie sind, umso mehr brauchen sie dies. Denn ein sehr kleines Baby weiß einfach nicht, dass die Mutter, die laut Einschlafbuch erst nach drei, fünf oder zehn Minuten wieder reinkommen „darf“, jemals wieder kommt. „Jedes Kind kann schlafen lernen“ ist also eine Methode, die überhaupt nicht den mittlerweile ausreichend erforschten Bedürfnissen eines Babys gerecht wird.
Und trotzdem wird dieses Konzept weiter von Eltern angewandt, obwohl sie selbst mit Bauchweh und Tränen in den Augen vor der Tür stehen, hinter der das Baby alleine weint. Manche wissen es einfach nicht besser, denn genug „Fachleute“ empfehlen Prozeduren dieser Art immer noch. Andere sehen diese Methode als letzten Ausweg, um in ihrer Übermüdung oder Überforderung zumindest die restliche Zeit liebevoll für ihr Baby da sein zu können. Denn wie eingangs schon erwähnt, macht dauerhaft nicht kompensierter Schlafmangel unleidlich oder sogar aggressiv.
Lieber kurz rausgehen
Auch ich empfehle Eltern als Notlösung in ganz akuten Überforderungssituationen, lieber das schreiende Kind kurzfristig an einem sicheren Ort abzulegen, kurz rauszugehen, ins Kissen zu boxen, sich kaltes Wasser über den Kopf laufen lassen oder ähnliches, anstatt das Kind zu schütteln oder vergleichbar schlimmes zu tun.
Ich sage das einigen Eltern bereits im Wochenbett, weil absehbar ist, dass diese Mutter eventuell in so eine Situation kommen wird, da das unterstützende „Dorf“ hier komplett fehlt. Die Optionen an professioneller Unterstützung in Form von Mütterpflegerinnen oder Familienpflegediensten sind meist zeitlich begrenzt, was sehr schade ist. Doch auch die Unterstützung durch den Partner sieht sehr unterschiedlich aus. Die Qualität einer Beziehung zeigt sich häufig mit der Geburt des ersten Kindes…
Da ich auch keine Supermom bin, kam und komme ich immer wieder mal an die Grenzen des Mutterdaseins. Wir haben aber die Abmachung, dass ich Christian jederzeit anrufen kann, wenn er nicht da ist und wir meist immer eine schnelle Lösung finden, um die Situation zu entschärfen. Oft reicht das darüber sprechen schon aus, um sich etwas besser zu fühlen. Das gilt natürlich auch im umgedrehten Fall, wenn er die Kinder übernimmt. Ich gebe aber zu, dass mir das beim ersten Kind noch nicht so gut gelungen ist, auch mal zu sagen: „Ich kann jetzt nicht mehr.“ Der Supermom-Druck ist halt doch oft genug da…
„Ich kann nicht mehr“
Aber es bringt den Kleinsten überhaupt nichts, wenn wir als Eltern ständig über unsere Grenzen hinaus gehen. Wenn ich nicht liebevoll mit mir selbst umgehe, fällt es mir auch schwer, das mit dem Kind zu tun. Darum höre ich besonders den Müttern zu, die mit der „Jedes Kind kann schlafen lernen“-Idee meinen Hebammenrat erfragen und möchte erst mal wissen, was SIE gerade brauchen. Wenn es nämlich Optionen gibt, die Mütter zu entlasten oder die Akkus wieder aufzuladen, dann braucht am Baby gar nicht so viel „rumgeschraubt“ werden und es darf sich wie ein Baby verhalten, auch wenn es gerade große Bedürfnisse hat.
Ich kann an dieser Stelle leider wirklich keine allgemein gültigen Tipps geben. Die eine Mutter fühlt sich nach einem Gespräch wieder besser. Die andere schafft es, mehr Hilfe vom Partner einzufordern oder das familiäre Netzwerk einzuspannen. Manche braucht häufiger kleine Babyauszeiten. Manchmal ist auch die „Verordnung“ eines täglichen Mittagsschläfchens ausreichend. Meist regenerieren sich Eltern recht schnell und was früher das Wellnesswochenende war, kann jetzt auch der einstündige Massagetermin sein. Eine Mutter, die sagt, dass „sie nicht mehr kann“, tut das Beste für sich und ihr Kind in dieser Situation. Deshalb vielleicht doch noch den einen Tipp am Ende: Überlegt euch, wen ihr konkret in einer solchen Situation anrufen und um Hilfe bitten könnt.
„Mothering the mother“, also das Bemuttern der Mutter, ist tatsächlich ebenso wichtig, wie auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen. Sicher sind die Ausdauer, Geduld und die Kraft von Müttern sehr groß, was man meist schon in der Schwangerschaft und bei der Geburt feststellen kann – aber eben auch nicht unendlich strapazierfähig. Je umsorgter und unterstützter die Mütter (und auch die Väter) sind, umso weniger müssen Babys und Kinder in einer Art und Weise „funktionieren“, zu der sie alters- und auch evolulutionsbiologisch bedingt noch gar nicht in der Lage sind. Kurz gesagt: Geht es den Eltern gut, geht es dem Kind gut. Darum jetzt lieber neben dem schlafenden oder entspannt spielenden Baby noch einen Kaffee genießen und das Blinken der durchgelaufenen Waschmaschine und des Geschirrspüler einfach mal ignorieren…
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