Dieser Text ist lang, sachlich und vermutlich stellenweise langweilig. Wer trotzdem bis zum Ende durchhält, wird aber nachvollziehen können, warum ich bis heute nicht verstehe, was sich da tatsächlich am 28. Juli 2015 bei einem Bürgerdialog des Bundesgesundheitsministeriums in Berlin abspielte…
Zusammen mit anderen Bürgern, von denen der Großteil in medizinischen Berufen arbeitet, war ich zum Bürgerdialog mit Gesundheitsminister Hermann Gröhe eingeladen. Das Motto lautete: „Gut leben in Deutschland – was uns wichtig ist.“ Nach kurzer Einleitung des Ministers sollten sich die Teilnehmer in Gruppen zusammenfinden, um die für sie brisanten Themen und mögliche Lösungen zu besprechen sowie diese später präsentieren. Es waren Themen wie „Personal im Gesundheitswesen“, „Forschung und Fortschritt“ oder „Prävention“ vorgegeben, aber die Moderatorin bot Spielraum für eigene Vorschläge an.
Zu Beginn der Veranstaltung lernte ich zwei Menschen kennen: einen jungen Vater, angehender Lehrer sowie eine Psychologin, die sich aktiv bei „Motherhood“ für die Rechte von Eltern in der Betreuung rund um die Geburt einsetzt. Für uns drei war das Hebammenthema gleichermaßen relevant, so dass wir die Moderatorin fragten, ob wir das gemeinsam in eine Gruppe mit dem Titel „Gute medizinische Versorgung“ einbringen können.
Antworten, die Fragen hinterlassen
Sie bejahte dies und erklärte, dass es beim Bürgerdialog einen Tag zuvor in Krefeld sogar eine eigene Gruppe gab, die sich ausschließlich mit der guten gesundheitlichen Versorgung in der Geburtshilfe beschäftige. In unserer Gruppe waren noch zwei Krankenschwestern, der Chefarzt einer psychiatrischen Klinik und eine in der Pharmaindustrie tätige Frau. Wir alle kamen schnell ins Gespräch und fanden einen gemeinsamen Nenner für unsere Vorstellungen einer guten gesundheitlichen Versorgung. Natürlich sprachen wir über Beispiele aus der Schwangerenbetreuung oder der Geburtshilfe, aber auch über die ebenso schlechte Situation in der häuslichen Krankenpflege oder bei der Behandlung psychisch erkrankter Menschen. Die gute Beziehung zum Patienten ist ebenso wie die Menschlichkeit durch ökonomische Faktoren und Überlastung des Gesundheitspersonals in allen Bereichen gefährdet oder gar kaum noch möglich. Unser Gesamtfazit, dass es letztlich immer um eine gute Beziehung zwischen Patient und behandelnder Person geht, hielten wir in Stichpunkten auf ausgeteilten Moderationskarten fest.
Zwischendurch kam Minister Gröhe in unsere Gruppe. Es gab die Gelegenheit, den Versorgungsmangel mit Hebammen anzusprechen. Ich schilderte ihm kurz die Lage in Berlin, die sowohl die Versorgung mit freiberuflichen Hebammen betrifft als auch die Situation in der Klinik. Der tragische Fall, in dem eine Mutter wegen eines überfüllten Kreißsaales nicht aufgenommen wurde und ihr Baby im Zuge dessen verstarb, war dem Minister noch nicht bekannt. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass es immer häufiger vorkommt, dass Schwangere von überbelegten Kreißsälen abgewiesen und weitergeschickt werden. Er wirkte betroffen und schilderte ein paar Beispiele, wie Kliniken versuchen, die Personalsituation zu verbessern, indem sie eine übertarifliche Bezahlung oder Übernahme der Haftpflichtversicherungskosten anbieten. Leider gab es für mich an dieser Stelle nicht mehr die Gelegenheit nachzufragen, ob damit nur bestehende Personallücken „geflickt“ werden sollen oder ob tatsächlich mit einem besseren Personalschlüssel gearbeitet wird.
Wird es in drei Jahren noch Hebammen geben?
