Vielleicht dachtest du, genau wie ich, dass man dieses ganze Mutterding ein bisschen besser absehen oder sogar planen kann. Schließlich begleitest du seit Jahren souverän Paare und ihre Kinder auf dem Weg ins Elternleben. Du kennst die Ängste und Sorgen und meistens hast du eine Antwort oder zumindest ein paar tröstende Worte für die vielen Fragen und Sorgen der Eltern. Und du kennst die mehr oder weniger gute Geburtshilfe in der Klinik und hast dich bewusst für eine außerklinische Geburt entschieden. Oder dich zumindest früh genug um eine Beleghebamme im Wunschkrankenhaus gekümmert.
Du bestärkst die dir anvertrauten Schwangeren, ein gutes Bauchgefühl zu entwickeln, um dann selbst in der 13. Schwangerschaftswoche panisch die Herztöne mit dem Doptone zu suchen. Hoffentlich hast du eine Kollegin zur Seite, die dich in der Schwangerschaft immer wieder beruhigt, dass alles gut und normal ist, wie es ist.
Zumindest bist du auf die Geburt bestens vorbereitet, schließlich machst du das selbst seit Jahren in Geburtsvorbereitungskursen. Und du hast so viele Geburten in deinem Hebammenleben begleitet, dass du genau weißt, was förderlich ist für einen guten Geburtsverlauf. Du bist entschlossen und bereit, das alles umzusetzen. Du gehst vielleicht sogar mit einer großen Vorfreude in die Geburt.
Zwischen Gebärwanne und OP-Tisch
Vielleicht überraschen dich schon die ersten Wehen mit dieser Heftigkeit, mit der sie dich überrollen. Und du beginnst zu zweifeln, ob du das über lange Zeit aushalten wirst. Vielleicht veratmest du auch ganz souverän deine Wehen. Und dein Kind überrascht dich mit so ganz anderen Geburtsplänen, weil es eine Position einnimmt, die all deine Geburtspläne über Bord werfen. Vielleicht gehört es zu den Kindern, die zu früh auf die Welt kommen oder die so viel Stress haben, dass die Geburt mit einem Kaiserschnitt beendet wird. Die ganze Bandbreite an Geburtsverläufen, die du als Hebamme kennst, sie kann auch dich treffen.
Dein Gefühl hat dir aber wahrscheinlich vermittelt, dass alle deine Hebammenkolleginnen ihre Kinder lächelnd in der heimischen Badewanne herausgeatmet haben. Wo ist da ein Platz für die Periduralänästhesie, die du nach 15 Stunden doch angenommen hast? Oder den Wehentropf, dem du an einer Stelle der Geburt dann doch zugestimmt hast? Keine Hebamme sonst hat doch ihr Kind in Rückenlage geboren oder gar auf dem OP-Tisch!? Natürlich weißt du, dass das nicht stimmt. Aber irgendwie fühlt sich trotzdem genauso an.
Und während du im Wochenbett vielleicht langsam Abschied nimmst von deiner idealen Geburt und hoffentlich sehen kannst, dass du alles getan hast, was du konntest, hetzt schon der der kleine Stillteufel um die Ecke. Natürlich möchtest du stillen. Auch hier kennst du aus deiner Arbeit alle Hürden und auch die Lösungen dafür. Und nun sitzt du da mit diesem kleinen Menschen, der vielleicht nicht genug trinkt an einer Brust, die so schmerzt, dass dir bei jedem Anlegen die Tränen in die Augen schießen. Und deine Berufsehre verbietet es dir vielleicht, dich so konsequent um Hilfe zu bemühen, wie es nötig wäre. Schließlich bist du doch die Fachfrau.
Wenn der Plan nicht aufgeht…
Du bist diejenige, die weiß, wie man ein Baby trägt, wiegt oder auf sonstige Weise liebevoll beruhigt, wenn es untröstlich weint. Und jetzt läufst du hier seit Stunden auf und ab mit einem Kind, das so verzweifelt weint, dass es dir selbst die Tränen in die Augen treibt. Gedanklich hast du in der Zwischenzeit schon mehrmals den Notarzt angerufen, weil dir plötzlich sämtliche schlimme Diagnosen im Neugeborenenalter einfallen. Da funktionert es plötzlich wieder, das Hebammenhirn.
