Keine Sorge, Von guten Eltern mutiert jetzt nicht zum Beikost-Blog. Doch ich sehe bereits eine neue Elternverunsicherungswelle heranrollen, weil ich auf der Mama Miez-Facebookseite über die Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin stolperte, die sich äußerst kritisch zum Beikostkonzept des Baby-led Weaning äußert. So steht da Folgendes:
„Selbstfütterung statt Babybrei – das ist das Ziel des so genannten „Baby-led Weaning“ (weaning = Abstillen). Hier nimmt sich das Baby seine Beikost selbst, indem es die angebotene Nahrung selbständig zum Mund führt und sich daran versucht. Nun wird auch bei konventionellerem Zugang ein Säugling nach einigen Monaten dazu ermuntert, mal an einem Stück Obst zu lutschen, doch sehen die Experten die Methode des Baby-led Weaning als grundsätzlich problematisch an: Bei konsequenter Einhaltung der ausschließlichen Selbstfütterung und dem durchgängigen Verzicht auf Brei wird, bestimmt durch die notwendigen motorischen Entwicklungsfortschritte des Kindes, der Beginn der Beikostgabe in den Lauf des zweiten Lebenshalbjahres verschoben. Zu spät, um die Chancen auf ein gemindertes Allergie- und Zöliakierisiko nutzen zu können. Denn, so belegen es Studien seit längerem, die Einführung von Beikost nach der 17. und vor der 26. Lebenswoche (fünfter bis siebter Lebensmonat) mindert diese Risiken wesentlich. Zudem betont die DGKJ-Ernährungskommission, dass bei dieser Methode die angemessene Versorgung mit kritischen Nährstoffen wie Eisen nicht gesichert ist.“
Bezug wird da vor allem auf die S3-Allergieleitlinien genommen, die 2009 veröffentlicht und momentan überarbeitet werden. Konkret besagen diese Folgendes zum Thema Einführung von Beikost: „Für einen präventiven Effekt durch eine Verzögerung der Beikosteinführung über den vollendeten vierten Lebensmonat hinaus gibt es keine gesicherten Belege. Sie kann deshalb nicht empfohlen werden.“
Eine Verzögerung wäre es aus meiner Sicht, wenn ein Kind mit vier oder fünf Monaten die Beikostreifezeichen aufweist und Interesse an der Beikost zeigt, ihm diese dann vorzuenthalten. Es heißt aber nicht im Umkehrschluss, dass alle Kinder in dem Alter bereits Brei erhalten müssen – gerade wenn ihre motorische Entwicklung ganz deutlich zeigt, dass sie dafür noch nicht ausgelegt ist.
Die Angst der Eltern isst mit
In Bezug auf das Zölliakierisiko, also die Unverträglichkeit von Gluten, ist das Stillen während der Einführung ein entscheidender Faktor. Die Einführung von Gluten – solange noch gestillt wird – ist mit einem um 50 Prozent gesenkten Zöliakierisiko verbunden. Da in Deutschland aber die Kinder nur durchschnittlich sieben Monate gestillt werden, kann es somit tatsächlich sein, dass Kinder, die „erst“ mit sechs, sieben Monaten glutenhaltiges Getreide als Beikost erhalten, nicht mehr davon profitieren. Wäre hier aber vielleicht nicht die Stillförderung der bessere Weg als eine für manche Kinder sicher viel zu frühe Beikosteinführung zu propagieren?
