Wenn Hebammen Kinder kriegen: Kathleen

Kathleen ist 33 Jahre alt und seit 2015 Hebamme. Ihr zweites Kind hat sie in der Zeit ihrer Hebammenausbildung bekommen. Statt der geplanten Hausgeburt wurde es ein eiliger Kaiserschnitt, weil sich die Schwangerschaftserkrankung HELLP (Anm. d. Red.: schwerwiegende Erkrankung während der Schwangerschaft, die mit einer hämolytischen Anämie, erhöhten Leberwerten und Verminderung der Blutplättchen einhergeht) bei ihr rapide verschlechterte. Nach der Ausbildung hat Kathleen als Hebamme im Kreißsaal einer mittelgroßen Klinik gearbeitet. Derzeit ist sie mit ihrem dritten Kind in Elternzeit.

Mitten im zweiten Jahr der Hebammenausbildung. Gerade geht’s richtig los und ich bin schwanger mit meinem zweiten Sohn. Verrückt, denke ich. Ich habe keine Sorge. Überhaupt nicht, denn ich bin es ja gewohnt, mit einem Kind die Ausbildung zu machen. Ich lehne mich deshalb zurück und genieße den positiven Schwangerschaftstest in meinen Händen. Ich habe einen genauen Plan. Mein erstes Kind war eine so tolle Schwangerschaft und die Geburt mit fünf Stunden unkompliziert und schön. Ich mache mir also überhaupt keine Sorgen. Die Entscheidung steht daher fest: Ich vertraue meinem Körper, ich möchte nicht in eine Klinik. Ich habe schon mal gebären dürfen und auch diesmal klappt es so wie bekannt. Also entscheide ich mich, einfach zuhause zu bleiben. Mein Mann ist voll bei mir. Er vertraut mir. Ich hatte eine Hausgeburtshebamme gefunden, machte ausschließlich Vorsorgen bei ihr, ging nur drei Mal zum Ultraschall. Mehr wollte ich nicht.

Die gesamte Schwangerschaft geht’s mir gut. Ich arbeite in der Geburtsanmeldung, ein wenig im Kreißsaal zum CTG anlegen und auf der Wochenbettstation. Ich fühle mich wohl, obwohl ich schon merke, dass ich auch Gespräche brauche – denn auch ich bin eine Schwangere, auch wenn ich selber zur Hebamme ausgebildet werde.

Dann nochmal schnell einen Einsatz in der Pränataldiagnostik – und schwupps, bekam ich auch gleich einen großen Organultraschall. Eigentlich wollte ich das alles nicht. Aber diese Tage in der Pränataldiagnostik haben mich manchmal kurz durcheinander gebracht. Ich erlebte dort traurige Dinge. Nein, dachte ich mir, gehört alles nicht zu mir. Ich doch nicht. Dann der Blick der Ärztin: „Ähm, alles gut, du. Aber!“ Mein Herz fing nun an zu pochen. „Deine uterinen Widerstände sind erhöht, vorallem auf der linken Seite ist ein eindeutiger Notch. Bitte lass es nochmal in der 34. SSW kontrollieren, denn du hast demnach ein erhöhtes Risiko im Laufe der Schwangerschaft eine Präeklampsie zu entwickeln.“ Kurz war ich verunsichert. Wie ich? Nee, ganz sicher nicht. Ich bin einfach nur schwanger und überhaupt, zweite Kinder sind doch unkompliziert, die Geburt ist schnell, alles ist toll. Risiko, wenn ich das schon höre. Kontrolle? Ähm, nöo, glaub‘ ich nicht. Wir Frauen können das alles ohne Kontrolle und Risikoeinschätzung.

Ich bin voller Vorfreude

Ich fühlte mich gut, die ganze Zeit. Die Risikogedanken, die kurz da waren, sind schnell wieder weg. Ich bin 33. SSW bin im Mutterschutz. Zuhause wird der Geburtspool aufgebaut. Ich bade schon mal drin, daneben unser Bett, wo das Kind gezeugt wurde. Das tut gut. Ich habe schon reichlich Vorwehen jeden Abend, sogar einmal nachts, wo ich glaube, meine Hebamme rufen zu müssen. Ich bin voller Vorfreude.

