Der dermaßen inhaltlich unkorrekte Beitrag von ARD-Gesundheitsexpertin Tamara Anthony in der Tagesschau am vergangenen Donnerstag war wahrscheinlich die Spitze des Eisberges der falschen oder der unvollständigen Presseberichte zur derzeitigen Hebammenmisere. Der Link zum Beitrag ist momentan nicht mehr verfügbar. Hoffen wir mal, weil eifrig an einer Richtigstellung gearbeitet wird. Vermutlich aber ist es der ARD schlicht zu peinlich, einen so schlecht recherchierten Beitrag online stehen zu lassen…
Aus Geburtsschäden wurden in diesem Beitrag fälschlicherweise kurzerhand Fehlgeburten gemacht und überhaupt würde das Thema sowieso nur knapp 400 in der außerklinischen Geburtshilfe (Hausgeburten, Geburtshausgeburten) tätige Hebammen betreffen. Alle anderen freiberuflichen Hebammen sowie die Hebammengeburtshilfe in der Klinik seien Frau Anthony nach nicht betroffen. Und mal wieder ist das Fazit, wie in so vielen Artikeln, dass die Frauen doch einfach nur in die Klinik gehen müssten und alles sei gut. Nur die zwei, drei Prozent, die sich für den Luxus einer Haus- oder Geburtshausgeburt entscheiden wollten, müssten sich dann halt etwas anderes überlegen. Oder die außerklinische Geburtshilfe wird einfach mal wieder gleich als verantwortungslos dargestellt, was Studien aber längst definitiv widerlegen.
Auch angestellte Hebammen sind betroffen
Aber was ist denn nun dran an der Krankenhaus-These? Wird hier einfach ein Thema nur aufgebauscht und ein Großteil der werdenden Eltern muss sich gar keine Sorgen machen?
Leider ist das überhaupt nicht so! Mit dem Wegfall eines relevanten Versicherers der Gruppenhaftpflichtversicherung für Hebammen fällt ab dem 1. Juli 2015 die Versicherungsoption für die meisten freiberuflichen Hebammen weg. Auch angestellte Kolleginnen sind davon betroffen. Viele davon sind über ihren Arbeitgeber, das Krankenhaus, nicht ausreichend versichert. In vielen deutschen Kliniken ist eine Schadensdeckungssumme von ein bis zwei Millionen Euro üblich, welche aber nicht mehr ausreichend ist, weil genau diese eklatant angestiegen ist in den letzten Jahren. Also müssen sich auch viele angestellte Hebammen zusätzlich versichern, wenn sie nicht mit ihrem (in der Regel in dieser Größenordnung ohnehin nicht vorhandenen) Privatvermögen im Schadensfall haften wollen. Zudem ist in den Klinikversicherungsverträgen oft die Nachhaftungszeit nicht inkludiert. Das heißt, die Hebamme ist nur solange über die Klinik versichert, wie sie dort auch arbeitet. Die Haftungszeit für Geburtsschäden beträgt aber 30 Jahre und ja, es kommen manchmal auch nach sehr langen Zeiten noch entsprechende Klagen…
Angst ist kein guter Geburtsbegleiter
Im Krankenhaus arbeiten aber nicht nur angestellte Hebammen, sondern auch Beleghebammen, die mit zum Kollektiv der freiberuflichen Hebammen zählen. Diese Kolleginnen verdienen übrigens noch viel weniger pro Geburt, womit gerade sie von jeder bisherigen Erhöhung der Haftpflichtprämie besonders betroffen waren – und sind. Gerade im süddeutschen Raum sind viele Kreißsäale zu 100 Prozent mit Beleghebammen besetzt. Wenn diese nicht mehr versichert sind, bleibt nur die Schließung. Und nein, das ist keine Fiktion, sondern geschieht bereits seit Jahren.
