Als ich auf dem Weg zum Hausbesuch zu einer Schwangeren war, fiel mir auf, dass ich schon seit Ewigkeiten unterwegs keine Kolleginnen mehr treffe. Natürlich sehe ich meine Vertretungskolleginnen regelmäßig. Aber einfach so auf der Straße begegne ich kaum noch Hebammen. Klar, sind diese nicht alle beschriftet. Aber in der Regel sind es die typische Hebammentasche oder das „Hebamme im Einsatz“- Schild an Auto oder Fahrrad, die den Beruf verraten.
Außerdem kenne ich viele Hebammengesichter aus Fortbildungen und von ähnlichen Veranstaltungen. Da wir Hebammen ja recht viel unterwegs für die Hausbesuche sind, läuft man sich eigentlich immer mal über den Weg – gerade in einer Gegend wie Prenzlauer Berg, in der es nun mal viele Schwangere und Babys gibt. Aber seit geraumer Zeit passiert das irgendwie nicht mehr…
Während man über die ausbleibenden Begegnungen auf der Straße ja noch mutmaßen könnte, dass das zufällig so sei, sprechen andere Sachverhalte ganz konkret dafür, dass das „Hebammensterben“ schon längst in vollem Gange ist. Allein in meinem direkten Umfeld fallen mir spontan mindestens sieben Kolleginnen ein, die unmittelbar aufgehört haben, als Hebamme zu arbeiten oder dies bis Jahresende geplant haben.
Hebammensuche schon vor der Empfängnis
Sämtliche Hebammenpraxen und Geburtshäuser suchen permanent und Hände ringend nach neuen Kolleginnen. In den Kreißsäalen der Kliniken sieht es oft nicht anders aus. Und das mittlerweile nicht mehr nur dann, wenn jemand aus dem Team wegen Schwangerschaft oder gar nicht so selten auch wegen eines Burnouts ausfällt. Viele Hebammen hören einfach ganz auf, studieren etwas anderes oder kehren in ihre vorherigen Berufe zurück. Selbst in dem Café, in dem wir gerne unsere Teamtreffen machen, steht nun eine ehemalige Hebamme hinter der Bar. Mit diesem Job kann sie nach eigener Aussage wesentlich einfacher und stressfreier ihr Studium finanzieren, erzählte sie. Und das, obwohl man im Gastronomiebereich sicherlich auch nicht überbezahlt wird.
Und dann sind da die Anfragen der Frauen. Mittlerweile wissen viele, dass man sich recht früh um eine Hebamme kümmern muss und das nicht nur, wenn man eine außerklinische Geburt plant oder eine Beleghebamme sucht. Doch häufig ist man auch jenseits der zwölften Schwangerschaftswoche schon zu spät dran. Wie oft steht mittlerweile in den Anfragen so etwas wie „Suche verzweifelt…“ oder „Habe schon über zehn Hebammen erfolglos angeschrieben…“
Kürzlich bekam ich sogar die Anfrage einer Frau, die ein weiteres Kind plant und davon ausging, recht bald wieder schwanger zu sein, dann aber keine Hebamme mehr zu finden. Und ich konnte ihr tatsächlich nicht sagen, ob überhaupt jemand und wer sie dann eventuell betreuen könne. Ich überlege ja selbst gerade, ob ich mir eine erneute Erhöhung der Berufshaftpflichtversicherungskosten um weitere 20 Prozent im nächsten Sommer noch leisten kann und will. Auch ohne Geburtshilfe wird die Versicherung „alleine“ für Schwangeren- und Wochenbettbetreuung langsam nicht mehr tragbar. Oder nur noch, wenn man die Tätigkeit in Vollzeit (was bei Hebammen oft eine 60-Stunden-Woche bedeutet) ausübt, was aber nicht für jede Hebamme aus unterschiedlichen Gründen ein gangbarer Weg ist.
Selbstsubventionierung
Mein persönliches Beispiel ist nur eines von vielen: Da ich viel im Bereich Fort- und Weiterbildung arbeite und auch das Schreiben natürlich Zeit braucht, vor allem aber unsere drei Kinder – ist Vollzeit-Hebamme keine Option für mich. Als selbständige Still-und Laktationsberaterin IBCLC, eine meiner weiteren beruflichen Qualifikationen, könnte ich mich für einen Bruchteil der Hebammenversicherungskosten ausreichend versichern lassen. Gleichzeitig wäre ich nicht auf die unzureichende Vergütung der Krankenkassen angewiesen.