Nach einer kurzen Pause ging es an die Präsentation der Gruppenergebnisse. Unser Gruppensprecher, der angehende Gymnasiallehrer, erläuterte die Kernpunkte auf den Moderationskarten. Zum Ende der dreiminütigen Präsentation stellte er noch an Gröhe die Frage, ob es in drei Jahren noch Hebammen geben würde. Beim Bürgerdialog in Krefeld hätte es schon erste Antworten gegeben, die ihn als jungen Vater mit weiterem Kinderwunsch nicht beruhigen würden. Die Frage wurde zunächst auf die anschließende Diskussionsrunde nach den Präsentationen vertagt.
Gröhe antwortet später dem Fragesteller, dass er sicher sei, dass es in drei Jahren garantiert möglich sei, in Deutschland sicher Mutter und Vater zu werden. Und dies zu besseren Bedingungen, als die eigenen Eltern und Großeltern und als 95 Prozent der Bevölkerung auf diesem Planeten. Wenn man dies also als sichere Erwartung hätte, könne man einsortieren, was die Hebammen gerade an „Berufsauseinandersetzung um Haftpflicht“ zu Recht umtreibe. Er sei sehr dafür, beherzt für die Interessen eines Berufstandes zu kämpfen, aber ob wir das in einer Situation tun können, die ihn keine Sekunde daran zweifeln lässt, dass in drei Jahren ein Kind auf die Welt zu bringen fast nirgends auf diesem Planeten so gut möglich und verantwortbar sei wie in diesem Land…
Der letzte, von Gröhe nicht ganz beendete Satz ließ nicht nur unseren Gruppensprecher, sondern auch mich in großer Ratlosigkeit zurück. In keinem Satz der Antwort wurde konkretisiert, dass es in drei Jahren tatsächlich noch Hebammen geben wird.
Deshalb fragte ich bei der Fragerunde noch einmal konkret nach, inwieweit in diese von Gröhe beschriebene zukünftige gute und sichere Betreuung von Schwangeren und Müttern auch Hebammen inkludiert seien. Eine ebenfalls nicht ganz eindeutige Antwort sollte mich zumindest dahingehend beruhigen, dass es in drei Jahren auch noch Hebammen geben würde. Auf das Wie wurde nicht eingegangen. In dem Kontext wurde ausführlicher der aktuelle Verhandlungsstand zwischen Krankenkassen und Hebammenverbänden erläutert und dass es ja letztlich um die Qualität in der Versorgung ginge. Meine Frage war eine von ungefähr fünfzehn ganz unterschiedlich gearteten Fragen zu diversen Themenkomplexen im Gesundheitsbereich. Sie war die einzige Frage zum Thema Hebammen oder Geburtshilfe.
Persönliche Erlebnisse als Entscheidungsgrundlage?
Damit war nach gut zwei Stunden der offizielle Teil der Veranstaltung beendet und es gab einen Empfang mit kaltem Buffet im Foyer des Veranstaltungsraumes. Es wurde mehrfach während der Hauptveranstaltung darauf hingewiesen, dass es in diesem Kontext auch noch Gelegenheit zum persönlichen Gespräch mit dem Gesundheitsminister gäbe.
Da Gröhe sich im Anschluss gleich mit dem eingangs erwähnten Vater über das Hebammenthema unterhielt, gab es für mich thematisch den Anknüpfungspunkt, noch einmal zu erläutern, dass es den Hebammen ebenso um Qualität gehe wie der GKV und allen anderen Beteiligten. Doch die Grundlage für Qualität sollte eine vernünftige Evidenz sein und nicht willkürlich beschlossene Kriterien, die Gesundheitsleistungen inkludieren oder ausschließen.
Auch den Punkt, dass es mitnichten nur um die Hausgeburtshilfe geht, konnte ich an dieser Stelle noch einbringen. Der Minister erzählte mir, dass ein Verwandter von ihm im notärztlichen Bereich arbeite und seine schlimmsten Einsätze abgebrochene Hausgeburten seien. Ich nannte ihm daraufhin ein paar konkrete Bespiele aus der klinischen Geburtshilfe, die ich als sehr gefährlich und schlimm erlebt habe. Und ergänzte, dass weder meine persönlichen noch seine (nur über Erzählungen erlebten) Erfahrungen eine Entscheidungsgrundlage über das Wohl und die Sicherheit für schwangere Frauen und Mütter sein dürfe. Dafür braucht es immer einen objektiven und belegbaren Blick auf die Situation. Während dieses knapp zehnminütigen Gespräches versuchte der persönliche Referent des Ministers, Roland Jopp, immer wieder zu signalisieren, dass das Gespräch nun beendet werden müsse. Der Minister signalisierte aber gleichzeitig, dass er noch etwas dazu sagen wolle und beendete seine Sätze entsprechend.
