Die meisten Hebammenkolleginnen kennen das: Sonntagabends zur besten Tatort-Zeit ruft eine aufgelöste und fiebernde Wöchnerin an. Ihre Brust tut weh und auch sonst fühlt sie sich ganz schrecklich krank. Die erfahrene Hebamme, die eine sonst problemlos stillende Wöchnerin noch in der letzten Woche ganz gesund und entspannt gesehen hat, fragt dann wahrscheinlich als erstes, was denn am Wochenende los war. Oder noch direkter: Wer denn zu Besuch war und wie dieser Besuch verlaufen ist?
Manchmal kullern dann schon am Telefon die Tränen. Die junge Mutter schluchzt was von „… den ganzen Tag hat sie hier rumgesessen und mir gute Tipps gegeben“. Oder „ständig wollten sie das Baby auf den Arm nehmen“. Oder „eigentlich war mir das vorab schon alles viel zu viel…“.
Aber wenn die Tränen erstmal fließen, fließt meist auch die Milch schnell wieder. Mit noch ein paar anderen kleinen Tipps und vor allem ein paar Tagen konsequenter Bettruhe ist so ein Schwiegermuttermilchstau dann zwar schnell überstanden, aber trotzdem unangenehm.
Jeglichen Besuch „verbieten“?
Die Frage ist also, hätte man das ganz verhindern können, indem man jeglichen Besuch im Wochenbett „verbietet“? Das ist sicher auch keine Lösung. Aber junge Eltern sollten sich darüber bewusst sein, dass Besuch zu bekommen in den ersten Wochen mit einem Neugeborenen wesentlich anstrengender ist als jemals zuvor. Besuch ist auch nicht gleich Besuch. Ich habe auch ganz wunderbare Schwiegermütter (und natürlich auch Mütter) erlebt, die ein wahrer Segen für die Wöchnerin waren. Aber meist sind es doch die eigenen Eltern der frisch gebackenen Eltern, die Stress in die gerade neugeborene Familie bringen.
Besonders wenn es das erste Enkelkind in dieser Familie ist. Und damit die Erwartungen entsprechend hoch und vielleicht auch etwas unrealistisch sind. Aber manchmal wandern auch Horden von Freunden und Arbeitskollegen durch das elterliche Schlafzimmer. Genau das aber sollte eigentlich Rückzugsort für Mutter und Kind sein. Gerne werden dann auch noch mal eigene Kinder mitgeschleppt, die dann das frisch geschlüpfte Kind „begrabbeln“. Die Neueltern trauen sich nicht Nein zu sagen. Man will ja schließlich nicht kinderfeindlich wirken, gerade jetzt, wo man selbst Nachwuchs hat. Als Superglucke möchte auch keine Mutter dastehen. Darum lässt man dann die Nachbarin mal das Baby halten, obwohl es sich irgendwie noch nicht richtig anfühlt…
Der ideale Besucher
Es ist wirklich nicht einfach, das richtige Maß Besuch im Wochenbett zu halten. Denn schließlich sind ja alle Leute, die da kommen und kommen möchten, nicht mit schlechten Absichten unterwegs. Sie freuen sich sehr über das kleine, gerade geborene Kind. Dass dabei die Wöchnerin gerne mal völlig ins Abseits gerät, wird leider oft übersehen. Dabei ist es so einfach: Will man dem Baby was Gutes tun, muss man nur der Mutter bzw. den Eltern etwas Gutes tun.
Der ideale Besucher ruft also vorher an, um sich zu erkundigen, ob und wann es passt. Dabei versichert er den Eltern aber auch noch mal, dass es nicht schlimm ist, wenn etwas dazwischen kommt und der geplante Besuch kurzfristig verschoben oder abgesagt wird. Man kann manche schlaflose Nacht nicht im Voraus erahnen. Der Schlaf sollte dann am Tag gemeinsam mit dem Baby nachgeholt werden.
Der Idealbesucher ist flexibel und kommt zudem nicht mit leeren Händen. Nein, damit ist nicht der zehnte zu kleine, zu große oder zu hässliche Strampler gemeint. Der gute Besuch hat etwas gutes zu essen und vielleicht auch zu trinken dabei. Gerne auch in größerer Portion, damit sich die Eltern für stressige Tage das Eisfach auffüllen können.
Superbesucher spart sich schlaue Tipps
Der Idealbesuch erwartet keinen Kuchen, sondern hat den selbst dabei und macht sich auch noch den Kaffee selbst. Blumen sind zwar schön, haben aber meist ein kurzes und trauriges Dasein im Wochenbett. Den Eltern haben keine Zeit oder vergessen es schlicht, sich auch noch um diverse Sträuße zu kümmern. Also: Leckeres und gesundes Essen ist immer ein sinnvolles Wochenbettgeschenk.
