Es ist wirklich bewegend und berührend, wie viele Menschen sich in den letzten Tagen seit dem Verkünden der ungeklärten Haftpflichtversicherungssituation für uns Hebammen einsetzen. Es werden Facebook-Gruppen zur Unterstützung gegründet, offene Briefe an Politiker verfasst und mit Facebook-Aktionen wie „Ein Herz für meine Hebamme“ ein Zeichen gesetzt. Das ist wirklich großartig und zeigt eine ungeheure Wertschätzung unserer Arbeit.
Trotzdem wage ich mal auszusprechen, was wahrscheinlich viele Kolleginnen auch denken: Das wird wahrscheinlich nicht reichen für eine wirklich nachhaltige Lösung der Probleme. Denn es kommt trotzdem nicht bei denen an, die unsere Arbeit scheinbar nicht wertschätzen. Bei den Entscheidungsträgern, den „Weltbestimmern“, wie sie so schön im Vorlesegeschichtenbuch meiner Fünfjährigen heißen. Denn wenn die bisher in Deutschland am meisten unterzeichnete Petition mit über 200.000 Unterstützern ebenso wenig bringt wie der persönliche Dialog mit der Kanzlerin zum Erhalt des Hebammenberufsstandes, werden auch jetzt die vielen Stimmen dazu vermutlich leider ungehört bleiben. Oder vielleicht gehört, aber ignoriert werden. Vielleicht redet man sich auch wieder mit schwammigen Aussagen wie „Wir werden die Situation der Geburtshilfe und der Hebammen im Speziellen beobachten“ heraus. Eigentlich hätte man das seitens der Regierung noch mit „Abwarten und Tee trinken“ ergänzen können.
Denn machen wir uns nichts vor: Alle Kolleginnen, die seit mehreren Jahren in diesem Beruf arbeiten, sehen und spüren die beständige Verschlechterung der Situation. Es ist längst Fakt, dass viele Kolleginnen aufgegeben haben. Ich habe bereits dieses Jahr weit über 60 Betreuungsanfragen absagen müssen, weil ich keine Kapazitäten mehr habe. Und ich bin nicht die erste und einzige Hebamme, die diese Frauen angerufen haben. Und nein, die Anzahl der Schwangeren in Prenzlauer Berg ist 2014 nicht exorbitant angestiegen. Doch trotzdem kenne ich keine Kollegin mehr, die für die Sommermonate, also in gut einem halben Jahr, noch großartig Kapazitäten frei hat. Viele Kolleginnen gehen andere Wege oder finanzieren ihre Hebammenarbeit durch andere Tätigkeiten quer. Eine Empfehlung für eine geburtshilflich arbeitende Kollegin mit noch vorhandenen Betreuungskapazitäten habe ich schon längst nicht mehr. Geburtshäuser, Hebammenpraxen und kleinere geburtshilflich arbeitende Krankenhausabteilungen schließen beständig und fortlaufend.
Es geht hier nicht nur um Hausgeburten
Es müssten auch mittlerweile alle verstanden haben, dass es hier nicht um das Problem einer kleinen Prozentzahl von Müttern geht, die außerklinisch ihre Kinder zur Welt bringen wollen. Es betrifft die Betreuuung ALLER Mütter – egal ob vor, während oder nach der Geburt und an welchem Geburtsort auch immer. Auch die angestellten Kolleginnen, die eigentlich über die Klinik versichert sind, betrifft das Ganze. Denn schon seit Jahren empfiehlt der Hebammenverband eine zusätzliche Haftpflichtversicherung, da die Deckungssummen der Klinikversicherer im Schadensfall oft nicht ausreichend sind. Gibt es überhaupt eine Summe, die ein Menschenleben „abdecken“ kann? Auch diese Frage muss sich eine Gesellschaft wohl stellen, so wie es die Kollegin Sabine Dörpinghaus getan hat.
