Als ich vor über 15 Jahren meine Hebammenausbildung machte, gab es noch wesentlich mehr geburthilfliche Kliniken in Deutschland. Und so gab es auch durchaus mal ruhige Kreißsaaldienste, in denen man sich mehr oder weniger absurden Nebenarbeiten widmete. Eine davon war das Aussortieren von Schnullern aus den Geschenkboxen, die nach der Geburt an die Mütter verteilt wurden. Meine Lehrklinik war eine der ersten babyfreundlichen Kliniken in Deutschland, die damals noch „Stillfreundliches Krankenhaus“ hießen. Punkt Neun der zehn Schritte zum „Babyfreundlichen Krankenhaus“ hieß: „Gestillten Kindern keine künstlichen Sauger geben.“
Also mussten diese raus aus den Geschenkboxen. Ebenso wie sämtliche Broschüren, Karten oder Werbegeschenke, auf denen Säuglinge mit Schnuller abgebildet waren. Man kann sich also vorstellen, dass da bis auf eine paar Babyölpröbchen und Feuchttücherpäckchen nicht mehr viel übrig blieb. Es gilt bis heute: Wenn man sich Glückwunschkarten, Babybücher oder auch Baby-Blogs anschaut, sind Schnuller oder Fläschchen DAS Symbol fürs Baby. Auch Wickelecken, ja selbst Stillräume, werden mit diesem Symbol gekennzeichnet.
Aber was ist denn jetzt eigentlich das große Problem, dass die babyfreundlichen Krankenhäuser, die Stillberaterinnen und auch die Hebammen mit dem künstlichen Sauger haben? Schließlich haben doch alle Babys ein Saugbedürfnis. Oft sogar eins, das über das reine Bedürfnis der Nahrungsaufnahme hinaus geht. Stillende Mütter kennen das Gefühl, dass sie von 24 Stunden mindestens 22 Stunden nur gestillt haben. Muss da jede stillende Mutter durch, weil ihr die Experten die Entlastung durch den Schnuller nicht gönnen?
Keine Abrechnung mit dem „bösen Schnuller“
Auch ich denke, dass ein gestilltes Baby in den meisten Fällen keinen künstlichen Sauger braucht. Aber manchmal brauchen die Eltern diesen. Denn die Mutter kann eben nicht 24 Stunden am Tag dem Saugbedürfnis ihres Babys zur Verfügung stehen. Oder sie will nicht – und muss natürlich auch nicht. Und ja, das ist okay. Nicht jedes Kind ist mit seinem Daumen, einem Seidenpüppchen oder einfach gar keinem Saugersatz zufrieden, wenn Mama nicht verfügbar ist – sei es aus gesundheitlichen, aus beruflichen oder einfach aus ganz persönlichen Gründen. Auch wenn ich selbst die Stillzeiten meiner Kinder genossen habe bzw. noch immer genieße, weiß ich doch, dass das nicht für alle Mütter gilt.
Zudem gibt es natürlich Situationen, in denen der Schnuller mehr als berechtigt ist. Dazu gehören die Frühgeborenenbetreuung, eventuell auch eine „unbehandelte Muttermilchüberproduktion“ (Hyperlactation). Hierbei wird bei jedem Stillen viel zu viel Muttermilch bereit gestellt. Ein non-nutritives Saugen ist fürs Baby eigentlich nicht möglich, ohne gleichzeitig „viel zu große Mengen von Muttermilch trinken zu müssen“. Und nicht gestillte Kinder haben häufig auch ein Saugbedürfnis, das über die reinen Mahlzeiten hinaus geht.
Also wird dieser Artikel keine Abrechnung mit dem „bösen Schnuller“ sein, der den Anwendern mit Zahnfehlstellungen, logopädischen Problemen, erhöhter Infektanfälligkeit, späteren Risiken der Suchtgefahr oder gar der Intelligenzminderung droht. Denn die Eltern, die sich für einen Schnuller entscheiden, lassen sich auch von den harten Fakten der Stillberaterin nicht abschrecken. Es gibt aber sicherlich – wie bei allen Dingen im Leben – vor jeglicher Anwendung ein paar Dinge zu bedenken:
Warum sollte in den ersten Wochen kein Schnuller gegeben werden?
Baby kommen bestens ausgestattet mit schon einem im Bauch am eigenen Daumen trainierten Saugreflex zur Welt. Das Saugbedürfnis und die Umstellung von der Dauerversorgung über die Plazenta auf die Ernährung über den Magen-Darm-Trakt sorgen dafür, dass Neugeborene schon kurz nach der Geburt selbst aktiv nach der Brust suchen und mit dem Stillen beginnen.
