Im Interview mit Dr. med. Erik Schneider, Psychiater und Psychotherapeut sowie Mitglied der Gesellschaft Intersex and Transgender mit Sitz in Luxemburg, sprechen wir über Menschen, deren bei der Geburt zugeordnetes Geschlecht von ihrem Geschlechtsempfinden abweicht. Es existieren hierfür unterschiedliche Begriffe wie z.B. transident, transsexuell, Transgender, wobei keiner dieser Begriffe von allen Menschen gleichermaßen akzeptiert wird. In Respekt auf das Selbstbestimmungsrecht sollte daher jeder Mensch befragt werden, wie er sich selbst beschreibt und wie er bezeichnet werden möchte. Präpubertäre Kinder bezeichnen sich meist als Mädchen bzw. Jungen – oder sie sagen überhaupt nichts dazu.
Im Beitrag „Wie aus Christoph Belli wurde“ erzählt Hebamme Antonia ihre persönliche Geschichte, wie sich ihr Familienleben mit vier Kindern und Mann plötzlich veränderte, als ihr vierjähriger Sohn sagte: „Mami, ich bin nicht mehr der Christoph. Ich bin ein Mädchen und ich heiße Belli!“
Was bedeutet „trans*“? Was drückt die besondere Schreibweise aus?
Auf der Website unseres Vereins Trans-Kinder-Netz e.V. ist die Sichtweise des Vereins nachzulesen: trans vor dem Kind, Mädchen, Junge usw. schreiben wir klein, weil es Kinder, Mädchen, Jungen, Töchter usw. sind, wie alle anderen Kinder auch, mit Ausnahme einer kleinen Besonderheit, welche wir mit dem Adjektiv beschreiben, aber nur, wenn diese zum besseren Verständnis worum es geht, genannt werden muss. Der * soll offenhalten, wie sich das Kind einmal entwickelt und welche Begriffswahl es für sich in Anspruch nimmt.
Was ist der Unterschied zur Intersexualität?
Während die Geschlechtsmerkmale von trans*Menschen nach medizinischen Normen als eindeutig als weiblich oder männlich betrachtet und bezeichnet werden, werden diese Merkmale nach denselben Normen bei Menschen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (oftmals z.B. als Intersex oder Intersexualität bezeichnet) unter anderem als „uneindeutig“, „atypisch“ oder „auffällig“ bezeichnet. Diese „Uneindeutigkeit“ kann auf der Ebene etwa von Chromosomen, Hormonen, Keimdrüsen, Genitalien, äußerer Erscheinung sichtbar werden und gleichsam eine oder mehrere dieser Ebene umfassen.
Ab welchem Alter wird trans* sichtbar und wie zeigt es sich bei Kindern?
Es handelt sich bei vielen Kindern um das gleiche Alter, in dem andere Kinder zum Ausdruck bringen, dass die geschlechtliche Zuordnung als Mädchen oder Junge für sie passt, das geschieht im Alter von etwa zwei bis drei Lebensjahren.
Kann sich die Bestimmung der Geschlechtszugehörigkeit über die Selbstbeschreibung des Kindes auch noch einmal ändern?
Derzeitigen Erkenntnissen zufolge ändert sich das Geschlechtsempfinden bzw. Geschlechtsidentität nur bei relativ wenigen Menschen, unabhängig davon, ob das ihnen zugeordnete Geschlecht richtig oder falsch ist. Es ist noch immer sehr wenig bekannt über Menschen mit wechselnden (fluider) Geschlechtsidentität. Also für Menschen, die beide oder keine Geschlechtsidentität haben oder andere Konzepte für sich als passend erachten, die nicht den binären Geschlechtervorstellungen entsprechen.
Was sind die größten Herausforderungen für die trans*Kinder oder Jugendliche?
Unwissenheit über das Phänomen des bei der Geburt falsch zugeordneten Geschlechts wie auch individuelle, strukturelle und institutionsgebundene Transphobie stellen eine der größten Herausforderungen dar. Das gilt insbesondere bei Erwachsenen, sei es bei den eigenen Eltern, nahen Verwandten oder bei pädagogischen und medizinischen Fachkräften, die mit diesen Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Diese geht auch mit häufigem Nicht-Eingreifen bei Bullying in der Schule einher.
Was sind die Herausforderungen für die Eltern und wie können sie ihr Kind am besten auf seinem Weg begleiten?
Oftmals lassen sich zu Beginn des Prozesses eigene Unwissenheit bei gleichzeitiger Informationsvielfalt und Unübersichtlichkeit der „Angebote“ aus Medizin und von Communities beobachten. Viele Eltern stehen vor der Fragen nach der richtigen Herangehensweise innerhalb der Familie, in Kita und Schulen. Sie sind konfrontiert mit der Auseinandersetzung mit Emotionen wie Trauer, Angst und Unsicherheit. Viele Eltern wenden sich an uns, um andere Eltern in vergleichbaren Situationen zu finden und sich auszutauschen.
Wie kann man Familien mit trans*Kindern am besten unterstützen?
Eine Unterstützung funktioniert am besten über sachliche Informationen zu der Lebenssituation von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien aus deren Perspektive sowie über ein Bekanntmachen des Vereins Trans-Kinder-Netz e.V. sowie seinen Tätigkeiten und Angeboten. Der Austausch unter Eltern in vergleichbaren Situationen stellt häufig eine zentrale Ressource im Verarbeitungsprozess einer Familie dar.
Was steckt hinter Trakine (Trans-Kinder-Netz e.V.) und wie sieht eure Arbeit aus?
Wir sind seit Februar 2014 ein eingetragener Verein, seit Anfang 2017 ist auch die Gemeinnützigkeit anerkannt. 2012 begann Trakine als Elterninitiative, um anderen Eltern von trans*Kindern und trans*Jugendlichen samt deren Angehörigen – natürlich auch den Kindern und Jugendlichen selbst – Mut zu machen und vor allem mit Informationen und Rat zur Seite zu stehen. Wir sind ein internationaler deutschsprachiger Verein von Eltern und Familienangehörigen von minderjährigen trans*Kindern. Unser Bestreben ist es, trans*Kindern ein glückliches Leben frei von Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung zu ermöglichen und ihnen das Gefühl zu geben, ernst- und angenommen, geliebt und wertvoll zu sein.
Zudem unterstützen wir interessiertes Fachpersonal, das vielleicht das erste Mal mit einem trans*Kind in Kontakt kommt, indem wir eine Informationsbasis zur Verfügung zu stellen. Durch Aufklärung wollen wir Problemen, die im Umgang mit trans*Kindern entstehen, die oft in Unwissen, Unsicherheit und Angst begründet sind, aktiv entgegenwirken. Wir erheben dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
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