Immer wieder kommt mal die Frage auf, ob Attachment Parenting auch mit mehreren Kindern funktioniert. Denn mit einem Kind hat man ja vielleicht genug Zeit, auf dessen Bedürfnisse adäquat einzugehen – aber wenn zwei oder drei Kinder gleichzeitig etwas von mir möchten, wird es doch schon komplizierter, oder?
Doch bei all diesen Bedenken, habe ich mich gefragt, wie es gehen soll, dass man das Ganze beim zweiten, dritten, vierten Kind NICHT bedürfnisorientiert macht. Zumindest, wenn man es beim ersten Kind so gehandhabt hat und für sich den Schluss gezogen hat, dass es dem Baby und auch den Eltern, also der ganzen Familie gut tut.
Trotzdem wird vieles anders sein
Ich habe unser erstes Kind gerne gestillt und getragen. Wir haben nah beieinander geschlafen und sind nach unseren Möglichkeiten auf seine Bedürfnisse eingegangen. Wie könnte ich es da jetzt mit meinem zweiten oder dritten Kind anders machen?
Das erste Kind ist ja immer so ein bisschen der Testballon für Eltern. Man wurschtelt sich so durch, um den Weg zu finden, sein Kind beim Aufwachsen zu begleiten, mit dem man sich wohl fühlt. Wäre ich schwer genervt von diesem Weg mit unserem Erstkind gewesen, hätte ich mir sicher vorgenommen, es anders zu machen. Aber wenn es sich gut anfühlt, gibt es keine wirkliche Option, es plötzlich mit Kind Nummer zwei oder drei anders zu machen.
Trotzdem wird vieles anders sein, schon allein, weil man nicht mehr die Mutter ist, die man noch beim ersten Kind war. Meist ist das aber ein Vorteil, denn die gewonnene Sicherheit spüren natürlich auch die Kinder. Aber das Gefühl, dass mein neues kleines Baby ebenso viel Nähe und Geborgenheit braucht, hat sich definitiv weder bei Kind zwei oder drei verändert. Und gerade die Bedürfnisse eines noch sehr kleinen Babys und die seiner größeren Geschwister lassen sich mit viel Tragen und Stillen doch eigentlich auch ganz gut vereinbaren, denn so ist das Baby einfach zeitlich ungebunden mit dabei, während der Alltag für die restliche Familie mehr oder weniger normal weiter geht.
Bei Attachment Parenting dürfen Eltern Fehler machen
Was definitiv schwieriger wird, ist die eigenen Bedürfnisse noch wahrzunehmen und irgendwie mit dem Familienleben unter einen Hut zu bekommen. Oder es zu akzeptieren, dass es eine Zeit lang schwierig ist und sich das aber auch absehbar wieder ändern wird. Denn Zeit, ob zum Ausruhen oder für Aktivitäten außerhalb des Familienlebens wird definitiv mit jedem weiteren Kind ein knapperes Gut.
Aber ob jetzt Tragen oder Kinderwagen, Familienbett oder Kinderbettchen, Windelfrei oder Wegwerfwindel – für mich ist das Konzept von Attachment Parenting ein bisschen mehr als all dies. Der Kernpunkt ist und bleibt, die Kinder wahrzunehmen und anzunehmen, wo und wie sie gerade sind. Und auch sich selbst.
Denn ich komme immer wieder an Punkte, an denen mir das nicht gelingt. An denen ich die Kinder anmeckere oder Dinge verlange, die eigentlich gerade nicht angebracht sind. Natürlich passiert das immer dann, wenn mein persönlicher Stress und Druck hier besonders groß sind. Ich glaube aber daran, dass wir als Eltern natürlich Fehler machen dürfen. Fehler, für die ich geradestehe und mich gegebenenfalls auch bei meinen Kindern entschuldige. Und dann muss ich schauen, wo und wie ich meine Akkus wieder auffülle, damit es allen in der Familie gut geht.
AP ist mehr als Stillen und Tragen
Dieses immer wieder Hinterfragen von all dem, was ich tue und von dem, was mein Kind mir durch sein Tun sagen will – das ist für mich noch mal viel mehr Attachment Parenting als nur Stillen und Tragen. Deshalb ist es auch manchmal viel schwieriger, dieses Konzept mit älteren Kindern zu leben. Denn es kommen ganz neue und viel komplexere Bedürfnisse und Fragen auf einen zu. Und die lassen sich nun mal nicht mehr mit dem Tragetuch oder dem Familienbett beantworten. Aber auch wenn es schwierig ist, hat diese intensive und nahe Babyzeit sicherlich eine gute Grundlage geschaffen, um mit Schwierigkeiten gemeinsam umzugehen.
Ehrlich gesagt hätte ich meinen nach der Geburt des dritten Kindes ja schon etwas älteren Kindern auch gar nicht erklären können, warum unser Baby irgendwo alleine schreien oder von mir festgelegte Stillzeiten einhalten muss. Es gibt andere Wege als AP und ich maße mir nicht an zu sagen, dass mein Weg der Masterplan ist. Aber bei allem, was man als Eltern so veranstaltet, sollte man immer mal hinterfragen, wie sich das jetzt aus der Perspektive des Kindes anfühlt. Oder ganz banal gesagt: „Was würde ich mir in so einer Situation von den mir wichtigsten Menschen wünschen?“ Da kommt man eigentlich ganz schnell auf die passende Antwort. Und nein, mit Wünschen ist nicht das dritte Eis oder das neue Spielzeug gemeint…
Ein lebenslanger Lernprozess
Was definitiv mit jedem Kind wichtiger wird, ist die Hilfe von außen. Ob das der Partner, die Großeltern, eine gute Kita, der Essenlieferdienst oder die Putzfee ist. Ohne Hilfe geht es nicht. Denn die elterlichen Energiereserven sind zwar groß, aber nicht unerschöpflich. Deshalb ist es auch legitim, in Stresssituationen das Geschwisterkind mal vor dem Fernseher zu parken, anstatt gemeinsam etwas pädagogisch Wertvolles zu basteln. Wenn man dadurch etwas Zeit zum Ausruhen und Runterkommen kriegt, weil das Baby vielleicht gerade ohnehin schläft, ist das am Ende für alle mehr wert als ein neues Kastanienmännchen.
Elternsein ist ein lebenslanger Lernprozess, bei dem es wahrscheinlich am allerwichtigsten ist, immer wieder sein Tun zu hinterfragen. Besonders dann, wenn man sich gerade fragt, warum das eigene Kind momentan so extrem anstrengend ist. Auch ohne Bücher und ohne Experten findet man so meist schnell heraus, was das Kind wirklich braucht. Oder man selbst.
Ein bedürfnisorientierter und liebevoller Umgang in der Familie wird also sicher nicht von der Anzahl der Kinder bestimmt. In größeren Familien wird es vielleicht lauter, chaotischer und unordentlicher sein. Wahrscheinlich gibt es auch weniger Zeit und Geld für jeden Einzelnen. Aber sicherlich nicht weniger Nähe, Liebe und Geborgenheit für kleine und große Familienmitglieder.
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