Wenn Eltern ein weiteres Baby erwarten, stellt sich natürlich auch die Frage, wo das Geschwisterkind bzw. die Geschwisterkinder während der Geburt sind. Und manchmal auch, ob das Kind bei der Geburt dabei sein könnte. Nicht selten wird dieser Wunsch sogar vom Kind selbst geäußert. Ob das sinnvoll ist, lässt sich nicht einfach so mit Ja oder Nein beantworten, sondern ist von vielen Faktoren abhängig.
Auch der Geburtsort spielt dabei eine große Rolle, da es in vielen Kreißsäalen einfach gar nicht möglich wäre, Geschwisterkinder mitzunehmen. Meist gibt es dort eine Regelung in Bezug auf die Menge an zusätzlichen Begleitpersonen. Und es bräuchte ja mindestens noch eine weitere Person, die für das Kind durchgehend da ist. Manchmal geht es aber auch nur um das Alter. Zudem ist in der Klinik selten nur eine Frau allein im Kreißsaalbereich. Darum haben diese Regelungen auch den Hintergrund, die „Privatsphäre“ der Frauen unter der Geburt zu schützen. Dazu hatte ich auch schon einmal an dieser Stelle etwas geschrieben.
Zudem ist es im Krankenhaus so, dass man meist nur den Kreißsaal zur Verfügung hat und es bei Bedarf keinen weiteren Rückzugsraum für das Geschwisterkind gäbe. Auch kann das Krankenhaus selbst auf ein Kind womöglich beängstigend wirken, einfach weil es eine ganz neue und ungewohnte Umgebung ist. Das heißt nicht, dass es generell nicht möglich wäre, Geschwisterkinder mitzunehmen. Aber man muss auf jeden Fall vorab mit dem Kreißsaalpersonal sprechen, wie die Gegebenheiten vor Ort jeweils aussehen.
Vertraute Bezugsperson für die Kinder
In einem Geburtshaus gibt es meist mehr Optionen, Geschwisterkinder mitzunehmen. Aber auch das ist meist abhängig von der räumlichen Ausstattung. Es gilt hier ebenso, sich mit den betreuenden Hebammen abzusprechen. Zu Hause ist die Anwesenheit der Geschwisterkinder in der Regel am unkompliziertesten. Darum finden in diesem Setting wohl auch die meisten Geburten im Kreise der ganzen Familie statt. Vielen Frauen behagt zudem einfach der Gedanke nicht, mit dem Geburtsbeginn das oder die Geschwister einfach „auszuquartieren“.
Was aber am zentralsten ist, bleibt die Frage, ob es für die Mutter unter der Geburt passend ist, wenn das Geschwisterkind dabei oder in der unmittelbaren Nähe ist. Manchen Frauen fällt es dann einfach schwer, sich voll und ganz auf die Geburt des neuen Babys einzulassen. Das kann sich eventuell hemmend auf die Wehentätigkeit auswirken. Wer im Vorfeld schon merkt, dass dieser Gedanke nicht behagt, sollte sich von Anfang an für eine andere Option entscheiden.
Aber auch unter der Geburt sollte jederzeit die Möglichkeit bestehen, dass das Kind mit einer vertrauten Bezugsperson den Geburtsort verlässt, wenn es der Gebärenden nicht mehr angenehm ist oder sie sich in der Geburtsarbeit gestört fühlt. Wichtig ist es, sich dieses Gefühl auch zu erlauben und das zu äußern, egal wie schön und romantisch vorab die Vorstellungen gewesen sein mögen. Eine Frau darf jederzeit sagen, welche Anwesenheit bei der Geburt für sie gerade passt oder auch nicht.
Ansprechpartner für die Geschwisterkinder unter der Geburt
Genauso darf und soll sich ein Geschwisterkind zurückziehen können, wenn ihm die Situation nicht behagt. Je nach Alter des Kindes wird es das einfach sagen können. Oder eine einfühlsame Bezugsperson wird es rechtzeitig erkennen. Auch aus diesem Grund ist es ganz wichtig, dass unter der Geburt jemand ausschließlich für das Kind oder die Kinder präsent ist. Eine Person, die vertraut ist und entspannt mit der Situation Geburt umgehen kann. Das gilt gerade dann, wenn im seltenen Fall eventuelle Komplikationen auftreten. Oder wenn vielleicht eine Verlegung von einem außerklinischen Geburtsort ins Krankenhaus erforderlich ist. Schnell denkt man hier an den Vater. Aber in der Regel wünschen sich die Frauen unter der Geburt, dass dieser auch für sie da ist. Und die Doppelrolle funktioniert nicht, so dass der Vater weder Kind noch Frau gerecht werden würde.
Für manche Frauen ist aber auch die zusätzliche Anwesenheit einer Freundin das Richtige. Oder sie fühlen sich einfach „allein“ mit ihrer Hebamme am wohlsten. Dann kann natürlich auch der Vater der Hauptansprechpartner für die Geschwisterkinder unter der Geburt sein. All dies sollte man aber vorab möglichst klar festlegen, da mit Wehenbeginn oft keine guten Entscheidungen mehr umgesetzt werden können. Denn natürlich begibt sich auch die Bezugsperson für die Kinder in eine Art Rufbereitschaft. Da niemand weiß, wann es denn nun wirklich losgeht, ist es in der Regel nicht spontan möglich, mal eben jemanden nach Hilfe zu fragen.