Warum mache ich das also alles noch? Die Frage stelle ich mir genau wie viele Kolleginnen immer häufiger. Insgeheim beneide ich die aufhörenden Kolleginnen ein bisschen um ihre Klarheit, denn ich habe sie für mich noch nicht gefunden. Aber irgendwie will ich auch nicht weiter meine eigentliche Hebammenarbeit durch andere Tätigkeiten mitfinanzieren. Diese Selbstsubventionierung fühlt sich einfach falsch an. Die Hebammenarbeit hingegen fühlt sich so richtig an. Und ja, ich bin Hebamme. Nein, ich bin nicht hauptberuflich Bloggerin, Autorin oder Fortbildungsreferentin, auch wenn das manchmal irgendwo steht und auch wenn ich das alles ebenfalls sehr gerne mache. Ich möchte es aber nicht stattdessen tun und irgendwie habe ich immer mehr das Gefühl, mich entscheiden zu müssen. Genau wie die vielen Kolleginnen, die aufhören. Oder auch die wenigen, die ganz überraschend den komplett anderen Weg gehen und trotz aller Widrigkeiten neue Hebammenpraxen gründen oder einen Vertrag als Beleghebamme in einer Klinik unterschreiben. Die, die auch einfach nur weiterhin Hebamme sein wollen!
Kreißsaal wegen Überfüllung geschlossen
Und ja, auch ich denke sogar gerade darüber nach, wieder in den Klinikkreißsaal zurückzukehren – zumindest für ein paar Dienste im Monat. Bin ich eigentlich verrückt? Ich höre doch täglich von meinen Kolleginnen dort, dass sie längst am Limit arbeiten. Ständig müssen Überlastungsanzeigen ausgefüllt werden müssen, weil keine sichere Versorgung der Frauen mehr gewährleistet ist.
Die Beschäftigten sind nach §§ 15 und 16 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) verpflichtet, festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für Sicherheit und Gesundheit ihrer selbst und der Patienten dem zuständigen Vorgesetzten zu melden.
Die geburtenstärksten und größten Kliniken hier in Berlin müssen mittlerweile Schwangere an der Kreißsaaltür abweisen, weil wegen Überfüllung in Kombination mit Personalmangel sich nicht mehr um die Gebärenden gekümmert werden kann. Die Überstundenkonten sind prall gefüllt. Ich höre täglich die Geschichten der Frauen, die „Opfer“ der fehlenden Betreuung werden. Will man sich das wirklich antun? Oder vielleicht gerade jetzt? Denn Fakt ist: Irgendwas muss sich ändern. Und das eher heute als morgen. Wenn dann aber alle Hebammen bereits das Handtuch geschmissen haben…
Lösungen, die keine sind
Ich bin müde, die verfahrene Situation immer wieder erklären zu müssen. Denen, die denken, dass es nur um Hausgeburten geht. Oder dass es doch in der Klinik auf jeden Fall sicher ist. Nein, ohne bzw. mit völlig überlastetem Personal ist es das nicht. Ich mag nicht mehr erklären, dass die in der Presse „gefeierten Lösungen“ keine Lösungen sind. Ich mag nicht mehr mit Krankenkassenmitarbeitern diskutieren, die zum Teil willkürlich Rechnungen um ein paar Cent kürzen, weil irgendwo auf dem Dokumentationsblatt ein Punkt im Datum vergessen wurde. Noch mehr Auflagen will ich auch nicht bekommen. Zeug, dass einfach nur mehr Papierkram bedeutet, aber sonst überhaupt nichts mit Qualitätssicherung zu tun hat.
Ich will nicht mehr kämpfen, sondern möchte „einfach nur“ als Hebamme Familien in dieser besonderen Lebensphase ihren Bedürfnissen entsprechend begleiten.
Ich weiß, dass es auch außerhalb der Hebammenbetreuung viele gute Beratungs- und Unterstützungsangebote gibt. In der Praxis würde es aber auch bedeuten, dass die Familien von diversen Menschen begleitet werden und bei medizinischen Fragen dann sofort und immer den Arzt aufsuchen werden. Darum werden diese Angebote die Hebammen langfristig nicht ersetzen können. Zudem sind diese in der Regel nur für besser informierte und auch finanziell besser gestellte Familien finanzierbar. Was ist mit den Familien, die sich das Zukaufen von Hilfe nicht leisten können, wenn es gar keine Hebammen mehr gibt? Was nützt die Familienhebamme auf dem Papier, wenn es sich in der Praxis keine Kollegin mehr leisten kann, diese in der Regel noch zeitintensivere Arbeit zu leisten? Eine Betreuung vor, während und nach der Geburt muss weiterhin allen Frauen zugänglich und nicht vom Kontostand abhängig sein.
