Ich bin großer Fan von Geburten und Wochenbetten in einem entspannten und geborgenen Umfeld. Meist fühlen wir uns ja zu Hause genau so. Nur ein kleiner Teil von Kindern wird noch zu Hause geboren. Es stellt sich also für die meisten Eltern die Frage, wann sie mit dem Kind aus der Klinik nach Hause kommen sollten.
Wenn Mutter und Kind wohlauf sind, die häusliche Versorgung gesichert ist und sich alle Beteiligten wohl damit fühlen, sind ambulante Geburten eine gute Option. Das heißt, dass die Eltern einige Stunden nach der Geburt mit dem Baby wieder nach Hause fahren – oft also direkt aus dem Kreißsaal. Eine Hebamme, die zeitnah und eventuell auch zweimal am Tag vorbeikommt sowie ein Kinderarzt, der die U2 möglichst ebenfalls zu Hause macht, sind wichtige Vorraussetzungen dafür.
Frühe Entlassungen sind also generell eine gute Idee, wenn es den Müttern und Babys gut geht. Einer Frau, die ihr Baby durch einen Kaiserschnitt geboren hat, geht es aber meist wenige Stunden und Tage nach der Geburt noch nicht so gut. Denn ein Kaiserschnitt ist eine große Bauch-OP. Und trotz aller blumigen Versprechen vom „sanften Kaiserschnitt“, bei dem die Gewebeschichten „nur“ gerissen und nicht geschnitten werden, ist und bleibt es ein großer Eingriff.
Und es bleibt eine große Wunde, die zum Heilen erst einmal vor allem Ruhe und Zeit braucht. Jede Bewegung, die die Bauchmuskulatur einbezieht, ist zunächst schmerzhaft und schränkt die Beweglichkeit entsprechend ein. Selbst Husten und Niesen sind oft sehr unangenehm. Das Bedürfnis nach möglichst wenig Belastung ist also sehr nachvollziehbar. Da aber auch Frauen nach einem Kaiserschnitt ihre Babys versorgen möchten und sollen, ist das gar nicht immer so leicht zu vereinbaren. Kaum ein Patient würde sich nach einer vergleichbar viel „harmloseren“ OP wie etwa der Entfernung des Blinddarmes so viel Anstrengung unterziehen, wie es Mütter nach einem Kaiserschnitt tun.
Immer frühere Entlassung aus der Klinik
Auch in der Klinik ist nicht nur reine Erholung möglich. Aber zumindest theoretisch gibt es dort rund um die Uhr Personal, das unterstützen kann. Und das hoffentlich auch eine entsprechend angepasste Schmerzmedikation für die frisch operierte Wöchnerin ermöglicht. Am stressfreiesten ist es meist, wenn der Vater nach der Geburt in einem Familienzimmer mit im Krankenhaus bleiben kann. Denn das Pflegepersonal ist natürlich je nach Belegungszustand der Wochenbettstation mehr oder weniger präsent.
Doch seit einiger Zeit scheint es den Trend zu geben, die Kaiserschnittmütter stetig früher zu entlassen. Und das nicht etwa, weil die Frauen immer drängeln würden, möglichst schnell nach Hause zu kommen. So rief mich eine Wöchnerin zwei Tage nach dem Kaiserschnitt an, weil sie sich fast ein bisschen „rausgeschmissen“ fühlte. Da es nicht ihre erste Geburt auf diesem Wege war, konnte sie die Schmerzen und den Verlauf recht gut und realistisch einschätzen. Schon der Weg nach Hause inklusive Fahrt im Auto und Treppensteigen in den fünften Stock erschienen ihr nicht besonders verlockend.
Die Tendenz, Patienten nach Operationen immer früher zu entlassen, gibt es seit Einführung der DRG (Diagnosis related Groups). Dieses Fallpauschalensystem vergütet Operationen oder medizinische Behandlungen auf Basis der dafür ermittelten durchschnittlichen Kosten. Im Falle eines unkomplizierten Kaiserschnittes werden rund 2900 Euro vergütet. Dabei wird von einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer in der Klinik von 5,4 Tagen ausgegangen. Dies ist eine Mischkalkulation, weil manche Patienten früher oder eben später das Krankenhaus verlassen. Finanziell interessant wird es für die Klinik natürlich dann, wenn Patienten möglichst früh nach Hause gehen. Und damit weniger Personal und Material in Anspruch nehmen.
Frisch operiert ein Baby versorgen
So werden frisch operierte Menschen gefühlt direkt vom OP-Tisch ins häusliche Umfeld entlassen, sei es nach der Operation des Leistenbruchs oder der Entfernung der Gallenblase. Der Begriff „blutige Entlassung“ beschreibt das Problem recht gut. Denn zu diesem Zeitpunkt befinden sich die Patienten noch in der ganz frühen Phase ihrer Wundheilung. Entsprechend groß sind häufig die Schmerzen und oft entsprechend gering das allgemeine Wohlbefinden.
Bei Frauen nach einem Kaiserschnitt kommt allerdings noch hinzu, dass es das Baby zu versorgen gilt. Oder dass sie vielleicht genau am Entlassungstag sehr stark mit dem Ingangkommen der Milchproduktion zu tun haben. Was natürlich eine zusätzliche körperliche Belastung ist. Manche Kliniken erreichen eine gute postoperative Schmerzlinderung nach dem Kaiserschnitt mittels entsprechender Infusionen.