In der 37. SSW fühle ich mich irgendwie nicht so gut. Kann es nicht genau sagen. Ich habe heftig zugenommen, mag mich nicht mehr bewegen. Meine Beine sind so dick, Ödeme wohl, denke ich. Mmh, gut, das ist normal. Ist am Ende auch alles eine Belastung. Nun zeigt sich in der Vorsorgeuntersuchung Eiweiß im Urin, Ödeme in den Beinen, an den Händen, vor allem im Gesicht. Der Blutdruck scheint auch hoch zu sein. Wir beobachten.

In der 38. SSW fühle ich mich nun deutlich unwohl, alles ist komisch in mir. Ich habe weiterhin Vorwehen, will aber zu Hause gebären. Ich telefoniere mit meiner Hebamme, habe rasende Kopfschmerzen seit zwei Tagen, dazu Schwindel. Auch mein Bauch tut irgendwie weh, ich habe leichten Durchfall, der Blutdruck ist deutlich zu hoch. Ich bekomme irgendwie plötzlich Angst, große Angst sogar. Ich glaube, ich muss in die Klinik – nur so zum Untersuchen, ob alles ok ist. Dann komm ich zurück und gebäre wie geplant im Geburtspool.

Aufgewacht mit leerem Bauch

Angekommen in der Klinik dann der Schock: Mein Gesicht ist voller Wasser, meine Beine auch. Ich kann mich kaum bewegen, meine Hände und alles ist voll mit Wasser. Meine Kopfschmerzen sind so heftig, keine Schmerztablette hilft. Ich sehe manchmal ein Flimmern vor meinen Augen. Der Blutdruck ist so hoch, ich bekomm sofort eine Adalat (Anm. d. Red.: Medikament zur Senkung des Blutdrucks). Hilft nix. Ich höre nur den Oberarzt ernst sagen: „Die Schwangerschaft muss beendet werden, sofort mit einem Kaiserschnitt“. Ich fühl mich wie im Film: „Nein! Nein! Ich will nicht.“ Ich verhandle, sehr sogar. Ich muss unterschreiben für eine sofortige Einleitung.

Ich bekomm rasch Wehen nach nur einer Cytotec-Tablette (Anm. d. Red.: Medikament zur Einleitung der Geburt). Ich töne, stöhne, atme. Ich häng mich ans Seil, auf den Pezziball, veratme die schmerzvollen Wehen auf dem Boden im Vierfüssler mit rasenden Kopfschmerzen. Ich freu mich – okay, zuhause darf ich nicht gebären, aber dann hier, vielleicht am Seil. Der Muttermund ist bei fünf Zentimetern, schmerzhafte Wehen alle zwei Minuten. Plötzlich noch mehr Kopfschmerzen, die Blutwerte sind noch schlechter, eine Eklampsie steht bevor (Anm. d. Red.: Plötzlich auftretende schwere Erkrankung mit Krämpfen bis hin zum Bewusstseinsverlust) – die Herztöne sind schlecht, die Versorgung durch die Plazenta ist nicht mehr gewährleistet, die Präeklampsie (Anm. d. Red.: Vorstufe der Eklampsie mit Bluthochdruck, starken Wassereinlagerungen und Eiweissausscheidung im Urin) steht im Weg. Sofort eilige Sectio!

Grelles Licht, die kalte Trage aus dem OP! Todesangst. Einschlafen mit großem Bauch. Ich höre und sehe nichts mehr. Aufgewacht mit leerem Bauch, voller Schmerzen im Kopf, Schwindel, Blutdruck weiterhin bedrohlich hoch. Mein Mann mit Tränen in den Augen steht vor mir. Ich sehe zum ersten Mal meinen Sohn. Oh schön, denk ich. Ein Baby halt. Mehr fühle ich nicht. Ich bin so krank, fühle mich erschöpft. Ich schlafe. Die Tage zuhause stille ich wie eine Verrückte. Der Anfang ist schwer, Milchstau. Trotzdem klammere ich mich ans Stillen. Endlich klappt es. Es kommt zu einer wunderbaren langen Stillbeziehung. In mir jedoch tiefe Traurigkeit, leichte Wochenbettdepression. Ich fühle kaum was. Körperlich habe ich kaum Schmerzen, sogar mein Blutdruck hat sich reguliert. Wieso ich? Warum ich? Ich werde Hebamme, ich muss mich damit auseinandersetzen, mit dem Trauma, schließlich arbeite ich in diesem Beruf, ich kann es nicht ignorieren.

