Plötzlich bricht es heraus aus dieser Frau, die keine von uns im Taxi zuvor kannte. „Meine Geburt war die Hölle.“ Sie, die Fahrerin, erzählt uns davon, die Geburt wie eine Folter erlebt zu haben. Die künstlichen Wehen seien so unerträglich gewesen, dass sie dachte, sie müsse sterben. Die Frau erzählt weiter, was sie alles machen musste. Und eigentlich nicht machen wollte. Nie wieder habe sie danach ein Kind bekommen wollen. Und das habe sie auch durchgezogen. Obwohl sie es später bereut habe.
Ihre Tochter ist mittlerweile 25 Jahre alt. So emotional aufgeladen wie diese Taxifahrerin von deren Geburt erzählte, klang es, als ob ihr all das erst gestern widerfahren ist. Mehrfach wiederholt sie auf der eher kurzen Fahrt, dass sie diese Geburt als eine einzige Hölle empfunden hat. Ungefragt und „einfach“ so.
Recht auf Selbstbestimmung im Kreißsaal verlieren
Vorausgegangen war nur ein bisschen Smalltalk unter mit Mitfahrerinnen. Meine Kollegin hatte auf die Nachfrage der Taxifahrerin erwähnt, dass wir gerade auf dem Weg zur Weleda-Fachtagung für werdende Hebammen seien. Mit mir und meiner Hebammenkolleginnen sitzt Katharina Hartmann vom Verein Mother Hood im Auto. Sie hatte auf der Fachtagung über Gewalt in der Geburtshilfe gesprochen. Und dabei deutlich im Namen der Eltern gesprochen und berichtet, was passiert, wenn Frauen nicht respekt- und würdevoll unter der Geburt behandelt werden. Wenn sie ihr Recht auf Selbstbestimmung im Kreißsaal verlieren. Wenn über sie statt mit ihnen gesprochen wird.
Katharina Hartmann berichtete, wie Wünsche und Vorstellungen von Frauen zum Opfer einer strukturellen Klinikroutine werden. Wie Frauen alleine gelassen werden und ihr „Nein“ nicht gehört wird. Sie kennt die Fälle, in denen Frauen Angst haben, weil ihnen nicht erklärt wird, was da gerade geschieht. Katharina Hartmann skizzierte zahlreiche Beispiele, zum Beispiel aus Geburtsberichten, die Frauen im Rahmen der Aktion Roses Revolution geschrieben haben.
Doch auch ohne diese Beispiele wissen nahezu alle im Raum genau, was sie meint. Fast jede hier kennt aus dem Kreißsaalalltag Situationen, in denen mit Frauen nicht so umgegangen wird, wie es ihnen generell aber gerade in dieser besonderen Ausnahmesituation gebührt. Katharina Hartmann erzählt auch davon, was all das mit den Frauen macht. Wie lange es nachklingt. Ein Leben lang erinnern sich fast alle daran.
Es geht viel weniger um das was als um das wie
An verletzende Worte, die gesagt worden sind. Sie vergessen nicht die körperlichen Eingriffe und Verletzungen, die sie als gewaltvoll erlebten. Fühlen immer noch die große Hilflosigkeit und Angst. Frauen erinnern sich. Auch sehr lange nach der Geburt noch. Nach dem Wochenbett, am ersten Geburtstag des Kindes, nach zehn Jahren. Und auch noch viel länger. Auch nach 25 Jahren kann es herausbrechen, so wie bei dieser Taxifahrerin.
Katharina Hartmann sagte es so treffend: „Es geht viel weniger um das was als um das wie.“ Nicht die geburtshilfliche Intervention selbst hinterlässt das Trauma, sondern wie mit dieser Frau dabei und danach umgegangen wird. Bei einer mittlerweile 32-prozentigen Kaiserschnittrate in Deutschland sind Interventionen an der Tagesordnung und trotzdem haben Frauen natürlich gute Geburtserlebnisse. Für diese Frauen sind die Erinnerungen wertvolle Momente auf ihrem Weg, Mutter zu werden. Denn es ist das wie, das den Unterschied macht. Eine selbstbestimmte Geburt kann viele Gesichter haben. Den Unterschied macht, wie mit der Frau in dieser Situation umgegangen wird.
Auch „nur“ Worte können so machtvoll und verletzend sein. Gleichzeitig können die richtigen Worte zur richtigen Zeit so viel Gutes bewirken. Genau wie ein aufmunterndes Lächeln oder ein passende berührende Geste das schafft. Mütter vergessen nicht, wie es ihnen am Tag der Geburt eines Kindes ging. Vielleicht können sie manches verdrängen, aber vergessen werden sie nicht. Auch nicht nach 25 Jahren.
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