Die GDL bestreikt die Bahn und erschwert auch mir in diesen Tagen das Leben, weil ich mehrere innerstädtische Orte mit öffentlichen Verkehrsmitteln nur schwer oder gar nicht erreichen kann. Ab heute streiken auch die Erzieher in den Kitas. Da wir in einer kleinen privaten Einrichtung sind, trifft uns das glücklicherweise nicht.
Am 5. Mai, dem internationalen Hebammentag, haben auch die Hebammen gestreikt. Zumindest ein bisschen. Teilweise haben Kolleginnen ihre Arbeit niedergelegt, aber richtig streiken können wir Hebammen ohne eine Gewerkschaft im Rücken ohnehin nicht. Außerdem muss im geburtshilflichen Bereich in der Klinik eine Notbesetzung erhalten bleiben und auch freiberuflich dürfen Behandlungsverträge nicht einfach gebrochen werden. Also beschränkt sich der Streik schon einmal nur auf die Bereiche Schwangeren- und Wochenbettbetreuung, Stillberatung und Kurse. Und was ist da schon ein Tag? Aber auch ich war wild entschlossen, zumindest symbolisch diesen einen Tag lang nicht zu arbeiten.
Doch dann wurde am Montagabend meine Wöchnerin mit ihrem zarten, zweieinhalb Kilo leichten Baby entlassen. Ihre Brust tat weh und das zunehmend gelber werdende Kind machte ihr große Sorgen, so dass ich am 5. Mai schon morgens um halb sieben den ersten Anruf von ihr bekam. Am dritten Wochenbetttag sorgen eben nicht nur der „Milcheinschuss“, sondern auch der hormonelle Abfall für eine meist etwas stressigere Wochenbettsituation.
Trotz aller Streikabsichten nicht hängen lassen
Und nun? Die Frau zum Kinderarzt schicken? Sie mit schmerzender Brust und zwickender Naht und einem kleinen Neugeborenen ins „verkeimte“ Wartezimmer setzen? Und bekommt sie dort wirklich eine adäquate Stillberatung? Oder sollte sie dafür nach dem Kinderarzt dann gleich zur Gynäkologin weiterfahren? Ich streike doch heute und auch zukünftig muss und wird es doch wahrscheinlich ohne Hebammen gehen…
Also bat ich den Vater bei der Beratungshotline seiner Krankenkasse anzurufen und die Lage zu schildern. Zunächst war man erstaunt über die Arbeitsniederlegung der Hebammen und dann war man überfordert ob der Probleme, die der junge Kindsvater schilderte. So wurde er zweimal weiterverbunden, um dann letztlich für die Stillprobleme Stillhütchen verordnet zu bekommen. Zusätzlich sollten die Eltern aber auf jeden Fall zum Arzt oder ins Krankenhaus fahren, denn am Telefon könnte man das ja alles nicht überblicken und lösen.
Natürlich habe ich die Familie trotz aller festen Streikabsichten nicht hängen lassen, sondern bin hingefahren. Ich habe mir das Baby angeschaut und gewogen und der Mutter bestätigt, dass alles in Ordnung ist. Ich habe Tränen getrocknet und bessere Anlegepositionen beim Stillen mit ihr gefunden. Ich habe zugehört, wie es ihr mit der Geburtserfahrung geht. Ich habe gefragt, geschaut und ertastet, ob die Rückbildung und die Heilung der Geburtsverletzung regulär verläuft. Ich habe die Eltern an die Wochenbettruhe erinnert und in ihrer elterlichen Kompetenz bestärkt. Ich habe halt einfach ganz normale Hebammenarbeit gemacht.
Keine Schauspielerin im Schwangerenkostüm
Also genau das, was zukünftig wegfallen wird, wenn sich die Versicherungssituation nicht ändert. Und so sehr mich der GDL-Streik nervt und ich die Verzweiflung von Eltern in bestreikten Kitas verstehe, ich sehe den richtigen Ansatz darin. Die Kitaeltern sollen und müssen sich zuhauf bei den kommunalen Trägern beschweren. Auch die Bahnkunden sollten ihren Unmut an entsprechende Stelle weitergeben, damit sich in dem Tarifkonflikt etwas bewegt. Und Streik sorgt eben dafür, dass es weh tut, damit sich etwas ändert.
Kitas brauchen Familien viele Jahre, die Bahn als Transportmittel ein Leben lang. Die Hebamme brauchen Familien nur für eine kurze, aber sehr wichtige Lebensphase. Deshalb interessiert es aber keinen, ob wir einen Tag oder vielleicht auch länger streiken. Auch wenn es zukünftig die Eltern von rund 680.0000 pro Jahr in Deutschland geborenen Kindern betreffen wird. Wenn man nicht gerade ein Kind erwartet oder geboren hat, ist das ganze Hebammenthema meist nicht relevant.
Wie ein „sinnvoller Streik“ der Hebammen aussehen kann, weiß ich an dieser Stelle auch nicht konkret. Doch es ist Zeit, über den Tellerrand zu schauen. Auf den Streik der französischen Hebammen, die sich auf Bahnschienen gekettet haben. Oder auf die Arbeitssituation der Hebammen in Schweden oder den Niederlanden. Oder auf aktuelle Empfehlungen aus England. In keinem Land ist alles gut in Sachen Geburtshilfe und Hebammenbetreuung. Doch wir brauchen neue Impulse, um vielleicht das weiter stetig bröckelnde Hebammensystem hier anders aufzubauen…
Auf alle Fälle ist es für mich eher kein gangbarer Weg, wenn wir uns als Störche verkleiden oder uns Kissen unter das T-Shirt stecken, um dann in Kleingruppen stöhnend im Kreis zu laufen. Diese Aktionen hinterlassen bei mir persönlich immer eher ein Fremdschämgefühl. Ich bin kein rotschnabeliges Tier, keine Hexe auf einem Besen, keine Ringelblumengärtnerin und auch keine Schauspielerin im Schwangerenkostüm. Ich bin Hebamme und möchte doch einfach nur unter annehmbaren Bedingungen meine Arbeit machen können.
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