Gut, könnte man sagen, dann gehen die Frauen eben ins nächste Krankenhaus mit angestellten und hoffentlich ausreichend versicherten Hebammen. Gerade in ländlichen Regionen sind das aber mitunter bereits jetzt recht weite Anfahrtswege, was die Geburt weder angenehmer noch sicherer für die Mütter macht. Seit die geburtshilfliche Abteilung auf der Insel Sylt geschlossen wurde, kam es dort bereits zu einer unbegleiteten Hausgeburt. Alle anderen seither geborenen Sylter Kinder kamen per Kaiserschnitt auf die Welt. Und nein, es handelt sich hierbei nicht um ausschließliche Wunschkaisserschnitte. Aber Angst und Unsicherheit sind nun mal keine guten Geburtsbegleiter.
Umzug statt Bonding
Was passiert nun aber außerdem, wenn mehr und mehr kleine Geburtskliniken schließen und die Geburtenzahlen in den großen Perinatalzentren in die Höhe schnellen? Schon jetzt arbeiten die Mitarbeiter dort personell und räumlich am Limit. Natürlich kann man Geburten auch auf dem Kreißsaalflur durchführen, „abgeschirmt“ durch zwei, drei Trennwände. Ich habe solche Geburten auch gelegentlich als Kreißsaalhebamme erlebt. Aber da dies keine würdevolle Umgebung für eine Gebärende und ein Baby ist, dass den ersten Schritt ins Leben macht, sollte das nur in absoluten Ausnahmefällen passieren und niemals die Regel sein. Überfüllte Kreißsäale werden aber wesentlich häufiger genau zu solchen Situationen führen. Aber selbst, wenn vielleicht das Geburtszimmer für die Geburt noch frei war, kann es trotzdem sein, dass statt ausgiebigem, ruhigen Bonding der Umzug in andere Räumlichkeiten stattfindet, weil die nächste wehende Schwangere bereits vor der Tür steht.
Und nein, der Ausbau von Räumen und Personalkapazitäten wird sicher nicht parallel mit dem Geburtenanstieg der einzelnen Häuser stattfinden. Wahrscheinlicher ist ein paralleler Anstieg der Überlastungsanzeigen der Klinikkolleginnen, die bereits jetzt häufig genug am absoluten Limit arbeiten. Die von mir bereits beschriebene Krise im Kreißsaal wird sich also weiter zuspitzen. Eine gute und sichere Geburtsbegleitung sieht wohl anders aus…
Ohne Versicherung keine Hebammenarbeit möglich
Aber zumindest die Kolleginnen, die „nur“ Schwangerenvorsorge, Kurse und Wochenbettbetreuung anbieten sind doch laut Presse nicht gefährdet. Oder sind es doch? Wie bereits im Artikel Das Hebammendilemma aus Hebammensicht erwähnt, sitzen alle Hebammen im gleichen Versicherungsboot. Ja, es gibt zwar noch für die Hebammenarbeit ohne Geburtshilfe vereinzelt andere Versicherungsoptionen, die aber gewisse Risiken bergen. Oft ist auch hier die Schadensdeckungssumme unzureichend und das Problem mit der Nachhaftungszeit gilt auch für etwaige Schäden im Wochenbett. Der Hauptgrund aber, weshalb die meisten Hebammen bei der Gruppenhaftpflichtversicherung des größten Berufsverbandes versichert sind, ist, dass diese auch im Schadensfall einen Kündigungsschutz bietet. Die meisten anderen Anbieter können und werden im Schadensfall nämlich kündigen und es ist relativ schwierig, dann überhaupt noch in eine andere Versicherung aufgenommen zu werden. Für die Kündigung muss es auch nicht unbedingt zum schweren Geburtsschaden in Millionenhöhe kommen. Und ohne Versicherung ist keine Arbeit als Hebamme mehr möglich, auch nicht in der Vor- und Nachbetreuung.