Warum ich das bisher alles so ausführlich beschreibe? Nun, weil dann vielleicht klar wird, wie verstörend und für mich immer noch unfassbar das darauf folgende Szenario war.
Beschimpfungen am Buffet
Als das kurze Nachgespräch mit Minister Gröhe vorüber war, stürmte ein ganz offensichtlich sehr erboster Roland Jopp auf unsere an einem Tisch stehende Gruppe zu, die aus dem jungen Lehrer, der Psychologin und mir bestand. Ohne jemanden konkret anzureden, beschimpfte Jopp einfach die gesamte Gruppe. Einer seiner wohl auch an mich adressierten, scharf formulierten Kritikpunkte war, dass wir mit dem Thema Hebammen viel zu viel Raum eingenommen hätten und sich die anderen Mitglieder unserer Gruppe sogar beschwert hätten. Auf meine mehrfache Nachfrage, wer sich denn konkret worüber beschwert habe, gab er irgendwann zu, dass dies seine Beobachtung gewesen sei. Demnach gab es also gar keine Beschwerde.
Mehrfach bedrohte er uns damit, dass rechtliche Schritte gegen uns eingeleitet werden würden, weil wir Informationen aus dem Tags zuvor statt gefundenen Bürgerdialog weitergetragen hätten. Auch ich hatte von einer in Krefeld anwesenden Kollegin am vorherigen Abend erste Eindrücke mitgeteilt bekommen. An keinem Punkt der Veranstaltung ist ihr oder uns mitgeteilt worden, dass die in Krefeld und Berlin gesagten Dinge nicht nach außen getragen werden dürften. Ganz im Gegenteil mussten alle Teilnehmer sogar eine Einverständniserklärung unterschreiben, dass im Namen des Bundesgesundheitsministeriums auch fotografiert und gefilmt werden dürfe. Weder schriftlich noch mündlich wurde zudem verboten, selbst Aufnahmen zu machen oder Stichpunkte mitzuschreiben. Diese Androhung erschien mir somit zwar absurd, wirkte aber in diesem Kontext doch im Versuch einschüchternd und extrem verstörend auf mich.
War das tatsächlich der gleiche Mitarbeiter aus dem Büro des Gesundheitsministers, der mir noch kurz zuvor freundlich folgendes mailte?
Sehr geehrte Frau Gaca,
vielen Dank für Ihr Interesse am Bürgerdialog der Bundesregierung in Berlin.
Ihre persönliche Einladung von Gesundheitsminister Hermann Gröhe finden Sie im Anhang. Sie sind ganz herzlich eingeladen, wir freuen uns auf Ihr Kommen.
Mit freundlichen Grüßen
I.A.
Dr. Roland Jopp
_____________________________________
Bundesministerium für Gesundheit
Büro des Ministers
Weiterhin warf uns Roland Jopp vor, dass wir mit unserem Verhalten den Hebammen schaden würden und uns immer unangenehm in den Mittelpunkt drängen würden. Außerdem hätten wir den anderen Bürgern keine Chance gegeben, auch mit dem Minister zu sprechen. Ich machte ihn mehrfach darauf aufmerksam, dass ich einfach als Bürgerin gekommen sei und alle von ihm gerade beschimpften Personen heute Abend zum ersten Mal getroffen habe, als er uns erneut als eine Art Gruppe von Störenfrieden bezeichnete, die mit dem Plan gekommen sei, eine ganze Veranstaltung mit einem persönlichen Anliegen zu sprengen.