Durch den Saugimpuls wird Prolaktin ausgeschüttet. Dieses Hormon sorgt für die Milchbildung. Das zweite wichtige Hormon im Stillgeschäft ist das Oxytocin. Es löst nicht nur Wehen aus, sondern auch den Milchspendereflex, der die gebildete Milch fließen lässt. Und je mehr ein Baby saugt, desto mehr Hormone und Milch fließen. Aber das gilt natürlich nur für das Saugen an der Brust – und nicht am Schnuller. Das ist mit der Hauptgrund, weshalb in den ersten Wochen, in denen sich die Milchbildung ja erst mal auf die tatsächlich vom Baby benötigte Menge einpegeln muss, ein Schnuller kontraproduktiv ist.
Der zweite wichtige Punkt: Das Baby an der Brust muss erst mal eine gute Stilltechnik etablieren. Und gut heißt, dass Mund und Zunge so positioniert sind, dass die Mütter dabei keine Schmerzen an der Brustwarze haben.
Saugbedürfnis besser an der Brust stillen
Das Saugen am Schnuller, aber auch an den künstlichen Flaschensaugern unterscheidet sich eklatant vom Saugen an der Brust. Auch wenn die oft zitierte „Saugverwirrung“ bisher nur wissenschaftlich beschrieben ist, wissen alle in der Stillberatung tätigen Personen, dass sich manche Neugeborene auch von einem nur sehr kurzen Saugergebrauch stark irritieren lassen. Andere Kinder indes wechseln problemlos zwischen den verschiedenen Optionen hin und her.
Leider sind die Kinder aber nicht entsprechend beschriftet. Also ist es sinnvoll, wenn alle gestillten Babys in der Still-Lernphase, also den ersten vier bis sechs Wochen, nicht mit künstlichen Saugern konfrontiert werden. Daher rührt auch das eingangs erwähnte Saugerverbannen in den babyfreundlichen Krankenhäusern. Sollte aus medizinischen Gründen eine Zufütterung nötig sein, gibt es auch dafür Optionen. Dazu gehören Becherfütterung oder das Brusternährungsset, die nicht zu Irritationen im Saugverhalten führen.
Bei anhaltenden Stillproblemen wie wunden Brustwarzen sollte der Schnuller wirklich erst wieder zum Einsatz kommen, wenn alles reibungslos funktioniert. In der Praxis sind mir auch schon Kinder begegnet, die nach vielen Wochen erstmalig den Schnuller bekamen und sich trotzdem plötzlich Stillprobleme ergaben. Dann sollte zunächst weiterhin auf Beruhigungssauger verzichtet werden. Ebenso wie bei nicht ganz optimal gedeihenden Kindern. Diese sollten möglichst jedes Saugbedürfnis an der Brust stillen dürfen. So wird die Milchproduktion gut angeregt und sie „schnullern“ sich nicht über die frühen Hungerzeichen hinweg. Doch wie bei allen Problemen in der Stillzeit kann ich an dieser Stelle nur darauf verweisen, kompetente Hilfe zu holen, um ein unbeabsichtigtes Abstillen zu verhindern.
Welcher Schnuller und in welcher Dosierung ?
Wenn sich nun aber alles eingespielt hat und Eltern eine Schnullergabe wünschen, stellt sich immer noch die große Frage, welches Modell es denn nun sein soll. Das Überangebot in der Drogerie gibt keine schlüssige Antwort. Jeder Hersteller preist sein Produkt als das Beste an. Es gilt: Der Schnuller sollte möglichst weich und flexibel sein. Im Zahn- und Lippenbereich muss er einen möglichst kleinen Durchmesser haben. So wird ein besserer Mundschluss erreicht. Bei sehr großen und „sperrigen“ Modellen führt der offenere Mund zu einer erschwerten Mundatmung. Das erhöht die Infektanfälligkeit.
Eine flache und symetrische Form mit einem geraden Lippenschild ist den so genannten „kiefergerechten“ Modellen vorzuziehen. Ein Vorteil ist auch, dass es bei diesen Schnullern keine Ober- und Unterseite gibt. Der Schnuller sollte von den Lippen gehalten werden, damit diese Funktion nicht von der Zunge übernommen wird. Es ist keinesfalls nötig, für größere Babys auch größere Schnuller zu kaufen. Die Brustwarze vergrößert sich ja auch nicht mit dem Alter des Kindes. Damit der Halteapparat im Mund nicht überstrapaziert wird, sollte der Schnuller möglichst leicht sein. Er sollte nicht mit einer schweren Schnullerkette verknüpft sein, die einen zusätzlichen Zug auf den Kiefer ausübt. Latex ist meist weicher als Silikon. Und auf jeden Fall sollte der Sauger als „Bisphenol A-frei“ gekennzeichnet sein.