Und jetzt? Den Kopf in den Sand stecken? Nein, aber ich glaube der reine Solidaritätsbekundungskurs allein wird uns nicht weiter bringen, wie die vergangenen Jahre leider gezeigt haben. Vielleicht müssen jetzt zusätzliche Wege gegangen werden. Wege, die den „Weltbestimmern“ wirklich weh tun. Weh tut es auf politischer Ebene meist, wenn etwas Kosten verursacht. Vielleicht müssten also die Schwangeren klagen, die durch die Situation einfach nicht mehr die im Sozialgesetzbuch verankerten Betreuungsoptionen in ihrer Schwangerschaft, unter der Geburt und im Wochenbett haben. Vielleicht müssten Eltern anfangen, die Leistungen, die ihre Krankenkasse anbietet, auch einzufordern. Denn was nützt es, wenn Krankenkassen mit den vielschichtigen Hebammenleistungen und teilweise sogar mit Extras wie der Übernahme der Rufbereitschaftskosten werben, wenn es keine Hebammen gibt, die das Ganze mehr anbieten können.
Dumm daran ist nur: Schwangerschaft, Geburt und die ersten Babymonate sind Zeiten, in denen wir den Familien Ruhe und Zeit wünschen, sich ganz auf sich und ihr Baby zu besinnen. Dazu passen keine Klagen, Gerichtsprozesse oder nervenaufreibende Diskussionen mit den Krankenkassen.
Rechte einfordern und vielleicht nun auch einklagen
Natürlich schicke ich den Frauen mit meiner Absage-E-Mail das PDF mit einem Standardbeschwerdeschreiben an ihre Krankenkasse. Aber insgeheim hoffe ich immer, dass sie doch noch irgendwo eine Kollegin finden, die sie durch eine gesunde und entspannte Schwangerschaft begleiten wird. Aber wahrscheinlich werden wir bald nicht darum herum kommen, dass sich Schwangere und ihre Partner beschweren müssen. Und zwar so richtig, so dass es weh tut und die, die handeln müssten, endlich zum Handeln zwingt.
Denn sonst wird sich absehbar wahrscheinlich NICHTS zum Positiven ändern. Es wird vielleicht ein Versicherer gefunden werden, der auch 2015 noch Hebammen versichert. Aber sicherlich nur mit einer weiteren Erhöhung der Kosten, was erneut viele Kolleginnen aus dem Beruf treiben wird, so wie es seit Jahren der Fall ist. Denn sicherlich wird es keine entsprechende Erhöhung der Bezüge seitens der Krankenkassen geben.
Die Hebammen werden sicherlich nicht von heute auf morgen von der Bildfläche verschwinden. Aber alle Kolleginnen, die schon länger dabei sind, sehen genau wie ich, dass dieser Prozess längst voll im Gange ist. Man muss sich nur mal den Stellenmarkt für Hebammen ansehen. Egal ob Hebammenpraxis, Klinik oder Geburtshaus – alle suchen Hebammen. Diese große Auswahl an Jobs hatte man als Hebamme vor zehn Jahren noch nicht. Und nein, leider ist keine eklatant angestiegene Geburtenrate in Deutschland der Grund dafür. Oder gar grandiose Verdienstmöglichkeiten…
Also, liebe Hebammenunterstützer: Wir Hebammen sind absolut dankbar für die großartige Unterstützung und die damit verbundene Wertschätzung der Hebammenarbeit. Ohne solche Signale hätten schon viel mehr Kolleginnen wohl längst aufgegeben. Jetzt müssen aber auch so viele Schwangere wie möglich aktiv ihre Rechte und Wahlmöglichkeiten einfordern und notfalls einklagen. Die „Weltbestimmer“ dürfen sich nicht mehr entziehen können. Denn Freiheit bei der Wahl des Geburtsortes und der Art der Geburt sollen auch noch unsere großen Kinder und Kindeskinder haben. Ebenso eine gute Begleitung vor und nach der Geburt. Jede Mutter, jedes Baby und jede Familie verdient zu jeder Zeit einen würdigen und gut begleiteten Start ins Leben. Immer!
Schreibe einen Kommentar