Auch in Bezug auf die Allergieprophylaxe hat die Muttermilch eine wichtige Rolle bei der Beikosteinführung. Das Immunsystem von Säuglingen ist noch nicht ausgereift und deshalb empfindlicher. Mit neuer Nahrung gelangen über die Darmschleimhaut körperfremde Stoffe in den kindlichen Organismus. Antikörper in der Muttermilch, so genannte Immunglobuline, legen sich wie ein Schutzmantel über die noch nicht ausgereifte und daher sehr durchlässige Darmschleimhaut. So wird die Aufnahme potenzieller Krankheitserreger und Allergene reduziert. Wenn also mit circa einem halben Jahr schon abgestillt wird, trifft auch das natürlich nicht mehr zu. Das würde also auch für eine frühere Beikosteinführung noch während des Stillens sprechen. Oder doch einfach für das Fördern des längeren Stillens? Zum Beispiel dadurch, dass Mütter auch zukünftig noch Hebammen haben, die sie in der Stillzeit begleiten…
Selbstfütterung mit Babybrei
Aber was bei der ganzen Diskussion, in der wohl jede Fraktion ihren eigenen Argumente hat, gänzlich fehlt, ist der Blick aufs Kind. Denn was ist mit all den gestressten Eltern und auch Kindern, denen von Experten und Fachleuten ein bestimmtes Vorgehen empfohlen wurde, an das sich das Kind aber nun überhaupt nicht hält? Denn man kann sich theoretisch allerlei und vieles ausdenken. Praktisch bestimmen immer noch die Kinder den Weg. Natürlich würde auch kein Kinderarzt Eltern verordnen, den Brei notfalls mittels Magensonde zu füttern, wenn das fünf Monate alte Baby noch so gar kein Interesse hat. Doch die Stressspirale ist da längst in Gang gekommen.
Aufs Kind zu schauen, es ist in der Regel der sinnvollste Weg. Und bei aller Wertschätzung für die Wissenschaft werden wir doch immer wieder in bestimmten Bereichen kein eindeutig richtiges Vorgehen und somit keinen Konsens finden. Babys sind viel zu individuell in ihrer Entwicklung und in ihren Vorlieben, als dass man allen Kindern einen einheitlichen Plan bezüglich Zeitpunkt, Menge und Konsistenz überstülpen könnte. Genauso wie es glückliche BLW-Babys gibt, die unbedingt alles alleine und am liebsten nicht püriert essen wollen, fühlen sich andere Kinder mit der Löffelkost sehr wohl. Auch die Eltern sollten sich immer mit ihrem Weg wohlfühlen. Ein Baby darf auch einfach seinen Brei selbst löffeln, wenn es mag. „Selbstfütterung MIT Babybrei“ wäre dann also noch Methode drei im Beikost-Dschungel…
Die elterliche Urangst vor dem Verhungern des Kindes
Auch die in der Pressemitteilung angesprochene „nicht gesicherte angemessene Versorgung mit kritischen Nährstoffen wie Eisen“ ist ein häufiger Stressfaktor für Eltern, deren Kind sich nicht an das übliche Breischema hält. Mit dem Hinweis auf einen möglichen Nährstoffmangel werden elterlich Urängste geweckt. Doch das meist ganz zu Unrecht, weil natürlich die Ernährung auch von zunächst beikostunlustigen Kindern weiter über die Muttermilch oder Prenahrung sicher gestellt wird. Vorausgesetzt, es wird weiterhin nach Bedarf damit versorgt. Dieser Punkt wurde bei der Kurzbeschreibung des Baby-led Weaning durch die DGKJ nämlich überhaupt nicht erwähnt. Somit sind Eltern sicher zu Recht verunsichert, wenn sie denken, dass nun zwei angelutschte Gurkenscheiben und drei Brotkrumen allein für die Nährstoffversorgung des Babys zuständig sein sollen.
Es geht bei dem ganzen Thema nicht darum, dass eine Methode besser und eine schlechter ist, sondern darum, dass das „Essenlernen“ ein individueller Prozess ist – für jedes Kind. Nur weil ein großer Teil der Kinder mit circa 13 Monaten die ersten Schritte macht, würde man doch ein zehn Monate altes Kind nicht davon abhalten zu laufen oder ein fünfzehn Monate altes Krabbelkind gleich zur Physiotherapie bringen. Warum gibt es also für viele Entwicklungsschritte ein breites Entwicklungsfenster – nur scheinbar für die Beikost nicht?