Erst bei der Umstellung auf orale Medikamente – meist Ibuprofen oder Paracetamol-Tabletten – merken die Patientinnen, wie schmerzempfindlich der Wundbereich tatsächlich noch ist. Oft wird auch nicht auf die Lebenssituation der Wöchnerin zu Hause geachtet. So erzählte eine Kollegin von der sehr jungen, alleinerziehenden Mutter, die zu Hause noch ein Kleinkind zu versorgen hatte. Sie wurde keine 48 Stunden nach dem Kaiserschnitt entlassen.
Interventionen und Komplikationen sind lukrativ
Bei einer gut organisierten Rundumversorgung kann natürlich auch das häusliche Umfeld ein guter Platz für die Erholung in den allerersten Tagen sein. Es gilt aber zu schauen, ob das wirklich der Fall ist, anstatt die Frauen nach so kurzer Zeit einfach „rauszuschmeißen“. Ich erlebe Wundheilungsstörungen der Kaiserschnittnarbe häufiger im Kontext mit einer sehr frühen Klinikentlassung. Ja, das eigene Zuhause ist der beste Platz für ein entspanntes Wochenbett – wenn die Bedingungen stimmen. Auch ein Krankenhaus ist eigentlich ein guter Ort für Heilung und Genesung – wenn die Bedingungen stimmen.
Die Rahmenbedingungen unsere Gesundheitssystems geben dem aber keinen Raum. Hier geht es immer mehr darum, mit möglichst wenig zeitlichem und personellem Aufwand möglichst viel Geld zu verdienen. Ein Kaiserschnitt, bei dem die Mutter keine 48 Stunden später die Klinik wieder verlässt, ist nun mal schlicht betriebswirtschaftlich lukrativer. Schließlich muss der Kaiserschnitt ja auch die finanziell unattraktive, aber oft zeitaufwändige Spontangeburt querfinazieren. Für die gibt es nämlich durchschnittlich nur 1500 Euro.
Allerdings ist es auch nicht sinnvoll, die Mütter nach der Spontangeburt zu früh – also innerhalb von sechs Stunden postpartum – nach Hause gehen zu lassen. Denn dann darf nur die geringer ausfallende Fallpauschale für eine ambulante Geburt abgerechnet werden. Irgendeine Begründung für den verlängerten Aufenthalt lässt sich zum Glück immer finden…
Das Fazit: Komplikationsreiche und operative Geburten mit allerdings möglichst kurzer, aber auch nicht zu kurzer Verweildauer sind wesentlich lukrativer als unkomplizierte Spontangeburten. Und auch wenn der Klinikchef nicht mit im Kreißsaal steht, kommt der Druck von oben, gewinnbringend zu arbeiten, genau dort bei den Gebärenden an.
Ohne Hebamme nach der Frühentlassung
Nun kann man denken und hoffen, dass die Hebammenbetreuung im häuslichen Wochenbett ein bisschen die Probleme der Frühentlassung abfedert. Durchaus kann man zum Teil mit mehreren Hausbesuchen am Tag dafür sorgen, zumindest manche Komplikation früh genug zu erkennen. Der Gang zum Arzt oder in die Ambulanz mit entsprechender Wartezeit und einem Neugeborenen im Gepäck wird es nicht verhindern, wenn die Wunde sich entzündet oder der Blutdruck entgleist. Auch die Stillberatung ist zu Hause oft „besser“ machbar, da nicht eine Schwester oder Stillberaterin für 25 Frauen zuständig ist.
Da aber der Wochenbettbesuch auch pauschal und nicht zeitlich gewichtet bezahlt wird, sind die Hebammen, die sich Zeit dafür nehmen, am Ende auch die Dummen, die das geringste Einkommen haben. Schließlich könnte man in der Zeit auch zwei oder drei Hausbesuche schaffen und entsprechend abrechnen. Die Krankenkassen gehen von einem circa 20-minütigen Wochenbettbesuch zuzüglich Fahrtzeit und Dokumentation aus und vergüten entsprechend. Mit der Realität hat diese „Zeitvorgabe“ leider gar nichts zu tun. Hinzu kommt, dass längst nicht mehr alle Frauen eine Hebamme finden. Ich habe die 42. Betreuungsanfrage in diesem Monat abgesagt, weil ich keinerlei Kapazitäten mehr habe. Und weil es meinen Kolleginnen genauso geht, kann ich nicht einmal mehr jemanden empfehlen.
Es ist mehr als absurd, dass Mütter immer früher nach Hause entlassen werden, während parallel die häusliche Versorgung mehr und mehr bröckelt. Und auch wenn eine Geburt keine Krankheit ist, sind Kaiserschnitte oder auch größere Geburtsverletzungen Eingriffe, die entsprechend Ruhe und Schonung brauchen, um gut und komplikationsfrei zu heilen. Eine gute Schmerzlinderung dabei sollte nicht dazu dienen, dass die Mütter nach zwei Tagen wieder in den fünften Stock im Altbau hinaufrennen können und den Haushalt schmeißen, sondern dass sie sich aufs Baby genießen und Stillen einlassen können. Denn auch durch die Geburt verletzte Frauen sind Mütter im Wochenbett.
Und wenn diese Mütter zusätzlich belastet werden – durch was auch immer – wird diese sensible und eigentlich schöne Anfangsphase der Familienbildung empfindlich gestört. Mütter brauchen in dieser Zeit einfühlsame Unterstützung und das Gefühl der Geborgenheit. Dies sind die besten Bedingungen, damit sie genau das an ihre gerade auf der Welt angekommenen Babys weiter geben können. Aber das lässt sich ja leider nicht in eine Fallpauschale drücken und abrechnen…
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