Der Begriff Saugverwirrung begleitet mich schon mein ganzes Hebammenleben lang. Bereits als Hebammenschülerin war es eine Aufgabe auf der Wochenbettstation, jegliche Form von künstlichen Saugern aus Proben- und Werbepäckchen zu verbannen, die Frauen nach der Geburt bekamen. Neben anderen Stillproblemen wie einer unzureichenden Milchbildung aufgrund zu langer Stillpausen droht nämlich immer die Gefahr, dass der Einsatz von Gummisaugern und ähnlichem dazu führt, dass das Neugeborene nicht mehr adäquat an der Brust trinkt.
Aber gibt es das saugverwirrte Baby tatsächlich? Oder ist das nur eine Erfindung von übereifrigen Stillberaterinnen?
Schließlich erhalten doch noch immer viele Kinder bereits in den ersten Tagen einen Schnuller. Und sie gedeihen trotzdem bestens an der Brust der Mutter, die problemlos und ohne Schmerzen stillt. Ja, tatsächlich ist es auch aus meiner Beobachtung heraus der größere Teil der Kinder, der problemlos den Wechsel von der Brust zum künstlichen Sauger und umgekehrt schafft. Aber so wie jede Hebamme und Stillberaterin kenne ich auch die Fälle, in denen das nicht so unkompliziert klappt.
Das Praxisbuch: Besondere Stillsituationen etwa nennt den Anteil von Neugeborenen mit einer Saugverwirrung bei rund 20 Prozent. Das heißt, dass diese Kinder Schwierigkeiten entwickeln, richtig an der Brust zu trinken, wenn ihnen in den ersten Tagen ein Schnuller oder Flaschensauger angeboten wird. Auch das Saugen auf dem Finger eines Elternteils oder des Pflegepersonals (das sogenannte Fingerfeeding) kann Probleme machen. Gleiches gilt für die Verwendung eines Stillhütchens.
Stillen kann sich trotz Saugverwirrung wieder einspielen
Die Mutter merkt es meist daran, dass das Stillen plötzlich schmerzhafter wird, weil das Kind die Brustwarze nicht mehr richtig erfasst. Auch hektisches An- und Abdocken oder klickende bzw. schmatzende Geräusche beim Trinken können auf eine Saugverwirrung hinweisen. Ebenso wie sichtbare Einziehungen an den Wangen beim Stillen. Manche Kinder verweigern die Brust auch komplett. Das ist für die Mütter eine besonders schlimme Situation, weil sie sich oft von ihrem Baby abgelehnt fühlen. Das allerdings „bestreikt“ ja gar nicht sie, sondern „nur“ die Brust.
Durch das ineffektive Saugen kann natürlich auch das Gedeihen des Kindes negativ verändert sein. All das kann passieren, wird aber beim größten Teil der Kinder nicht vorkommen, auch wenn sie in den ersten Tagen einen künstlichen Sauger erhalten. Aber die Babys sind nun mal nicht mit einem „Ich habe ein Saugverwirrungsrisiko“-Sticker beklebt. So wird zum besseren Gelingen des Stillens allen Müttern von künstlichen Saugern abgeraten.
In den meisten Fällen, die ich erlebt habe, hat sich das Stillen trotz Saugverwirrung zwar wieder gut eingespielt. Aber es war nicht selten ein stressiger und mühsamer Weg, der viel von den Müttern abverlangt hat.
In den ersten Wochen besser auf künstliche Sauger verzichten
In einem Fall etwa haben wir es leider auch mit größter Mühe nicht mehr geschafft, dass das Baby jemals wieder an der Brust getrunken hat. Die Mutter hatte den künstlichen Sauger nur kurze Zeit eingesetzt. Aber dies führte dazu, dass das Kind einfach nicht mehr an der Brust trank.
In ganz seltenen Fällen kann sich eine Saugverwirrung auch schon während der Schwangerschaft entwickeln. Nämlich dann, wenn das Kind im Bauch sehr häufig auf seinen Fingern oder der eigenen Lippe gesaugt hat. Diese Kinder haben dann von Geburt an große Probleme, korrekt an der Brust zu saugen. Aber bitte jetzt keine Sorge bekommen, wenn ihr im Ultraschall das Baby mit dem Daumen im Mund seht. Die „intrauterine Saugverwirrung“ ist wirklich eine sehr große Ausnahme.
Die beste Prophylaxe gegen eine Saugverwirrung ist also tatsächlich, in den ersten Tagen und Wochen komplett auf künstliche Sauger zu verzichten. Wenn dies nicht so gehandhabt wird und Stillprobleme nach dem Kunstsaugergebrauch auftreten, ist die Hilfe der Hebamme oder einer Stillberaterin sinnvoll. Neben dem Absetzen des „Verursachers“ ist eine konkrete Unterstützung beim Anlegen enorm wichtig. Und dazu natürlich immer wieder die Beruhigung der Mutter.
Gute Stillberatung ist eine wichtige Unterstützung
Eventuell muss auch eine Phase des Stillstreiks mittels Abpumpen und der Anwendung einer nicht verwirrenden alternativen Fütterungsmethode überbrückt werden. Oder es wird eine direkte Zufütterung an der Brust etwa mit einem Brusternährungsset nötig, weil sich das Baby durch die ineffektive Saugtechnik zunächst nicht genug Muttermilch direkt aus der Brust holt. Wie klein oder groß die aus einer Saugverwirrung resultierenden Probleme auch sein mögen, eine gute Stillberatung ist in dieser Zeit eine wichtige Unterstützung.
In seltenen Fällen habe ich das Auftreten einer Saugverwirrung auch bei Babys erlebt, die schon viele Wochen oder gar Monate problemlos und routiniert an der Brust getrunken haben. Hier haben sich die Mütter meist gemeldet, weil sie plötzlich Schmerzen an den Brustwarzen beim Stillen hatten. Wenn dies im zeitlichen Zusammenhang mit dem Einsatz eines Schnuller zu bringen ist und andere Ursachen ausgeschlossen sind, liegt auch hier meist eine klassische Saugverwirrung vor. Die lässt aber in der Regel schnell wieder beheben.
Darum ist es gut, wenn Mütter auch lange nach dem Wochenbett noch die Option haben, ihre Hebamme bei Still- oder Ernährungsschwierigkeiten kontaktieren zu können. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen hierbei die Kosten für bis zu acht Beratungen bis zum Ende der Stillzeit. Wann immer das auch sein mag.
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