In einer Zeit, die schnellen und einfachen Zugriff auf viele Informationen ermöglicht, denke ich oft, wenn es um berufsrelevante Fragen geht: „Das muss man doch wissen!“ Doch noch immer erlebe ich es, dass stillende Mütter stark verunsichert von einem Arztbesuch wiederkommen. Manchmal wird ihnen eine eigentlich akut sinnvolle medikamentöse Behandlung vorenthalten. Oder sie kommen direkt mit einer Empfehlung zum Abstillen wieder, wenn ein bestimmtes Medikament verordnet wurde. Meist hat sich die behandelnde Person dann nach dem Beipackzettel gerichtet.
Der Zettel rät häufig davon ab, eine Arznei in Schwangerschaft und Stillzeit anzuwenden. Es ist in der Tat sinnvoll, genau abzuwägen, ob und was man nimmt, wenn man unmittelbar auch sein Kind damit konfrontieren würde. Der Arzneimittelhersteller rät meist generell von der Einnahme ab. Das hat den Hintergrund, dass man natürlich aus ethischen Gründen keine Arzneimittel an Schwangeren und Stillenden testen würde. Wenn man also komplett abrät, ist man als Hersteller auf der sicheren Seite.
Als Ärztin oder Arzt besteht aber eine andere Verpflichtung, sich zu informieren. Denn eine vorzeitige Empfehlung zum Abstillen kann durchaus gesundheitliche Nachteile für Mutter und auch für Kind mit sich bringen. Natürlich wird niemand unmittelbar davon krank werden. Aber dass das Stillen viele gesundheitliche Risiken verringert, ist ausreichend bekannt. Dass eine Mutter vielleicht wegen einer zehntägigen Antibiotika-Einnahme viele Monate früher abstillt als geplant, steht also in keinem Verhältnis – gerade weil man weiß, dass dies keine Indikation zum Abstillen ist.
Abstillen ist ein großer Schritt
Es gibt natürlich viele gut informierte Ärzte, die nachschauen, welches Medikament besonders gut in der Stillzeit geeignet ist. Manche Ärzte haben eine zusätzliche Ausbildung zum Stillberater IBCLC. Und es gibt das tolle Team rund um den Facharzt für Kinderheilkunde Christof Schaefer, die zusammen die „Bibel“ für den Arzneimittelgebrauch in Schwangerschaft und Stillzeit verfasst haben. Ein Buch, das in jede Praxis gehört.
Und nicht nur dahin, denn auch in der Apotheke werden stillende Mütter nicht immer adäquat beraten. Das Buch „Arzneimittel in der Schwangerschaft und Stillzeit: Ein Leitfaden für Ärzte und und Apotheker“ richtet sich hier auch noch mal explizit an diese Berufsgruppe. Als Hebammen verordnen und verabreichen wir natürlich keine Arzneimittel, abgesehen von wenigen Medikamenten im Rahmen unserer Berufsordnung. Aber wir werden häufig mit den Sorgen der Mütter diesbezüglich konfrontiert.
Noch immer melden sich viel zu viele Mütter bei mir, denen der Zahnarzt ein Schmerzmittel bei der Behandlung „verwehrt“. Oder ihnen wurde bei Beschwerden gesagt, dass sie wiederkommen sollen, wenn sie abgestillt hätten. In den seltensten Fällen erfordert eine medikamentöse Behandlung aber tatsächlich eine Stillpause oder wirklich ein Abstillen. Und ebenso müssen Mütter nicht jedes Kranksein oder jeden Schmerzzustand komplett ohne medikamentöse Unterstützung aushalten. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich in meiner ersten Stillzeit richtig stark erkältet in einer Apotheke um ein stillverträgliches Arzneimittel bat. Letztlich kam ich mit ein paar Lutschbonbons und einer Probepackung Taschentücher wieder heraus.
Bei Arzneien in der Stillzeit immer informieren
Klar, natürlich sollte man erst einmal versuchen, Beschwerden ohne Medikamente in den Griff zu bekommen. Aber die meisten stillenden Mütter, die mir bisher begegnet sind, sind ohnehin schon überdurchschnittlich zurückhaltend bei der Einnahme von Arzneimitteln. Wenn ich da an so manche Frau mit Schmerzen nach einem Kaiserschnitt denke… Trotz der Empfehlung ein Schmerzmittel in entsprechender Dosierung einzunehmen halten sich Mütter in dieser Situation sehr zurück.
Wenn also die Einnahme eines Arzneimittels in der Stillzeit angezeigt ist, gilt es sich zu informieren. Auf der Informationsseite des Pharmakovigilanz- und Beratungszentrums für Embryonaltoxikologie, kurz Embryotox können sich Fachleute und Laien zur Arzneimittelsicherheit in Schwangerschaft und Stillzeit schlau machen. Die Datenbank des Instituts wird beständig erweitert. Außerdem besteht dort die Möglichkeit, sich als Fachpersonal telefonisch im Einzelfall beraten zu lassen. Ich habe diese Möglichkeit auch schon genutzt – zum Beispiel, als es um eine mögliche Knochenmarkspende und einer damit verbundenen Medikamenteneinnahme in der Stillzeit ging. Die Beratung ist dort gerade zu ganz speziellen Fragen wirklich ausgezeichnet.
Stillenden Müttern empfehle ich deshalb immer, diesen Kontakt ihrem behandelnden Arzt weiterzugeben, wenn er bezüglich einer Arzneimittelverschreibung Bedenken äußert. Stillpausen oder gar ein Abstillen sind selten erforderlich, so dass man sich ruhig noch mal eine zweite Meinung einholen sollte, wenn dieser Schritt empfohlen wurde. Denn für Mutter und Kind ist das Abstillen ein großer Schritt, den beide möglichst immer in ihrem Tempo gehen sollten.
Dieser Artikel wurde im Juni 2017 aktualisiert.
Schreibe einen Kommentar