Auch für die Kinder ist es wichtig zu wissen, wer sie an diesem besonderen Tag begleiten wird. Auch wenn nicht geplant ist, dass das Geschwisterkind bei der Geburt anwesend ist, so ist es doch wichtig, dass es vorab weiß, dass dann die Oma, Freundin oder Nachbarin kommt und dieses oder jenes passiert. Und auch, dass es wieder zu Mama und Papa zurück kommt, wenn das Baby geboren ist.
Geburt im Kreise der Familie
Wenn geplant ist, dass Geschwister bei der Geburt anwesend sind, ist es wichtig, sie altersgerecht darauf vorzubereiten. Das sieht natürlich bei einem dreijährigen Kind anders aus als bei einem Schulkind. Größere Kinder fragen oft schon sehr konkret nach, was sie in diesem Kontext beschäftigt. Bei kleineren Kindern ist es vor allem auch wichtig zu besprechen, warum die Mutter sich anders verhalten wird oder auch lauter sein kann. Das kann man gut durch das Lesen geeigneter Kinderbücher unterstützen, aber auch immer wieder im Alltag einbauen. Als unser zweites Kind unterwegs war, haben wir immer mit der „großen Schwester“ beim Zähneputzen getönt. So wusste sie, wie sich Mama anhört, wenn sie sich doll anstrengt und deshalb bei der Geburt lauter wird.
Für Kinder ist es am leichtesten nachvollziehbar, wenn man die Geburt mit einer anstrengenden Arbeit vergleicht. Wenn wir in der Wohnung die Möbel verrücken, seufzen oder stöhnen wir auch, weil wir unsere Muskeln so sehr anstrengen. So erklärt nehmen Kinder die Wehentätigkeit auch nicht als „Leid der armen Mama“ wahr. Wichtig ist auch, dass eine Frau unter der Geburt nicht das Gefühl hat, sich aus Rücksicht aufs Kind anders verhalten zu müssen, weil sich dies tatsächlich negativ auf den Geburtsverlauf auswirken kann.
In der Regel ist es auch nie so, dass Geschwisterkinder von der ersten bis zur letzten Wehe mit dabei sind, sondern einfach auch – gerade zu Hause – weiter ihrem gewohnten Alltag nachgehen. Sie spielen, essen oder schlafen – und das natürlich nicht die ganze Zeit im Geburtsraum. Oft ist Kindern auch einfach zu „langweilig“ mit der Geburt, weil ja nichts Sichtbares passiert. Die Anwesenheit von Geschwistern bringt oft eine ganz angenehme Normalität in das Geschehen Geburt.
In den Wehenpausen immer wieder viel gelacht
Persönlich haben mich die Kinder auch immer wieder zum Lachen gebracht in der Wehenpause, was ziemlich viel Entspannung in den ganzen Prozess brachte. Bei der Geburt des kleinen Bruders waren die Mädchen nur die letzte Viertelstunde wirklich dabei, einfach weil sie bis dahin geschlafen hatten. Trotzdem gab es eine (Hebammen-)Freundin, die die ganze Nacht nur für die beiden da war. Sie hätte sich natürlich auch gekümmert, wenn sie früher aufgewacht wären.
Auch bei der zweiten Geburt im Geburtshaus war eine Freundin die ganze Zeit für die kleine große Schwester da. Die beiden waren zwischendurch essen, auf dem Spielplatz oder auch mal für das Mittagsschläfchen zu Hause. Als die kleine Schwester in der Badewanne geboren wurde, hat sie noch daneben gepuzzelt und wir haben in den Wehenpausen auch immer wieder viel gelacht. Und zusammen gestaunt und uns so sehr gefreut, als das Baby dann da war. Auch heute reden wir noch oft und gerne von den Geburten. Die Kinder haben das alles als sehr normal und selbstverständlich erlebt. Genauso wäre es aber okay gewesen, wenn ich unter der Geburt an einem Punkt mehr Ruhe benötigt hätte.
Mittlerweile habe ich als Hebamme oder Freundin schon einige Geschwistergeburten begleiten dürfen – und es war alles dabei. Geschwister, die alles komplett verschlafen haben. Eine Geburt mit drei Geschwistern nebst Vater, Hebamme und mir in einem sehr schmalen Badezimmer. Geschwisterkinder, mit denen ich im Bett kuschelnd im Zimmer nebenan gewartet habe, bis das Baby schrie und die Kinder dann wie „an Weihnachten“ nachschauen gegangen sind, was es denn nun geworden ist. Oder Geburten, bei denen sich rausstellte, dass es besser ist, wenn die Frau unter den Wehen in ihrer Wohnung noch mehr für sich ist. Da sind die Kinder dann doch noch zu Freunden gefahren und haben dort einen schönen Tag verlebt. In allen Fällen war es doch irgendwie immer eins: unkompliziert. Und das lag vor allem wohl daran, dass es immer genug Entscheidungsfreiheit für alle und in alle Richtungen gab.
Wer also zusammen mit seinem Kind möchte, dass es bei der Geburt in der Nähe ist und den dafür richtigen Geburtsort und eine vertraute Begleitperson für das Kind hat, sollte es einfach probieren. Genau wie die Mutter sagen und zeigen auch Kinder an, was für sie passt und was nicht. Wenn darauf gehört wird, spricht nichts gegen die Geburt im Kreise der Familie.
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