Der Musterbesuch schaut kurz nach Mutter und Kind und findet es überhaupt nicht schlimm, wenn sich beide zum Stillen oder Schlafen schnell wieder verabschieden. Die Wöchnerin darf selbstverständlich ungeschminkt und im Bademantel die Tür aufmachen. Sie entscheidet auch, ob und wie viel sie von ihrer Geburt erzählen möchte. Gerade nach Geburten, die anders verlaufen sind als erhofft, möchten manche Frauen das erst einmal für sich in Ruhe verarbeiten und es allenfalls mit dem Mann und der Hebamme besprechen. Der Idealbesuch räumt dann noch das Kaffeegeschirr weg und fragt, wo und wie er helfen kann. Vielleicht ist ein kleiner Einkauf zu erledigen oder Wäsche aufzuhängen. Zu tun gibt es eigentlich immer etwas bei jungen Eltern…
Was der Superbesucher auf keinen Fall macht: schlaue Tipps geben oder kommentieren, was die Eltern da tun. Es sei denn, es handelt sich um positive bestärkende Kommentare oder er wird um Rat gefragt. Wenn der Idealbesuch sich über Dinge wundern sollte („Diese Tücher hatten wir ja damals nicht“ / „Ich konnte ja nicht stillen“ / „Uns wurde ja gesagt, dass Schreien die Lungen stärkt“), wird anderen Wegen offen und vorurteilsfrei begegnet. Eigentlich sollte sich Besuch ja nur kurz im Wochenbett aufhalten. Aber guter Besuch darf auch gerne mal länger bleiben und als gute Seele im Wochenbett die junge Familie unterstützen. Darum ist er idealerweise nicht mehr berufstätig oder hat ausreichend Urlaub…
Bemutterung der Mutter
Ja, ich habe solche guten Seelen tatsächlich erlebt bei einigen Wöchnerinnen. Und es ist wirklich beeindruckend, wie positiv sich so eine Bemutterung der Mutter auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Wöchnerin auswirkt. Aber in mehr Fällen erlebe ich doch, dass es erst mal kleine oder große Krisen gibt, bis jeder in der Familie und im Freundeskreis seine neue Rolle gefunden hat. Denn eines ist klar: Menschen verändern sich und auch ihre Prioritäten, wenn sie Eltern werden. Das ist vor allem beim ersten Kind der Fall.
Bei weiteren Kindern läuft das mit dem Besuch in den ersten Tagen und Wochen oft wesentlich entspannter. Gerade die Wöchnerinnen nehmen sich noch mal mehr ihr Recht auf Auszeit, weil sie wissen, wie schnell der Alltag sie mit nun mehreren Kindern wieder einholen wird. Und die Großeltern sind in den meisten Fällen sowieso vom größeren Enkelkind belegt. Da bleibt also gar keine Zeit für schlaue und ungebetene Tipps. Auch Freunde bleiben eher kurz und drehen dann vielleicht noch mal eine Spielplatzrunde mit dem großen Geschwisterchen.
Aber gerade beim ersten Kind ist man ja auch so schön leicht zu verunsichern, eben weil man das alles zum ersten Mal erlebt und ja nichts falsch machen möchte. Und vielleicht stimmt es ja am Ende doch mit dem Verwöhnen, wenn das Kind „schon“ seit drei Wochen immer nur an Mamas Seite einschläft… Wöchnerinnen brauchen positiven Zuspruch in ihrem Tun und keine neuen Verunsicherer, denn verunsichert sind sie sowieso schon. Das macht Stress und Stress macht gerne Milchstaus, weil das Stresshormon Adrenalin das Hormon blockiert, was für den Milchspendereflex zuständig ist.
Also vorher (ja, schon vor der Geburt!) gut überlegen, wen man in der ersten Zeit sehen möchte und welchen Besuch man sich besser erst etwas später „antut“. Und wenn sich eher stressiger Besuch gar nicht absagen oder verschieben lässt, ist es erfahrungsgemäß (natürlich je nachdem, wie die Geburt verlaufen ist) sinnvoller, diese Besucher in den ersten zwei Tagen zu empfangen. Bevor der Milcheinschuss und auch der Hormonabfall (die Heultage) kommen. Auch der Schlafmangel schlägt meist erst nach drei, vier Tagen so richtig zu…
Babybflitterwochen
Übrigens sind auch mütterliche und väterliche Bedürfnisse in Sachen Besuch manchmal etwas konträr. Während der stolze Vater am liebsten jeden Freund persönlich ins heimische Wochenbett einladen möchte, um das Kind zu präsentieren, sehnt sich die Mutter nach völligem Rückzug. Die Babyzeit ist lang genug, um Besuch entsprechend zu dosieren. Gerade im nicht immer nur spannenden Babyalltag nach ein paar Wochen ist es nett, wenn die Arbeitskollegin mal zum Frühstücken vorbei kommt. Aber die Wochenbettzeit bezeichnen wir Hebammen gerne auch als „Babyflitterwochen“. Und man überlegt sich in der Regel gut, wer mit in die Flitterwochen kommt.
In unseren ersten Babyflitterwochen haben wir uns erst mal ganz zurückgezogen auf unsere kleine Wochenbettinsel. Nur liebevoll umsorgt von der Patentante unserer Ältesten, die uns auch bei der Geburt begleitet hat – als Freundin und Hebamme. Und das Wochenbett war wunderbar: Immer war etwas zu Essen da oder es stand frisches Obst und Trinken da. Alle Haushaltssachen waren einfach so erledigt. Wenn Christian mal einen Moment nicht vor Ort war, wusste ich die Babytochter in besten Händen, wenn ich duschte. Es war Raum da, um die anstrengende Geburt zu besprechen und gut zu verarbeiten – für uns alle. Die allgemeine Verunsicherung von uns frischen Eltern wurde von der positiven Bestätigung unserer Freundin, damals noch drei- und mittlerweile vierfache Mutter aufgefangen. Auch Jahre später kann ich nur sagen: Danke und ja, wir haben ein bisschen geweint, als du nach ein paar Tagen wieder nach Hause reisen musstest.
Also, gut überlegen, wen man in die Babyflitterwochen mitnimmt. Eltern müssen individuell schauen, was und wen sie in dieser Zeit brauchen und was und wen eben nicht. Zwischen zeitweiliger völliger Besuchsabstinenz bis hin zum Massenauflauf der Großfamilie kann alles gut sein. Wichtig ist, dass vor allem die Mutter im Wochenbett sich damit wohl fühlt – dann gibts auch garantiert keinen Schwiegermuttermilchstau…
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