Der wirklich sehr erregte und in einem sehr aggressiven Tonfall mit uns sprechende Referent des Gesundheitsministers beantworte meine mehrfache Nachfrage nach dem Grund seiner gegen mich gerichteten Beschimpfungen zu keinem Zeitpunkt konkret. Ebenso wurde nicht darauf eingegangen, als ich ihn mehrfach darauf hinwies, dass wir zu Beginn des Dialogs sogar noch mal nachgefragt hatten, ob und wo wir unser Thema einbringen können. Auch wenn ich an dieser Stelle nur für mich spreche, lässt sich wohl auch für die beiden anderen verbal angegangenen Personen sagen, dass wir an keiner Stelle die Form der Veranstaltung nicht eingehalten oder uns sonst irgendwie unangemessen verhalten hätten. So entstand in mir schon der Eindruck, dass da mal jemand – deutlich genervt von dem scheinbar nicht lösbaren Hebammenthema – einfach seinem Ärger Luft machen wollte…
Eine Entschuldigung, keine Erklärung
Ich bin nach wie vor schockiert über diesen unangemessenen Verbalangriff einer Amtsperson bei einer Veranstaltung, die sich „Bürgerdialog“ nennt und zu der ich als Bürgerin eingeladen wurde. Anscheinend besteht kein wirkliches Interesse an einem Dialog, wenn nicht mal im Rahmen der kurzen möglichen Redezeit gewünscht ist, dass man die Punkte einbringt, die einen als Bürger gerade akut betreffen. Dem einladenden und mich später beschimpfenden Roland Jopp war durch die Anmeldung bekannt, dass ich Hebamme bin. Es war also mehr als naheliegend, dass wahrscheinlich dazu auch Gesprächsbedarf für mich als Bürgerin zu diesem Thema bestehen wird.
Die bei „Motherhood“ sehr engagierte Journalistin Michaela Skott hat am Tag nach der Veranstaltung mit einer Pressesprecherin des Ministers telefoniert, die ebenfalls bei der Veranstaltung anwesend war. Sie hat ihr bestätigt, dass das Thema Hebammen wahrlich nicht an erster Stelle stand und beim Bürgerdialog in Krefeld wesentlich präsenter gewesen sei.
Am darauf folgenden Tag ließ sie uns drei Teilnehmern nach einem längeren Gespräch mit Roland Jopp dessen Entschuldigung für sein Verhalten ausrichten. Es wurde unter anderem auch mit dem Stress begründet, den die Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltungen verursacht hatte. Unser Angebot, die Situation noch einmal in einem persönliche Gespräch zu klären, wurde leider nicht wahrgenommen. Somit kann ich für mich persönlich nur den Ablauf des Abends hier schildern, ohne wirklich die tatsächliche Beweggründe hinter diesem für mich nicht nachvollziehbaren Verhalten zu kennen. Was eine Entschuldigung aus zweiter Hand wert, darf an dieser Stelle jeder selbst bewerten.
Politisches Aussitzen, bis die Lage kollabiert
Ein paar Wochen nach dem Bürgerdialog kam ein Dankschreiben von Minister Gröhe, in dem er unter anderem auch aufzählte, was er persönlich aus dem Dialog mitgenommen habe. Dazu gab es auch ein Video mit Eindrücken der Veranstaltung. An keiner einzigen Stelle wurde das Thema Geburtshilfe, Schwangerschaft oder Hebamme mit auch nur einer Silbe erwähnt. Anscheinend war das angeblich dominierende Einbringen unseres Themas, für das wir uns sogar beschimpfen lassen mussten, wohl doch nicht so eindrücklich. Oder es war schlicht und einfach nicht gewollt.
Eine ähnlicher Umgang mit relevanten Gesundheitsthemen lässt sich hier in Berlin gerade am Landesamt für Gesundheit und Soziales beobachten. Die humanitäre und medizinische Versorgung der hier ankommenden Flüchtlinge ist mehr als unzureichend und wird seit Wochen nur durch den enormen Einsatz vieler ehrenamtlicher Helfer überhaupt ermöglicht. Auch Hebammen und Ärzte arbeiten hier in ihrer Freizeit und ohne Bezahlung, während politisch die Kritik an der schlechten humanitären und medizinischen Lage zurückgewiesen wird. Doch auch gestern war wieder sehr treffend in der Presse zu lesen, dass das Lageso praktisch kollabiert ist.
Auch die sichere und gute Versorgung rund um das Thema Geburt ist in Deutschland längst kollabiert, wenn auch sich die Auswirkungen sicherlich in der Breite erst langfristig bemerkbar machen werden. Solange schaut man dann halt einfach nicht hin und spricht am besten nicht mehr darüber. Denn sonst müsste man ja vielleicht handeln…
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