Spontangeburten lohnen sich nicht
Ich möchte auch nicht weiter zusehen, wie Frauen traumatisiert aus Geburten hervorgehen, weil das wirtschaftliche Denken einer Klinik eine einfühlsame, sichere und gute Betreuung verhindert. Denn es gilt: Interventionsarme und unkomplizierte Spontangeburten lohnen sich nicht, wenn man die Geburtshilfe aus Sicht des Klinikbuchhalters betrachtet. Gesunde Mütter und gesunde Kinder bringen nun mal kaum Geld in die Klinikkasse.
Ich möchte nicht mehr ständig Stillprobleme lösen, die daraus resultieren, dass keiner Zeit für eine gute Stillbegleitung in den ersten Tagen hatte. Ich möchte nicht mehr und mehr Kolleginnen dabei zusehen, wie sie unaufhaltsam aufgrund permanenter Überlastung ins Burnout rutschen und oft selbst traumatisiert aus vielen geburtshilflichen Situationen herausgehen müssen, ohne sich die eigentlich dann dringend nötige Supervision leisten zu können – zeitlich und finanziell.
Vielleicht also doch besser Bloggerin, Autorin oder Referentin?
Trotz allem mich bisweilen überkommenden Pessimismus bin ich sicher, dass sich doch absehbar etwas ändern wird. Ab Juli 2015 haben die Kolleginnen des kleineren der beiden Hebammenberufssverbände dort gar keine Versicherungsoption mehr. Natürlich wäre noch ein Wechsel in den größeren Berufsverband möglich, der zumindest bis Sommer 2016 eine Versicherungsoption anbietet – mit erneuter 20-prozentiger Erhöhung. Doch wie demokratisch ist es, wenn ich mir aufgrund fehlender Versicherungsangebote nicht mehr aussuchen kann, in welchem Berufsverband ich Mitglied sein möchte? Nur noch mal zur Erinnerung: der Hebammenberuf ist ein staatlich examinierter und damit anerkannter Beruf. Die Hebammenbetreuung gehört zum regulären Leistungsangebot für gesetzlich Krankenversicherte. Nur, dass halt bald niemand mehr da ist, der diese Leistung noch anbieten wird.
Ständige Zitterpartie…
Auch die Hebammenschulen merken längst, dass die einst extrem hohen Bewerberzahlen drastisch zurückgehen. Im Studiengang „Hebammenkunde“, den meine Freundin Luise gerade absolviert, haben bereits im ersten Jahr ein Fünftel der angehenden Hebammen wieder aufgegeben. Und auch ich würde als Mutter meinen Töchtern diesen Beruf, den ich von Herzen liebe, nicht mehr empfehlen. Doch wenn es keinen Hebammennachwuchs mehr gibt, wird es bald auch keine Hebammen mehr geben.
Die französischen und englischen Hebammen streiken bereits. Für Großbritanien gab es dieser Tage zumindest endlich mal die offizielle Empfehlung, dass für die mütterliche und kindliche Gesundheit die 1:1-Betreuung durch vollqualifizierte Hebammen unter der Geburt unabdingbar ist. Im besten Fall wird aus dieser Empfehlung noch in diesem Jahr eine Leitlinie, die von den Akteuren im Gesundheitswesen umgesetzt werden muss. Dafür müssen natürlich auch ausreichend viele Hebammen zur Verfügung stehen.
Ich hoffe noch immer, dass sich auch hier in Deutschland ein so sinnvolles Betreuungssystem mit belegten positiven Auswirkungen auf die mütterliche und kindliche Gesundheit tatsächlich nicht erst einmal komplett selbst zerstören muss, damit es dann mühsam wieder aufgebaut wird. Ich verstehe jede Kollegin, der für diese ständige Zitterpartie um akzeptable Arbeitsbedingungen die Kraft, die Nerven und irgendwann auch das Geld fehlen. Noch reihe ich mich nicht ein in die Schlange derjenigen, die schon aufgegeben haben. Denn ich bin Hebamme und ich möchte es einfach weiterhin sein…
Weitere Informationen:
Hebammen für Deutschland | Hebammenunterstützung | Deutscher Hebammenverband | Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands
Schreibe einen Kommentar