Noch weniger Zeit für Geburtsbegleitung
Nun gut, es betrifft also irgendwie alle Hebammen. Aber dann könnten die (werdenden) Mütter doch einfach in die noch verbliebenen Geburtshilfeabteilungen der Krankenhäuser bzw. zum Gynäkologen oder zum Kinderarzt gehen. In der Realität wird das dazu führen, dass die Notfallambulanzen noch voller sind als ohnehin schon. Diese werden in der Regel auch von den Klinikhebammen bedient, also bliebe noch weniger Zeit, die diese für die Geburtsbegleitung haben werden. Aber im schlimmsten Fall führt das alles dazu, dass Schwangere mit einem latent unguten Gefühl abwarten, bis der niedergelassene Gynäkologe am Montag wieder geöffnet hat. Denn sie wollen sich vielleicht nicht fünf Stunden in die Wartezone einer Kreißsaalambulanz setzen. So sieht halt niemand am Wochenende nach, ob die Kopfschmerzen der Schwangeren einfach dem Wetterumschwung oder einer beginnenden Schwangerschaftserkrankung zuzuschreiben sind.
Wenn es keine Hebammen mehr in der Vor- und Nachbetreuung gibt, wird wahrscheinlich auch mit dem Milchstau bis zum nächsten Werktag gewartet, weil man sich auch nicht in die Klinikwartezone setzen möchte, wenn man sich im Wochenbett gerade eh schon krank und angeschlagen fühlt. Mit Pech ist dann aus dem leicht zu behandelnden Milchstau bereits eine Mastitis geworden. Und werden Mütter sich wegen Fragen zum Nabel, zu wunden Hautfalten beim Baby oder zum Stillen ins volle, „verkeimte“ Kinderarztwartezimmer setzen? Werden sie mit schmerzender Dammnaht beim Gynäkologen aufschlagen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Die Versorgung wird jedenfalls bestimmt nicht besser werden, wenn man die Hebammen „abschafft“.
Müttern soll es gut gehen – auch emotional
Und überhaupt, ist der Gynäkologe und der Kinderarzt da immer der richtige Ansprechpartner? Während der wunde Babypo und die nicht adäquat heilende Dammnaht vielleicht noch irgendwie anders „gerettet“ werden können, gibt es Dinge, über die ich mir wirklich Sorgen mache. Werden die Frauen zum Arzt gehen, weil sie sich erschöpft, überfordert oder auch depressiv fühlen? Und inwieweit wird sich dieser in fünfzehn Minuten ein Bild der Situation machen können? Als Hebamme im täglichen Hausbesuch bekommt man meist zeitnah mit, wenn es Situationen gibt, in denen es der Mutter oder dem Kind nicht mehr gut geht. Durch das in der Regel vertrauensvolle Verhältnis öffnen sich die Mütter und zeigen sich, wenn nötig, auch bereit für weiterführende Hilfe.
Unterstützung brauchen die Mütter dann unbedingt, weil ihr Kind sie braucht und abhängig davon ist, dass es ihr gut geht, damit sie das Baby gut versorgen kann – auch emotional. Erst 2012 hat sich der Berliner Senat noch mit der Implementierung der Familienhebammen gebrüstet, die Familien regelmäßig bis zu einem Jahr nach der Geburt begleiten. Und jetzt ist nicht einmal ansatzweise eine wirkliche Lösung in Sicht, um überhaupt noch das normale Maß der Hebammenbetreuung gewährleisten zu können.
Alle sind sich aber darüber einig, dass gerade die frühen Hilfen, wozu die Hebammenarbeit gehört, ein wichtiger Bestandteil des Kinderschutzes sind. Auch diese Tatsache macht die momentane Situation umso absurder. Es ist also nicht damit getan, die Eltern mit dem Satz „Dann geht doch einfach ins Krankenhaus“ zu beruhigen. Wer das als Medium noch immer tut, hat schlicht und einfach etwas nicht verstanden…
Update vom 24.3.2014: Die ARD-Gesundheitsexpertin Tamara Anthony hat sich eben per Mail bei mir gemeldet und sich für die Falschdarstellung entschuldigt. Deshalb ist der Beitrag online nicht mehr zu finden. Sie telefoniert heute noch einmal mit dem Hebammenverband und wird dort sicher die korrekten Informationen erhalten. An den vielen Fragen und Kommentaren zum Thema ist auch ersichtlich, was für ein komplexes Thema das Ganze ist. Umso wichtiger, dass die Öffentlichkeit die richtigen Informationen dazu erhält.
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