Erst nach einigen Monaten baute ich eine emotionale Beziehung zu meinem zweiten Sohn auf. Die Rückbildung im Geburtshaus breche ich ab, ich kann diese ganzen glücklichen Frauen und Geburten nicht ertragen. Eigentlich möchte ich auch lieber meine Hebammenausbildung abbrechen. Ich kann nie wieder einen Kreißsaal betreten. Oder noch nicht. Ich hätte nie gedacht, dass mich mal ein Kaiserschnitt treffen würde. Niemals. Ich habe viel gelernt aus dieser traumatischen Erfahrung. Viel über mich, über Schwangerschaften und Geburten.

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Kommentare

6 Antworten zu „Wenn Hebammen Kinder kriegen: Kathleen“

  1. J
    Jana

    Hallo,
    Das ist sehr schade, dass es dich damit traf. Aber manchmal ist das leider so und dafür kann Frau sowie so nichts. Mich hat es dreimal getroffen, jede Schwangerschaft wurde durch vaginale Geburt beendet, wobei es bei einer aus med. Gründen sicher besser gewesen wäre, per sectio zu entbinden.

    Was ich aber nicht so verstehe – wohl, weil ich auch in die Situation nie kam – ist, dass Frau damit so hadern kann, wenn sie nicht vaginal entbunden hat. Klar, ein Not Kaiserschnitt ist eine andere Hausnummer, aber trotz sectio hat man Leben geschenkt. Vielleicht nicht auf natürliche Weise aber dafür kann Frau doch auch nichts. Es hat halt nicht geklappt. Aber das ist doch nicht unsere Schuld. Eher bewundere ich die Frauen, die erhobenen Hauptes aus einer sectio hervorgehen, denn eine sectio bleibt eine OP und ist viel schmerzhafter etc. Aber sie diskreditiert nicht unseren Weg von der Frau zur Mama.