Du denkst an deine eigenen Worte zum Wochenbett und stellst fest, dass manche Tage so gar nichts mit Babyflitterwochen zu tun haben. Du fühlst dich einfach nur unendlich erschöpft und irgendwie inkompetent. Die Belastungen, die ein Baby für die Partnerschaft bedeutet, kennst du. Du hast das vorher alles mit deinem Mann besprochen. Und jetzt steht ihr hier trotzdem nachts um zwei im Flur und schreit euch an. Dabei solltet ihr euch mit dem Trösten des von Gebärmutterheimweh geplagten Babys abwechseln. Du kennst Schlafmangel nur zu gut aus deinem Job. Nie hättest du gedacht, dass dich der durchs Baby bedingte Schlafentzug so umhauen wird…
Aber: Jede Mutter macht bei ihrem ersten Kind ähnliche Erfahrungen. Nämlich die, dass Wunsch und Wirklichkeit oft ganz anders aussehen. Wenn man von Berufswegen mit Menschen in dieser besonderere Lebensphase arbeitet, fühlt man sich vielleicht ein bisschen besser gewappnet. Im Idealfall sind die Erwartungen nämlich etwas realistischer. Gleichzeitig ist aber oft der Perfektionsdruck um einiges höher, eben weil man scheinbar weiß, was „richtig“ ist. Und wenn dieser Plan dann nicht aufgeht, zweifelt man nicht nur an seinen mütterlichen Kompetenzen. Es stehen auch noch gleich an die fachlichen zur Disposition. Ich glaube, dass das viele Kolleginnen bestätigen können.
Taumelig und unsicher
Aber du bist auch weiterhin die kompetente Hebamme, die du schon vorher warst! Aber vor allem bist du jetzt gerade Mutter. Und für alle Mütter dieser Welt ist wohl eines nicht plan- und vorhersebar: Nämlich wie tief einen jeden Menschen sein Kind im Inneren berührt. Du wirst mit keinem der Kinder, die du als Hebamme begleitest, so mitleiden wie mit deinem eigenen Kind, wenn es ihm wirklich oder auch nur scheinbar nicht gut geht. Kein anderes Kind wird dich diese große Liebe, aber auch gleichzeitig enorme Verantwortung spüren lassen.
Es ist eine Verantwortung, die weit über berufliche Kompetenz und auch damit verbundene hohe Verantwortung hinaus geht. Auch wenn wir als Hebamme mit Familien oft viele steinige Wege mitgehen, kommt irgendwann der Punkt, wo diese Familie den Weg alleine weiter geht. Manche Geschichten lassen einen ein Hebammenleben lang nicht los. Aber das ist nicht ansatzweise mit jenen Sorgen vergleichbar, die du dir nun um dein eigenes Kind machst. Und jenen, die du dir in Zukunft machen wirst.
Und ja, auch du darfst dich von all dem überfordert fühlen und auch um Hilfe bitten. Genauso, wie du es all den Müttern immer sagst. Du darfst die gleichen Fragen stellen. Und ja, auch mehrfach, weil Müdigkeit und Stillen dich genauso vergesslich machen, wie die Wöchnerinnen in deinem Arbeitsleben.
Tröstend auf der Wochenbettkante
Du magst dich jetzt vielleicht taumelig und unsicher fühlen in deinen ersten Wochen als Mama. Aber du wirst spüren, dass auch du mit jedem Tag ein bisschen mehr in deine neue Rolle hinein findest. Auch du wirst vielleicht über deine jetzigen Sorgen in einem Jahr schmunzeln können. Aber jetzt darfst du auch weinen darüber. Was du gerade erlebst kannst du später als intensivste Fortbildung in deinem Hebammenleben mit in deinen Beruf einfließen lassen. Dann, wenn du wieder tröstend auf der Bettkante von jungen Müttern sitzt, die sich genauso weich und verletzlich erleben, wie du es gerade tust.
Vielleicht wirst du zukünftig noch ein bisschen mehr verstehen, warum die Frauen in dieser Zeit so stark und gleichzeitig so extrem verletzlich sind. Wichtig ist es aber, sich mit seiner eigenen Geschichte zu versöhnen oder das eigene Erleben nicht als Maß aller Dinge mit in die Arbeit zu nehmen. Sei deshalb jetzt genauso mitfühlend und geduldig mit dir und erwarte einfach nicht mehr von dir, nur weil du Hebamme bist. Und hoffentlich hast du eine Hebamme an deiner Wochenbettkante sitzen, die dir genau das jetzt immer wieder sagt…
Schreibe einen Kommentar