Können wir wirklich für alles Gebote und Verbote aussprechen, was zu irgendeinem Zeitpunkt mal durch irgendwelche Studien belegt wurde? Natürlich gibt es momentan noch nicht allzu viele Studien über die Langzeitauswirkungen einer breifreien Beikosteinführung, da diese potenzielle Testgruppe ja erst heran wächst. Die bisher bekannten Ergebnisse sprechen aber durchaus dafür. Wenn wir weiter zwanghaft an alten Breizöpfen festhalten, werden wir wohl auch nie herausfinden und belegen können, ob dieser Beikostweg, mit dem die Menschheit auch schon lange vor der Breizeiten sich stetig weiter entwickelte, vielleicht doch der bessere oder zumindest ein ebenso guter Weg ist.
Vom „Stillen nach Bedarf“ zur „Beikost nach Bedarf“
Abgesehen davon, erscheint es mir doch ein bisschen absurd, dass wir diverse Studien und Belege brauchen, um Babys nun die Karotte püriert oder in der Fingerfoodvariante zu erlauben – aber nur sechzehn Jahre später ist es legal ist, dass Minderjährige Alkohol trinken dürfen. In Begleitung von Personensorgeberechtigten sogar bereits ab 14 Jahren und das, obwohl es genug eindeutige Untersuchungen gibt, die die schädlichen Auswirkungen von Alkohol auf Körper und Psyche belegen. Irgendwie ganz schön schräg…
Können wir den Eltern nicht einfach zutrauen, dass sie mit Hinweis auf die Beikostreifezeichen selbst den richtigen Zeitpunkt für den Beikostbeginn bei ihrem Kind erkennen können? Wären umfassende Informationen über eine gesunde Ernährung für die ganze Familie nicht sinnvoller, als den Eltern aufs Gramm genau ausgeklügelte Breipläne an die Hand zu geben, die nicht wenige Eltern letztendlich dann ganz vom Selbstkochen abschrecken? Können wir nicht einfach auch den Kindern vertrauen, die keine bestimmte Breimenge verzehren wollen oder lieber unpürierte Kost alleine essen? Kann man das „Stillen nach Bedarf“ nicht fließend in die „Beikost nach Bedarf“ übergehen lassen?
Je mehr Regeln und Verbote wir als vermeintliche Experten aufstellen, umso komplizierter wird das ganze Ding für die Eltern. Wir müssen uns zum Glück in der Regel nicht Gedanken darüber machen, wo wir morgen und übermorgen Essen für unsere Kinder her bekommen werden oder ob dieses überhaupt hygienisch unbedenklich ist. Trotzdem ist es geradezu absurd, wie die Beikost zum großen Stressthema für viele Familien wird…
Meine liebste Beikostempfehlung ist daher weiter der vom Kinderarzt Herbert Renz-Polster übersetzte Satz der American Academy of Pediatrics, der Vereinigung der amerikanischen Kinderärzte: „Die beste Methode zum Beifüttern ist nicht bekannt.“ Und deshalb, liebe Eltern, lasst euch nicht schon wieder verunsichern und stressen. Ihr macht das schon –zusammen mit EUREM Kind. Genießt euch und eure gemeinsamen Mahlzeiten, ob gefüttert oder selbst in den Mund gesteckt, ob an der Brust oder aus der Flasche. Guten Appetit.
Hier noch ein paar weitere lesenswerte Informationen dazu:
„Die Leitlinie ,Primäre Allergieprävention‘ auf dem Prüfstand“- Artikel von Dr.Kopp | „Vom Nutzen des Stillens“ – Artikel von Prof. Dr. med. Krawinkel“ | „Empfehlungen zum Beikoststart für das gestillte Kind“ – Informationsblatt des BDL | „Richtig essen von Anfang an“ – Beikostbroschüre des Bundesministeriums für Gesundheit in Österreich
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