In der vergangenen Woche habe ich drei Tage auf dem Perinatalkongress hier in Berlin verbracht. Ein volles Programm mit etlichen interessanten Vorträgen, Kursen und Diskussionen von Gynäkologen, Hebammen und Kinderärzten. Ein Vortrag über eine Studie zur Zufriedenheit von Frauen bezüglich der Geburt machte mich etwas stutzig. Denn das Fazit war, dass der Geburtsmodus keinen signifikanten Einfluss auf die Zufriedenheit der Frauen mit der Geburt hat. Grob gesagt sei es mehr oder weniger egal, ob die Geburt spontan verlaufen oder in einem Notkaiserschnitt geendet ist. Nun, dies deckt sich irgendwie so gar nicht mit meinen Erfahrungen in der Hebammenarbeit.
Und auch andere Kongressbesucher schüttelten etwas verwundert den Kopf. In der anschließenden Diskussion wurde die Referentin noch gefragt, wann denn die in der Studie eingeschlossenen Mütter nach der Geburt zur Zufriedenheit gefragt wurden. Nach ihrer Antwort wurde mir doch etwas klarer, wie es zu diesem Ergebnis kommen konnte. Die Frauen wurden drei Tage postpartum befragt. Wahrscheinlich mit dem Hintergrund, dass man so – also während sie noch stationär in der Klinik sind – mehr Antworten bekommt, als wenn die Frauen später zu Hause befragt werden.
Mit diesem Hintergrund würde ich das Ergebnis nämlich auch bestätigen. Denn viele häusliche Wochenbettbetreuungen beginnen ungefähr am dritten Tag. Da liest man dann aus dem gar nicht mal so detaillierten Geburtsbericht an Hebamme und Frauenarzt schon heraus, dass diese Geburt wahrscheinlich recht traumatisch für die Frau verlaufen ist. Wenn ich dann die Frauen erzählen lasse, wird das aber zunächst gar nicht so berichtet. Die Freude über das endlich und nach vielen Strapazen geborene Kind überwiegt. Zudem sind die Frauen mit der zunehmenden Müdigkeit, dem beginnendem Milcheinschuss und überhaupt mit der ganzen neuen Situation beschäftigt. Da bleibt wenig Raum für große Reflexionen bezüglich der Geburt. Bei vielen Frauen wird ein eventuelles Trauma auch erst mal in den Hintergrund gerückt, damit sie zunächst in ihrer neuen Rolle „funktionieren“.
Tränen fließen oft viel später
Die Tränen fließen also oft erst viel später. Aber wichtig ist, dass sie fließen. Darum ist es so wichtig, die Frauen auch nach ein paar Wochen oder Monaten zu fragen, wie es ihnen mit ihrem Geburtserlebnis geht. Meist kommt die Seele erst dann hinterher, wenn körperliche Narben allmählich verheilt und Schmerzen abgeklungen sind. Und genau dann gehen alle oft davon aus, dass es der Mutter gut geht und sie alles gut verarbeitet hat. Die eben erwähnte Studie unterstützt diese These ja auch noch irgendwie. Tatsächlich verdrängen manche Frauen ihre Geburtstraumata oft sogar bis zur nächsten Schwangerschaft. Und manche Frauen scheinbar ein Leben lang. Alle Hebammen kennen die ausführlichen Geburtsberichte, die ihnen plötzlich von der Mutter oder Schwiegermutter der Wöchnerin anvertraut werden. Frauen erinnern sich auch nach über 30 Jahren noch sehr genau an unschöne Details ihrer Geburt und fühlen den Schmerz darüber.
Deshalb kann ich es nicht so stehen lassen, dass der Geburtsmodus keine Rolle spielt. Natürlich sind die Faktoren wie Miteinbeziehung bei Entscheidungen oder Unterstützung bei der Geburt ebenso relevant. Aber der Geburtsmodus spielt sehr sicher auch eine Rolle. Denn der nicht geplante Notkaiserschnitt oder auch die Geburt, die operativ durch eine Saugglocke oder Zange beendet wurde, wirkt sich auf das Befinden der Mütter aus. Auch ein Dammschnitt hinterlässt nicht immer nur eine Narbe an dieser empfindlichen Stelle.
Enttäuschung und Schuldgefühle
Und es ist keine „Gefühlsduselei“ mancher Frauen, wenn sie ihr Geburtserlebnis nicht so einfach verarbeiten können. Natürlich sind wir alle dankbar, wenn wir unsere Kinder gesund im Arm halten – gerade nach einem dramatischen Geburtsverlauf. Aber so eine Geburt macht auch etwas mit der Mutter. Und es muss Raum dafür da sein, dass sie das Erlebte verarbeiten kann. Deshalb ist es sinnvoll, auch nach ein paar Wochen mal nachzufragen, wie es ihr geht. Und welche Unterstützung sie eventuell dabei braucht. Oft stehen nach schweren Geburtsverläufen erst mal Enttäuschung und Schuldgefühle im Vordergrund. Wenn diese Gefühle nach der Geburt überwiegen, ist es sinnvoll, zum Beispiel mit der Hebamme darüber zu reden und gegebenenfalls weiterführende Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Denn wenn Frauen nach einer guten Verarbeitung des Geburtserlebnisses trotz allem mit Stolz auf ihre Leistung zurück blicken können, wird sie das auch in allen anderen Herausforderungen stärken, die das Muttersein mit sich bringt. Eine Mutter, die sich zugewandt und liebevoll um ihr Kind kümmert, sollte sich ebenso gut auch immer um ihr eigenes Befinden kümmern. Ihre negativen Gefühle oder ihre Trauer verdienen genauso viel Beachtung wie das „Gebärmutterheimweh“ des Kindes. Und da in den meisten Fällen ja heute auch die Väter bei den Geburten anwesend sind, sollte man auch diese mal befragen, wie es ihnen mit dem Erlebten geht. Das muss nicht drei Tage nach der Geburt sein, sondern dann, wann es für diese Familie passt.
Es ist wichtig, auch mit unseren Empfindungen als Eltern sehr achtsam umzugehen, denn das ist eine gute Grundlage für den emphathischen Umgang mit unseren Kleinsten.
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