Den Schnuller in Honig, süße Säfte oder gar in Alkohol zu tauchen, ist absolut nicht empfehlenswert. Das Ablecken eines heruntergefallenen Schnullers durch die Eltern mag vielleicht im Sinne der Allergieprophylaxe sogar sinnvoll sein. Allerdings sollten Eltern sicherheitshalber vorhandene Karies beim Zahnarzt vorab behandeln lassen. Es ist noch unklar, wie weit durch den Speichelkontakt und der damit gegebenenfalls übertragenen Kariesbakterien das Kariesrisiko des Kindes erhöht wird.
Bei einer Herpesinfektion im Lippenbereich muss penibel darauf geachtet werden, dass es keinen Kontakt mit diesen zum Kind gibt. Dazu gehört auch das Vermeiden des Küssens. Säuglinge können durch Herpesviren aufgrund ihres unausgereiften Immunsystems sehr schwer erkranken. Generell wird empfohlen den Schnuller vor dem ersten Gebrauch und dann in regelmäßigen Abständen mindestens fünf Minuten lang auszukochen bzw. zu sterilisieren. Zwischendurch kann er unter fließendem Wasser gereinigt werden. Außerdem sollte regelmäßig geprüft werden, ob der Sauger irgendwo kaputt ist. Das kann beim intensiven Kontakt mit Babyzähnen vorkommen. Die Nutzungsdauer für intakte Schnuller sollte aus hygienischen Gründen nicht länger als rund zwei Monate sein.
Wann und wie lange kommt der Schnuller zum Einsatz ?
Der dauerhafte Schnullergebrauch hat definitiv einige Nachteile. Wie bei vielen Dingen macht auch hier die Dosis das Gift bzw. die Kieferfehlstellung. An dieser Stelle werden sicher Menschen einwerfen, dass ihnen jahrelanges Dauernuckeln weder geschadet hat, noch dass sie jemals im Leben zum Kieferorthopäden oder Logopäden mussten. Aber die Gefahr ist halt doch zumindest verstärkt gegeben, wenn ein Schnuller sehr viel im Einsatz ist.
Ich persönlich gebe deshalb am liebsten die Empfehlung der Ärztin und Stillberaterin IBCLC Gudrun von der Ohe weiter. Sie empfiehlt, den Schnuller so sorgsam wie ein Medikament einzusetzen. Das heißt, es muss eine Indikation vorhanden sein. Also zum Beispiel eine Situation, in der die Beruhigung an der Brust oder auf andere Art nicht möglich ist.
Außerdem ist es wichtig, die Beruhigung durch den Schnuller möglichst mit Körperkontakt zu kombinieren. Beim Stillen ist dies automatisch der Fall. Wenn dem Kind beim Saugen Nähe gegeben wird, fühlt es sich in seinem Kummer begleitet und nicht etwa „zugestöpselt“. Vorab ist sicherzustellen, dass es sich nicht um ein Bedürfnis nach Nahrung handelt. Der Blick auf die Uhr ist dabei nicht entscheidend, denn in Wachstumsphasen wird sich der Stillrhythmus immer wieder verändern.
Schnuller beim Drehen, Krabbeln und Rennen nicht sinnvoll
Dann sollte die Dosierung stimmen, also der Einsatz auf eine bestimmte Zeit begrenzt sein. Beim älteren Baby oder Kleinkind kann man sich auch gut daran orientieren, wann und wie lange in dieser Situation alternativ gestillt werden würde. So wird schnell deutlich, dass das nicht bei Aktivität des Babys auf der Krabbeldecke oder dem Erkunden des Spielplatzes der Fall ist. In diesen Situationen ist der Schnullereinsatz eher kontraproduktiv. Zum einem kann er die Kommunikation zwischen Eltern und Kind behindern. Außerdem ist in diesen Momenten ja nicht das körperliche Bedürfnis nach Beruhigung und Entspannung sondern nach Aktivität vorhanden. Da die Gesichtsmuskulatur immer im Zusammenspiel mit dem ganzen Körper agiert, ist der Schnullereinsatz beim Drehen, Krabbeln und über den Spielplatz rennen nicht sinnvoll.
So wird es auch wesentlich leichter sein, den Schnuller später abzugewöhnen, als wenn er den ganzen Tag im Dauereinsatz ist. Die Empfehlungen gehen dahin, den Schnuller spätestens im zweiten Lebensjahr abzugewöhnen. Doch auch da sieht die Realität manchmal anders aus.
Entscheidend für negative Auswirkungen des Schnullergebrauchs ist in jedem Alter sicherlich die Anwendungsdauer. Je nach Einsatz reicht sie von wenigen Minuten am Tag bis hin zu stundenlangem Dauergebrauch. Über mögliche Konsequenzen sollten Eltern also sachlich informiert werden, ohne dabei den Schnuller als Teufelszeug zu verdammen. Und manchmal ist es auch die Entscheidung des Kindes, den Schnuller gar nicht erst zu akzeptieren. Auch das müssen Eltern dann akzeptieren. Wie so manches übrigens, was man sich ganz anders vorgestellt hatte, bevor das Baby da war…
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