Er hält und trägt. Er verschließt und lässt locker. Und das ein Leben lang. Trotzdem wird vielen Frauen der Beckenboden erst im Kontext einer Schwangerschaft richtig bewusst – in einer Lebensphase, die ihn stark beansprucht. Der Beckenboden ist nicht nur die aus mehreren Schichten bestehende Muskulatur, die das Becken nach unten hin abschließt, sondern besteht auch aus stützenden Bindegewebsstrukturen und Bändern. Diese sollen die Bauchorgane wie Blase, Darm und Gebärmutter im kleinen Becken an Ort und Stelle halten. Und diese ganzen Strukturen haben so einiges zu leisten, wenn in der Schwangerschaft das wachsende Kind in der Gebärmutter nicht nur die Beckenorgane verdrängt, sondern auch Bänder ihre maximale Dehnfähigkeit nach der Geburt beweisen müssen.
Den Status des Beckenbodens beschreibt die Hebammenkollegin und Beckenboden-Expertin Christine Niersmann in ihren Kursen und Weiterbildungen sehr passend so:
„Ein Beckenboden mit wenig Spannung trägt haltlose Organe, die an ellenlangen überdehnten Bändern hängen und von instabilem, unformiertem Stützgewebe umgeben sind.“
Bis sich alles wieder auf das normale Level zurückgebildet hat, dauert es einfach seine Zeit. Gerade das von der Gebärmutter verdrängte Bindegewebe braucht ein paar Monate, um wieder in seinen Ursprungszustand zurück zu kommen. Und je weniger der Beckenboden in dieser Regenerationszeit negativ belastet wird, umso besser und schneller verläuft der Rückbildungsprozess.
Entlastung des Beckenbodens
Darum geht es in den ersten Tagen nach der Geburt auch nicht um exzessives Beckenbodentraining, sondern zuerst um Entlastung und Schonung. Ja, ich weiß, in machen Kliniken stehen die Physiotherapeuten schon am zweiten Tag nach der Geburt am Bett und zeigen den Müttern ihre Übungen. Aber: Keine Mutter braucht ein schlechtes Gewissen zu haben, weil sie sich diese nicht merken kann. Und auch keine Zeit hat, diese im Frühwochenbett regelmäßig durchzuführen. Da die Verweildauer in den Kliniken mittlerweile nur noch bei zwei, drei Tagen liegt, gibt es halt diesen frühen Rückbildungsgymnastiktermin.
Meist fehlt den Frauen, die vaginal geboren haben, zu diesem Zeitpunkt sogar noch das „richtige“ Gefühl im Beckenbodenbereich. Das liegt daran, dass das vaginale Gewebe und Schamlippen durch die Geburt stark gedehnt und ödematös aufgelockert sind. Eventuell sind auch kleine Einblutungen, Schürfungen oder größere Geburtsverletzungen vorhanden. Die damit verbundene Schwellung kann ein Taubheitsgefühl in den ersten Stunden oder Tagen nach der Geburt verursachen. Es ist also zu diesem Zeitpunkt noch nicht schlimm, wenn Frauen auch bei leichten Übungen zur Beckenbodenwahrnehmung erst einmal noch kein Gefühl dafür haben.
Auch nach einem Kaiserschnitt gibt es die eingangs beschriebenen Beckenbodenveränderungen. Zusätzlich muss auf die Wundheilung der Bauchnaht Rücksicht genommen werden. Und Rücksicht hat der Beckenboden immer nach einer Geburt verdient, egal wie schnell oder langsam, schwer oder leicht diese für die Mutter verlaufen ist. In den ersten Tagen bewährt sich also kein umfangreiches Trainingsprogramm, sondern jede Möglichkeit zur Entlastung des Beckenbodens.
Beckenbodenfreundlicher Alltag
Es gibt einige einfache Tipps, die für einen beckenbodenfreundlichen Alltag sorgen:
- Gut geeignet zur Entlastung ist die Bauchlage – mit Rücksicht auf die Stillbrust – oder Umkehrpositionen. Dabei wird das Becken nach oben verlagert, zum Beispiel durch ein Keilkissen. Die Organe werden so in den Bauchraum zurückverlagert und entlasten die Beckenbodenmuskulatur. Den gleichen Effekt erreicht man auch durch die Knie-Ellenbogen-Lage oder das Einnehmen einer halben Kerze. Den Beckenboden so zu entlasten, bewährt sich auch in der späteren Wochenbettzeit, wenn die Mutter schon wieder mehr auf den Beinen ist und vielleicht ein unangenehmes Druckgefühl nach unten verspürt.
- Die Wöchnerin sollte regelmäßig auf die Toilette gehen. Oft wird in den ersten Tagen die gefüllte Blase nicht richtig wahrgenommen. Auf dem WC sollte man (auch außerhalb der Wochenbettzeit) möglichst aufrecht mit geöffneten Beinen sitzen. Beim Stuhlgang bewährt hat sich eine ganz leicht gerundete Haltung. Es sollte möglichst immer einfach nur die Beckenbodengrundanspannung gelöst werden. Weder beim Wasserlassen noch beim Stuhlgang drücken oder gar pressen. Es ist es wichtig, ausreichend zu trinken und sich so zu ernähren, dass der Stuhlgang entsprechend weich ist. Die größte Herausforderung ist es wohl im Babyalltag, sich genug Zeit für den Toilettengang zu nehmen. Der Beckenboden wird es einem aber danken, wenn man das tut.