  2. M
    Marlene

    Es ist soo traurig. . Ich hab den Kaiserschnitt auch noch nicht ganz verdaut. Ich hatte eine wunderbare Schwangerschaft, dann rückte der Termin näher. Ich war eine Woche über ET und stellte mich im Krankenhaus vor, einem anthroposophischen. Sie empfahlen mir eine homöopathische Einleitung und behielten mich da. Ich fühlte mich furchtbar, bekam am nächsten morgen Nasenbluten, Bluthochdruck und Schwindel. Erst die dritte untersuchende Ärztin stellte fest, dass mein ET falsch berechnet wurde und ich also noch völlig im Rahmen lag. Man schickte mich nach Hause. Die letzte Untersuchung war gut, Fruchtwasser üppig, Herztöne entspannt. Zwei Tage später war ich erneut zur Untersuchung da, plötzlich war mein Fruchtwasser doch nicht mehr so üppig (was nicht stimmte, nur lag gerade leider die Nabelschnur im größten Reservoir und somit zählte es nicht). Ich war verunsichert, hatte aber vor allem keinen Bock mehr auf diese ständigen Untersuchungen. Ich verhandelte nicht sofort da zu bleiben, sondern erneut Homöopathie zur Einleitung mit nach Hause zu nehmen. Die wirkte nicht. Ich betete mein Baby möge sich auf den Weg machen, aber der Kleine blieb ganz entspannt. Am nächsten Tag wurde ich eingewiesen. Es folgten weitere homöopathische Anwendungen, mein Gefühl war gut. Es tat sich aber nichts. Ich bekam Cytotec….alle zwei Stunden eine Tablette, alle drei Stunden CTG 🙁 Nichts tat sich. Abends dann endlich das ersehnte Fruchtwasser in der Hose. Glücklich, erleichtert, aufgeregt gingen wir in den Kreißsaal. Wir bekamen einen Raum der nach Abwasser stank, da der Abfluss der Badewanne nicht funktionierte. Wir versuchten das zu ignorieren. Der Raum war sehr klein, wir dekorierten ihn und machten Musik an. Ich bekam deutliche Wehen, die der Schreiber allerdings nicht anzeigte. Ich sollte auf die Uhr schauen und mitteilen, wie die Abstände seien. Es wurde immer schlimmer. Wir bekamen einen anderen Raum, in dem ich auf den Boden durfte. Die meiste Zeit ließ man uns allein. Ich habe mich gefragt wann denn jemand käme. Oft schaute ich unter schweren Schmerzen zur Tür aber es tat sich nix. Ich wurdeimmer lauter und tönte gegen den Schmerz an. Nur einmal kurz kam die Hebamme rein, sagte ich solle mal runterfahren, das sei ja erst der Anfang. Irgendwann kam sie dann doch dazu. Sie wollte mich untersuchen. ..ich hatte solche Schmerzen und kaum Ruhephasen. Der Muttermund habe sich nicht geöffnet. Ich verstand nicht. Wie konnte das sein? Vier Stunden ertrug ich krampfartige Wehen ohne merkliche Pausen (meine Hebamme sagte später eine von 100 Frauen knallten wohl durch bei dem Mittel, das war ich). Ich fühlte in mich und spürte keine Öffnung. So war es auch. Wir brauchen einen Kaiserschnitt sagte ich zu meinem Mann, der tapfer dabei war, massierte, unterstützte. Als es gar nicht mehr ging rief ich nur noch nach der Hebamme. ..ich wollte einen Schnitt und zwar sofort. Sie versuchte mich zu beruhigen und sagte dass sie mich erstmal shmerzfrei machen würden. Einen ganzen Tag lang habe ich noch Oxytocin bekommen, mein Muttermund kam aber nicht über fünf cm. …und so. ..nach 24 Stunden Wehen, vier aufgefrischten pdaen bekam ich einen Kaiserschnitt, der mich untröstlich machte. Die Herztöne waren jederzeit gut gewesen. ..ich frage mich immer wieder, wenn diese ganze Einleiterei nicht gewesen wäre. …wäre mein Baby womöglich auf natürlichem Wege geboren? Ja, es ist ein Trauma. Die ganzen Schmerzmittel haben zudem noch leichte Depressionen ausgelöst, ich konnte die Mittel aber dank Bioresonanz ausleiten. Was bleibt ist ein unschönes Ende einer Reise, die wunderbar begonnen hatte und die Zweifel, ob wir wirklich richtig gehandelt haben… :-‚(

  3. S
    Susa

    Liebe Kathleen,

    was Du beschreibst könnte aus meiner Feder stammen. Die Zweifel, die Fragen, die Taubheit und die Traurigkeit nach der Geburt. Bei mir wurde aus anderen Gründen ein eiliger Kaiserschnitt gemacht. Auch mir ging es zuvor wunderbar.
    Ich habe es bis heute nicht verdaut. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es mir je gelingen wird.
    Auch ich habe mich an’s Stillen geklammert und ja, das hat geholfen. Es hat geholfen, den Weg zu meinem Sohn zu finden und ich genieße nochimmer (über ein Jahr später) diese Innigkeit und die ‚Wundheilung‘ dabei. Jede Stillmahlzeit, die natürlich mittlerweile weniger Mahlzeit, als Kuscheln bedeutet, ist ein großes Geschenk für mich. Dann laufe ich über vor Liebe und bin so unendlich dankbar, dass ich dieses Gefühl für meinen Sohn entwickeln konnte.

    Danke für Deinen Bericht! Es tat gut, ihn zu lesen.
    Susa

  4. B

    Super, ich freue mich schon drauf. 🙂

  5. A
    Anja

    Liebe Betti,

    im August kommt noch ein Bericht von Kathleens dritter ganz anders verlaufener Geburt hier.

    Liebe Grüße,

    Anja

  6. B

    Sehr traurig. Wie geht es ihr heute, weißt Du das?

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