Der 20. März vor zwölf Jahren. Stolz, glücklich und erleichtert halte ich mein Examenszeugnis in den Händen – die mit wichtigste Voraussetzung, um die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Hebamme“ zu bekommen. Um Hebamme zu sein. Elf Tage später trete ich meine erste Stelle im Kreißsaal an. Vier Monate später kommt die freiberufliche Arbeit in der Schwangerenvorsorge, der Kursarbeit und in der Wochenbettbetreuung dazu. Seitdem bestimmen Schwangerschaften, Geburten und Wochenbetten einen großen Teil meines Alltags, mal kurz unterbrochen von eigenen Babypausen.
Und so großartig dieser Beruf auch ist, der Kuschelfaktor ist sicher überbewertet. Denn es gilt, die Ruhe zu bewahren und zu vermitteln, wenn man selbst innerlich am Limit ist, weil man drei Geburten gleichzeitig betreut. Ein Leben zwischen Frühdienst, Nachtdienst und 24 Stunden-Dienst oder gleich Dauerrufbereitschaft erfordert viel Verzicht und viel Verständnis von Familie und Freunden. Hebammen haben in der Regel eine gut trainierten Beckenboden, weil manche Situationen einfach nicht erlauben, den Geburtsraum auch nur kurz zu verlassen. Genauso kommen wir recht lange ohne Essen und Trinken aus. Die eigene Familie verzichtet auch an Heiligabend auf eine durchgehende Anwesenheit, weil der Milchstau der Wöchnerin sich natürlich genau den 24.12. ausgesucht hat.
Nicht nur aushalten, sondern adäquat begleiten
Man versucht im Überinformationstzeitalter zehn aufgeregten werdenden Elternpaaren wieder den Boden unter den Füßen zu geben, damit sie möglichst entspannt in die Geburt und in die Elternschaft gehen können. Das nennt sich dann Geburtsvorbereitungskurs. Man trocknet die Tränen im Wochenbett, wenn der Babyalltag Mütter phasenweise an ihre Grenzen bringt. Man erlebt häusliche Situationen, die einem selbst die Tränen in die Augen treiben und versucht auch hier, eine halbwegs gute Basis für die Kinder zu schaffen.
Schwangerschaften, die glücklos enden. Kinder, die viel zu früh oder krank geboren werden. Geburten, die plötzlich zur dramatischen Notsituation werden. Wochenbettdepressionen- oder Psychosen, die eine große Herausforderung für die ganze Familie darstellen. All das gehört mit zum Hebammenalltag. Und das muss man nicht nur aushalten, sondern auch adäquat begleiten können.
Zum Glück sind diese Ereignisse eindeutig seltener als die vielen glücklichen Momente, die diese besondere Lebensphase mit sich bringt. Aber obwohl es ein für mich wirklich erfüllender Beruf ist, kann ich allein von Dankbarkeit und Wertschätzung der Eltern nicht leben. Das kann keine Hebamme. Schon allein um vernünftig arbeiten zu können, muss ich ausreichend Geld verdienen, um mir als Freiberufler die hohen Kosten für Fort- und Weiterbildung ebenso wie für aktuelle Fachliteratur leisten zu können. Fortbildungen kosten ja nicht nur Geld, sondern verhindern, dass ich in dieser Zeit welches verdienen kann. Ich finde es aber in einem Beruf mit dieser hohen Verantwortung auch extrem wichtig, auf einem aktuellen Stand zu sein. Ich behaupte mal, dass das die meisten Kolleginnen ganz genauso sehen und deshalb auch Zeit und Geld investieren.
Fehler in der Darstellung: Es betrifft alle Hebammen
Und genau deshalb macht es mich so wütend, wenn ich heute, am 20. März 2014, die Debatte zur aktuellen Hebammensituation im Bundestag höre. Denn trotz vieler wertschätzender Kommentare, kam der Punkt auf, inwieweit die Qualität der Hebammenarbeit überhaupt beurteilbar wäre. Dafür bräuchte es erst mal wieder eine Studie, damit man auch auf der Sachebene und nicht nur auf der emotionalen Ebene diskutieren könne.
Ich bin absolut dafür, die Qualität der Hebammenarbeit wissenschaftlich zu belegen, wie es ja auch bereits geschehen ist. Aber im Moment haben wir keine Zeit, auf neue Studienergebnisse zu warten, die uns vielleicht erst in ein, zwei Jahren zur Verfügung stehen. Es sind noch fünfzehn Monate, bis die momentane Gruppenhaftpflichtversicherungsoption für freiberufliche Hebammen ausläuft. Für ALLE freiberuflichen Hebamme, denn auch da wurde bei der Bundestagsdebatte wieder häufig nur von dem kleinen Kollektiv der Hausgeburtshebammen gesprochen. Nein, es betrifft wirklich alle freien Hebammen und alle Tätigkeiten auch außerhalb der Geburtshilfe.
Auf den persönlichen Punkt gebracht: meine jetzige Versicherung läuft am 30. Juni 2015 aus – ohne die Perspektive einer anderen Versicherungsoption. Ab 01. Juli 2015 bin ich nicht mehr für meine Hebammentätigkeit versichert und darf nicht mehr arbeiten. DAS ist der Stand der Dinge. Und das ist auch der Stand der Dinge für meine allein verdienende Kollegin, die drei Kinder zu versorgen hat. Das betrifft ebenso meine Kolleginnen, die gerade erst viel Geld in die Eröffnung ihrer Hebammenpraxis gesteckt haben. Es gilt für die Kollegin, deren Klinikvertrag gerade ausgelaufen ist und die deshalb komplett freiberuflich ihr Geld verdienen muss.
Viel versprochen, aber nichts verändert
Die Berufsanfängerin, die sich auf ihre erste Stelle im Herbst in einer Hebammenpraxis gefreut hat, muss sich nun Gedanken machen. Doch auch die (laut Debatte scheinbar sicher) angestellte Kollegin, die wegen einer zu geringen Deckungssumme ihrer Klinikversicherung zusätzlich über die Gruppenhaftpflichtversicherung beim Berufsverband versichert ist, wird sich überlegen müssen, ob sie ohne die zusätzliche Absicherung weiter arbeitet und dann notfalls mit ihrem (nicht vorhandenen) Privatvermögen haftet. Meine Kollegin, die von Berlin nach Bayern gegangen ist, um dort in einer geburtshilflichen Belegabteilung zu arbeiten, steht genau vor denselben Fragen wie ich selbst. Wird es weitergehen? Wenn ja, wird es noch finanzierbar weitergehen? Und letztendlich auch die Frage: Was soll ich alternativ machen?
Denn fünfzehn Monate reichen weder für eine neue Ausbildung, noch für ein neues Studium.
Fakt ist, dass bei der heutigen Debatte zwar viel versprochen, aber nichts an der momentanen Situation verändert wurde. Es gab nicht einmal andeutungsweise eine Lösungsidee. Vorschläge von Seiten der Hebammenverbände wurden vom Gesundheitsminister mehr oder weniger verworfen. Aber bitte, machen wir erst mal eine neue Studie. Die wird dann nur keiner mehr brauchen, weil es bis dahin keine Hebammen in der bisherigen Form mehr geben wird.
Links zur heutigen Debatte:
- Plenarsitzung vom 20.03.2014
- Pressestimme „Welt“
- Pressestimme „Süddeutsche“
- Pressestimme „Ärzteblatt“
Links zur Unterstützung der Hebammen:
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