- Die Wöchnerin sollte lockere Kleidung tragen. Der Beckenboden ist unmittelbar mit der unteren Bauchmuskulatur verknüpft. Er mag es nicht, wenn diese zum Beispiel durch zu enge Hosen eingeschnürt wird. Nach einem Kaiserschnitt ist zudem der Druck auf die Narbe zusätzlich unangenehm. Das Wochenbett ist also kein Zeitpunkt, die alte Jeans wieder anzuziehen.
- Jegliches Hochkommen aus dem Liegen sollte immer über die Seite geschehen, also genau so, wie es sich wahrscheinlich schon in den letzten Schwangerschaftsmonaten bewährt hat. Auch wenn die Wöchnerin primär liegen sollte, zeige ich den von mir betreuten Frauen immer, wie sie beckenbodenfreundlich stehen, sich hinsetzen und wieder aufstehen. Eine gesunde aufrechte Haltung ist nicht nur schonender für den Beckenboden, sondern stärkt auch die meist ebenfalls beeinträchtigte Rückenmuskulatur. Gerade Beschwerden im Kreuzbeinbereich gehen meist mit einer Beckenbodenschwäche einher.
- Richtiges Stehen ist wichtig. Hüftbreit stehen und die Füße gleichmäßig belasten (Gewicht auf Ferse, Großzehen- und Kleinzehengrundgelenk verteilt). Wirbelsäule in Längsspannung und den Blick stets Richtung Horizont halten. Kein Hohlkreuz und kein durchgedrückter Rücken und das Becken in Neutralstellung belassen. Am besten lässt man sich das einmal von der Hebamme zeigen. Das Zähneputzen ist ein möglicher Moment den „guten Stand“ bewusst zu üben.
- Beim Aufstehen aus dem Sitzen sollte man nach vorn an die Stuhlkante rutschen. Nun den Oberkörper etwas nach vorne verlagern. Dann mit gespanntem Beckenboden und dem Schwung der Arme hochkommen, in dem man sich mit den Füßen vom Boden abstößt. Zum Aktivieren des Beckenbodens z.B. laut „Hopp“ sagen. Beim Hinsetzen nah mit den Beinen an die Stuhlkante rücken. Den Beckenboden aktivieren, die Wirbelsäule bleibt in Längsspannung (kein Rundrücken) und das Gesäß nun beim Setzen weit nach hinten schieben.
- Jegliches zusätzliches Gewicht auf dem Beckenboden sollte möglichst vermieden werden. Da natürlich das Baby auf den Arm möchte und auch soll, gilt sein Gewicht als Belastungsgrenze. Beckenbodenfreundlicher trägt es sich aber körpernah in Tuch oder Tragehilfe. Geschwisterkinder lernen am besten schon in der Schwangerschaft, wie sie selbst auf Mamas Schoß klettern, ohne dass die Mutter das größere Kind hochheben muss. Eine kleine „Zuschauertreppe“ am Wickeltisch finden Geschwister meist super.
- Beim Husten und Niesen sollte man möglichst keine runden oder nach vorne gebeugten Haltungen einnehmen. Lieber aufrecht bleiben, den Oberkörper zu Seite drehen und in die Armbeuge husten oder niesen – das bekommt dem Beckenboden deutlich besser
Wahrnehmungsübungen für den Beckenboden
Erste Wahrnehmungsübungen für den Beckenboden, bei denen erst mal der Fokus auf Anspannen und Loslassen ohne größere weitere Belastung liegt, sorgen dafür, dass sich nach ein paar Tagen wieder mehr Gefühl im Beckenbodenbereich einstellt. Sobald dieser wieder bewusst angespannt werden kann, sollte das bei jeder Belastung, wie etwa beim Hochheben des Babys geschehen. Mit dem Zeigen von konkreten Übungen fange erst ich, wenn sich soweit alles zwischen Eltern und Baby eingespielt hat und die Wöchnerin auch keine Schmerzen mehr hat. Gute Informationen und Übungen finden sich in dem Buch Vom Wochenbett zum Workout: Fit nach der Geburt von Juliana Afram, das hier auf dem Blog auch ausführlicher besprochen wird.
Bis dahin weise ich immer auf diese und noch ein paar andere beckenbodenfreundliche Alltagstipps hin. Meist hat das einen höheren Effekt als das Erklären von vielen verschiedenen Beckenbodenübungen, für die dann allzu oft leider doch wieder die Zeit im Babyalltag fehlt. Mütter, die bereits Beckenbodenproblemen hatten oder akut haben, schaffen es übrigens selbst bei mehreren Kindern besser, die mit der Wochenbettruhe verbundene Schonung einzuhalten.
Bei über die Wochenbettzeit hinaus anhaltenden Beschwerden wie Inkontinenz, Senkungen oder Schmerzen ist eine weiterführende Diagnostik und Therapie zu empfehlen. Hebammen haben in der Regel Kontakte zu spezialisierten Ärztinnen oder Beckenbodenzentren. Aber auch Frauen ohne größere Beschwerden sollten stets gut für sich und ihren Beckenboden sorgen. Schließlich brauchen wir diesen nicht nur für Schwangerschaft und Geburt, sondern noch ein Leben lang.
Literaturempfehlungen & DVDs für Mütter:
Vom Wochenbett zum Workout: Fit nach der Geburt | Mein Beckenbodenbuch | Entdeckungsreise zur weiblichen Mitte | Beckenbodentraining – Die zwölf wirksamsten Übungen | Rückbildungsgymnastik (DVD) | Mein starker Beckenboden (DVD)
Fachliteratur:
Der Beckenboden – Funktion, Anpassung und Therapie | Wochenbett- und Rückbildungsgymnastik | Beckenbodentraining im Rückbildungsgymnastikkurs
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